Autos ­ohne Dach und Fenster haben einen entscheidenden Nachteil: Man ist in ihnen den Naturgewalten geradezu hilflos ausgesetzt. Das gilt selbst an einem halbwegs sonnigen März-Vormittag auf Mallorca. Noch dazu wenn man in einem Loryc Electric Speedster sitzt, dessen filigrane Windschutzscheibe ungefähr so viel Deckung vor dem Fahrtwind bietet wie ein Stück Zeitungspapier in einem Schneesturm. ­Charly Bosch, der neben uns am Steuer sitzt, scheint die unablässige Kaltluft­zufuhr im Cockpit egal zu sein. Mit einem Ausdruck endloser Glückseligkeit lenkt er den offenen Zweisitzer seit rund einer Stunde durch den Südosten der Insel.

Der Loryc ist das Kind des Deutschen, ein Baby, das erst vor wenigen Wochen auf die Welt kam. Und das war alles andere als eine einfache Geburt. Um das zu erklären, bedarf es einer kurzen Fahrt zurück in die Vergangenheit: Vor etwa drei Jahren kaufte der auf Mallorca lebende Industrie-Erfinder einen der letzten Ur-Lorycs, ein Überbleibsel der ersten und einzigen Automarke Mallorcas, unter der zwischen 1920 und 1925 rund 100 Fahrzeuge in Palma entstanden. „Ich war von dem Ding so begeistert, dass ich beschloss, diese Automobile wieder zurück auf die Straße zu bringen", sagt Bosch, der kurze Zeit später auch die Marke Loryc erwarb.

Im Gegensatz zu den schnaufenden Benzinmotoren von einst plante der Tüftler, seine neuen Lorycs mit hochmodernen Elektro-Triebwerken zu bestücken. Außerdem sollten die Repliken als Neufahrzeuge mit belüfteten Scheibenbremsen, LED-Beleuchtung und Servolenkung ausgestattet - und die ursprüngliche Karosserieform als Hightech-Plastik obendrauf gesetzt werden.

Zusammen mit einem befreundeten Ingenieur in Deutschland machte sich Bosch an die Arbeit, um vor rund einem Jahr die Rückkehr der einstigen Mallorca-Schnauferl als neuzeitliche Retro-Stromer lautstark zu verkünden. Das Echo in der deutschen Medienlandschaft war groß. Von der „Bild"-Zeitung über den „Spiegel" bis zur „Zeit" berichteten alle über die bevorstehende Wiedergeburt der bis dahin vollkommen unbekannten mallorquinischen Automarke von einst.

Doch die Pläne für das Comeback des Loryc standen damals noch auf sehr wackeligen Rädern. „Ich bemerkte schnell, dass unser Konzept eigentlich nicht meinen persönlichen Vorstellungen entsprach. Mir passte beispielsweise nicht, dass die Karosserie-Teile in Deutschland gefertigt werden sollten statt hier auf der Insel", so Bosch. Ständige Verzögerungen beim Bau sowie bei der Beschaffung zahlreicher Einzelteile führten schließlich dazu, dass der ­Mallorca-Deutsche die Handbremse zog, noch bevor der erste Loryc Electric überhaupt einen Meter gefahren war.

Aufgeben kam für Bosch nicht infrage. Stattdessen mietete er eine Werkstatthalle im Gewerbegebiet von Santa Ponsa, rüstete sie mit allen Schikanen aus, stellte einen Mechaniker ein und begann die Neuauflage des ­Loryc in kompletter Eigenregie zu übernehmen.

Das Ergebnis ist ein charmanter Mix aus Spaß-Mobil, Elektro-Auto und Retro-Speedster mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h. Außer einem leisen Getriebe-Heulen ist im Loryc Electric nicht viel zu hören. Das batteriebetriebene Triebwerk bringt nach Angaben von Bosch zwar nur 20 PS Leistung, die reichten bei unserer Ausflugstour aber locker aus, um den Wagen stets schnell und zügig über den Asphalt zu bewegen. Eine volle Stromladung soll für rund 200 Kilometer reichen.

Im Gegensatz zu dem eher filigran gezeichneten Ur-Modell besitzt der Loryc Electric von Charly Bosch größere Ausmaße. Das macht sich vor allem im Cockpit bemerkbar, in dem man dank vergrößerter Beinfreiheit auch mit einer Körpergröße von 1,95 Metern durchaus komfortabel sitzt. Statt der ursprünglich vorgesehenen PVC-Karosserie in Weiß glänzt der neue Loryc jetzt im handgedengelten und geschliffenem Aluminiumkleid, dessen Einzelteile mit Nieten versehen wurden und dem Fahrzeug so zu einer besonderen Retro-­Optik verhelfen.

Um dem Loryc zu einem europäischen COC-Zulassungszertifikat für Neufahrzeuge zu verhelfen, ließ Bosch seinen ­Prototypen im vergangenen Jahr beim TÜV Rheinland in Deutschland auf Herz und Nieren prüfen. Bremsen, Lenkung und Straßenlage entsprechen seitdem den Ansprüchen des heutigen Straßenverkehrs. „Der Wagen fährt sich kinderleicht und vermittelt ein Gefühl von Sicherheit", drückt das Bosch aus, während er gerade mit einer Hand am Lenkrad vor der kleinen Ortschaft Galilea eine Horde Fahrradurlauber überholt.

Bosch will den Loryc Electric in Zukunft auf der Insel bauen und verkaufen. Außer dem COC-Zertifikat, das in den kommenden Wochen in Deutschland ausgestellt werden und somit ermöglichen soll, dass die Lorycs in jeder europäischen Verkehrsbehörde eigene Fahrzeugpapiere bekommen, seien alle rechtlichen Auflagen erfüllt. Auch technisch sei das Fahrzeug ausgereift, selbst wenn Bosch mit seinem Auto fast täglich auf der Insel zu Testzwecken unterwegs ist. „Jeder Neuwagen muss einfach erst einmal ein paar Tausend Kilometer gefahren worden sein, um mögliche Mängel unter Dauer­belastung entdecken zu können", so der Erfinder.

Eines steht jedoch jetzt schon fest: Für jedermann ist der Loryc Electric nicht konzipiert. Grund dafür ist sein vorgesehener Verkaufspreis von stolzen 120.000 Euro pro Exemplar. „Jedes Auto wird ja in Handarbeit fertiggestellt. Rund tausend Stunden oder drei Monate braucht es, bis ein Wagen bei uns aus der Halle rollt. Das hat einfach seinen Preis", sagt Bosch.

Ein Vermögen anhäufen wolle er mit der Rückkehr der Automarke Loryc trotz der exorbitant scheinenden Verkaufspreise jedenfalls nicht. „Mir reicht es völlig aus, wenn in den kommenden Jahren wieder ein paar dieser Automobile auf der Insel unterwegs sind. Und das dürfte sicherlich auch viele Einheimische freuen."

www.lorycmallorca.com