Es gab einmal eine Zeit, da standen tatsächlich Ulmen an der Ulmenstraße - dem Carrer Oms. Am 22. Juni 1429, einem Mittwoch, wurde zum Beispiel offiziell verboten, ihre Äste abzuschneiden, wie aus einem in Diego Zafortezas mehrbändigen Nachschlagewerk „La ciudad de Mallorca" zitierten Dokument aus dem Stadtarchiv hervorgeht. Das Holz blieb wertvoll: Über drei Jahrhunderte später, 1788, wurde verfügt, dass es vor allem dazu verwendet werden sollte, am Vorgängergebäude des heutigen Teatre Principal, der Casa de las Comedias, ein repräsentatives Portal zu errichten.

Auch Mateu Martorell weiß davon, dass Jahre vor seiner Geburt in den 20er-Jahren noch Bäume am Rand der damals noch nicht asphaltierten Straße standen. Ob es Ulmen waren, kann er aber nicht sagen. Der 77-Jährige ist der Besitzer des wohl ältesten Lokals an der abschüssigen Straße, die die oben gelegene Plaça d´Espanya mit der unten gelegenen Rambla, die Ober- mit der Unterstadt, verbindet. Vier Jahre nach ihrer Eröffnung hat sein Vater im Jahr 1929 die „Bar España - Can Vinagre" übernommen. Damals gab es auf dem Carrer Oms noch keine Querstraßen, die kamen erst ab den 30er-Jahren hinzu.

Mateu Martorell bewirtschaftet die Bar seit 1973 und hat viele Veränderungen mitbekommen.Zum Beispiel die Umwandlung des Carrer Oms in Palmas erste Fußgängerzone im Jahr 1991. „Ich und andere Anwohner hatten uns 1990 bei der Stadt dafür starkgemacht, um mehr Leute anzulocken." Er erinnert sich noch genau an den 5. Dezember 1991, als die damals erst kürzlich offiziell nicht mehr auf Spanisch Calle Olmos genannte Fußgängerzone nach einer viermonatigen Probephase eröffnet wurde. „Davor hatte es hier immer Staus gegeben", so der Bar-Besitzer. „Hier fuhren früher auch Busse durch und davor sogar Straßenbahnen."

Im 18. Jahrhundert und davor war der Carrer Oms indes auch als „Mühlenstraße" bekannt. An der Ecke zur Rambla etwa stand der Molinet del Carme. Betrieben wurde die Mühle mit dem Abwasser, das vom Carrer Sant Miquel herunterströmte. Auch eine zweite solche Mehlmühle befand sich an der Ecke zur Carrer Sant ­Miquel, vor dem Kloster Santa Margalida, das im 18. Jahrhundert zu einem Militärhospital umfunktioniert wurde. Hinzu kam eine dritte Mühle, in der Salz zerkleinert wurde. Diese war nach der von der Verwaltung verfügten Schließung sämtlicher anderer Salzmühlen ab dem Jahr 1784 die einzige in Palma. Eine weitere Besonderheit war, dass auf der Straße die halb in den Kellern gelegenen Geschosse über Freitreppen erreicht wurden, die über die offenen Abwasserkanäle nach unten führten.

Auch ein von der Kirche betriebenes Waisenhaus, das Inclusa genannt wurde, befand sich hier einst. Ab 1796 lebten dort elternlose Kinder bis zu sechs Jahren, die an Adoptiveltern vermittelt oder - wenn sie älter waren - in das Armenhaus Misericòrdia an der Rambla gebracht wurden. 1953 wurde dieses Waisenhaus in die heutige Carrer General Riera umgesiedelt.

Mateu Martorell kann sich an die 1953 in den Carrer General Riera verlegte Inclusa noch erinnern. Erzählen tut er allerdings lieber von den Gästen, die über die Jahre in seine Bar fanden, von den vielen Lokalpolitikern etwa oder von einem 1996 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Torero namens Quinito Caldentey, der hier einen Großteil des Tages verbrachte. „Er gehörte hier schon zum Mobiliar."

Trubelig und geschäftig ging es auf dem Carrer Oms seit jeher zu, auf die Mühlen folgten die Handwerker und die Manufakturen: Früher gab es hier auch verschiedene Schmieden und eine Schuhfabrik. Sowie mehrere Wäschereien, auf dessen Kuddelmuddel der überlieferte Ausruf anspielt: „s´infernet del carrer dels Oms" (die kleine Hölle der carrer dels Oms).

Bereits Mitte der 90er-Jahre veränderten chinesische Händler das Straßenbild. Heute werden in neun dieser Geschäfte wie D&C-Fashion vor allem preisgünstige Schuhe verkauft. „Bei uns kaufen mehr Einheimische als Touristen", weiß Verkäufer Li. Und es bleibt geschäftig: Auf Höhe der Hausnummer 45 wurde unlängst ein Haus abgerissen, jetzt sollen dort laut Plakat schicke Läden und Wohnungen entstehen. Auch schräg gegenüber wird gerade ein Geschäft umgebaut.

Und dennoch: Trotz etlicher Inhaberwechsel halten sich im Carrer Oms immer noch einige Traditionsgeschäfte - alles Familienbetriebe. Da ist etwa die Druckerei Bohigas, die hier schon seit 1954 steht. Oder der Augenoptiker Óptica Lux, der 1945 aus der Nebenstraße Font i Monteros auf den Carrer Oms verlegt wurde. Auch das Tuch- und Gardinengeschäft Cortinas Quintan, der Juwelier Joyería Suiza und die Drogerie Olmos mit der Hausnummer 37 gehören zum Inventar dieser Straße. „Die werden sich, so wie ich, noch lange hier halten", prophezeit Bar-Besitzer Mateu Martorell.