Als Kind habe er nie auf der Straße gespielt, sagt Tomás Pizá. Der 32-Jährige lebt seit seinem ersten Lebensjahr auf dem Passeig de

Mallorca. Im Park Sa Faixina, wo heute blonde Kinder aus dem Santa-Catalina-Viertel auf dem Spielplatz toben, hingen damals die Junkies ab. Und noch heute ist dieser eigenartige Boulevard, der die Innenstadt von den westlichen Stadtvierteln trennt und die edle Avinguda Jaume III. überquert, nicht wirklich ein Ort für Kinderspiele.

Tomás Pizá hat sich einen Namen als Maler gemacht und lange Zeit auf dem Festland und im Ausland gelebt, unter anderem in Berlin. Seit 2012 ist er wieder zurück in dieser Straße, zu der er ein gespaltenes Verhältnis pflegt. Passeig de Mallorca: Das sind 600 Meter teils mehrspurige Straßen mit breiten Bürgersteigen, die von dem vor gut 400 Jahren angelegten Torrent de Sa Riera geteilt werden. Eine Flut hatte im Jahr 1403 das Wasser des Sturzbaches - der damals noch in der Innenstadt am heutigen Passeig del Born verlief - über die Ufer treten lassen und etwa 5.000 Menschen getötet. Aber erst 210 Jahre später wurde das Wasser in den heutigen Kanal umgeleitet. „Als ich klein war, sah es längst nicht so schön aus wie jetzt", sagt Pizá. „Der Graben war nicht begrünt und wegen der Steinmauer konnte man nicht so gut hineinsehen wie jetzt."

Bis 1902 stand auf der östlichen Seite der Straße die Stadtmauer. Der Passeig de Mallorca zeichnet deren Verlauf nach. Bis in den 50er-Jahren damit begonnen wurde, die Gegend zu bebauen, stand dort allein der frontón, die Spielstätte für den baskischen Sport Pelota. Heute steht hier ein Wohnhaus, in dem unten die Versicherungsgruppe Mapfre ihre Büros hat. „Ansonsten war es hier damals leer. Absolute Peripherie. Ein wenig wie heutzutage die Gegend um das Kino Ocimax im Norden von Palma", sagt Pizá.

Der studierte Architekt kann an den Häusern die spanische Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nacherzählen. „Die Hausnummer 28 ist ein gutes Beispiel für den regionalistischen Stil, der in der Diktatur beliebt war. Nebenan, die Hausnummer 32 mit den vielen braunen Fensterläden an der Fassade, integriert hingegen schon modernere Elemente." Die Stile sind wild durcheinander gewürfelt, der Passeig de Mallorca ist nie einheitlich erschlossen worden.

Dafür ist die soziale Zusammensetzung der Bewohner durchaus homogen. Von Beginn an war dies ein Boulevard für die begüterten Bürger der Stadt: Ärzte, Notare, Juristen. Er ist es immer noch. Es habe kaum einen Generationenwechsel in der Straße gegeben, sagt Pizá. „Die Leute sind älter geworden, aber nicht weggezogen. Und es kommen kaum junge Leute nach, weil es sehr teuer ist."

Die Menschen, die hier die Mehrheit stellen, seien satt, sagt Pizá. „Sie haben alles erreicht. Sie haben Geld. Sie interessieren sich nur für das Essen. Sie werden fett. Es ist wie Hobbiton, wie Mittelerde aus dem Herr der Ringe." Eine Welt, in der die Menschen keine Sorgen und Nöte haben. Außer das eine: „Wenn die Leute hier ein Problem haben, dann ist es der Alkoholismus."

Zu dieser Beobachtung passt, dass in den vergangenen Jahren am Passeig de Mallorca immer mehr in jeder Hinsicht feine Lokale aufgemacht haben: ein Tapas-Ableger der Portals-Legende Flanigan etwa oder auch das Adrián Quetglas des gleichnamigen Fosh-Zöglings Adrián Quetglas. Nach dem guten Essen zieht es das mehrheitlich gediegene Publikum dann in Bars wie das ebenfalls gediegene Ginbo oder den Brass Club.

Überhaupt ist die östliche Seite mit ihren mächtigen Arkaden eine Flaniermeile für Menschen mit einem Säckchen Gold in der ­Designertasche. Und natürlich sind es nicht alles Einheimische. Hier stehen auch Hotels wie das Saratoga, berühmt für seine Jazz-­Sessions unterm Dach mit Blick auf Palma. Oder das Jaime III, das den Besitzern der nahe gelegenen Galerie Horrach Moyá gehört und mit vielen Kunstwerken­dekoriert ist. Überhaupt, die Kunst: Am südlichen Ende des Passeig de Mallorca befinden sich das Museum Es Baluard und die Galerie ABA Art Lab. Auch der Galerist Fran Reus will in diesem Abschnitt demnächst seine neuen Räume eröffnen.

„In den vergangenen Jahren hat sich hier vieles verändert", sagt Tomás Pizá, der auf der westlichen Straßenseite wohnt und arbeitet. Statt Immo­bilienbüros, Restaurants und Galerien haben sich auf dieser Seite des Kanals mit ihrem dreispurigen Autoverkehr Reisebüros, Bestatter und Zeitungsredaktionen angesiedelt. Hier befindet sich auch das städtische Theater Catalina Valls.

„Wenn ich sage, dass ich am Passeig de Mallorca wohne, sieht man manchen Gesprächspartnern an, dass sie dabei sind, meinen Konto­stand zu schätzen", sagt Pizá. Er weiß, dass er selbst in diesem Milieu aufgewachsen ist, das er als „so dekadent" beschreibt. „Aber ich mag es, mit diesem scheinbaren Widerspruch der Identitäten zu spielen: der Bourgeois auf der einen Seite, der Künstler auf der anderen."

Seine Stammkneipe ist Los ­Rafaeles, „wichtigster Ort der Straße" und letzter Treffpunkt der Alteingesessenen. „Für mich fühlt es sich an wie eine Seemannskneipe." Der Besitzer, Jaume Pizá, hat die Bar im Jahr 1969 eröffnet. Man sieht ihm an, dass er gerne viel erzählt, aber auch nicht so recht rausrücken will mit den ­Geschichten. „Es sind schon viele Menschen hier gewesen", ist alles, was er sich an diesem Mittag entlocken lässt. Kauzige Besitzer sind immer ein gutes Zeichen für eine Bar.