Wenn man am Carrer de la Indústria auf der Terrasse vor dem Schinkentempel „Mariscal de Jamón" an einem Tisch sitzt, kann es passieren, dass einen - wie den MZ-Reporter - die vielen Hunde stören. Mit den zumeist angeleinten Vierbeinern muss rechnen, wer auf der Straße mit den vier ehemaligen und inzwischen denkmalgeschützten Mehlmühlen aus dem 17. Jahrhundert trinkt und speist, denn hier gibt es mehrere rechteckige Rasenflächen - trotz Verbotsschildern ein idealer Ort für das Ablegen von Exkrementen.

Ungeachtet des etwas abtörnenden Hunde-Gewusels ist die Gegend an dieser viel befahrenen einspurigen Ausfallstraße zum Vorort Son Rapinya, zum Villenviertel Son Vida und weiter in das Gebirgsdorf Puigpunyent gar nicht schlecht: In zwar ästhetisch nicht über Gebühr ansprechenden, aber in annehmbarem Zustand befindlichen 70er- und 80er-Jahre-Mehrfamilienhäusern mit großzügig bemessenen Balkons wohnen zwischen den Vierteln Santa Catalina und El Camp d´en Serralta vorwiegend gut situierte Familien. Es finden sich hier Restaurants, Geschäfte und kleine Dienstleistungsbetriebe - unter anderem ein Laden für Tanzschuhe, ein Secondhandgeschäft, eine Eisenwarenhandlung, ein Optiker und eine Filiale der Zeitarbeitsfirma Liberty Work. Auffällig viele Geschäftsräume besonders in der Nähe der Jaume-III-Verlängerung Carrer de Catalunya stehen allerdings leer, was der Straße einen etwas ramponierten Touch gibt.

Früher waren´s elf Mühlen

Im 19. Jahrhundert, als hier noch aufgereiht elf Mühlen standen und ansonsten alles nur plattes Land war, gab es mutmaßlich noch nicht so viele Hundehalter. Die Straße jedoch existierte bereits. Sie hieß schon hier - wie weiter draußen noch immer - Camí de Son Rapinya und inoffiziell naheliegend Camí dels Molins (Mühlenweg). 1880 erhielt der Abschnitt zwischen den heutigen Straßen Avinguda Argentina und dem Carrer Emil Darder den heutigen Namen, zuerst auf Spanisch und ab 1982 auf Katalanisch.

Und das, weil dort viele ­Fabriken standen, wovon heute gar nichts mehr zu spüren ist. Wo sich auf der Höhe der Nummer 10 das vornehme Vier-Sterne-Hotel Continental befindet, stand etwa nach 1880 jahrzehntelang ein industrielles, heute nur in den polígonos genannten Gewerbegebieten vorstellbares Gebäude namens „Garatje Indústria". Dort lagerte der Baumeister, Restaurateur, Schriftsteller und Archäologe Bartomeu Ferrà i Perelló (1843-1924) Baumaterialien - unter anderem für die von ihm erbaute Kirche des Vororts Son Rapinya.

Gäbe es die eindrucksvollen, aber zum Teil mit Unkraut bewachsenen Mühlen nicht, würde dieser Straße jegliches Flair fehlen. Ende der 50er-Jahre wurden die drei noch näher an der Innenstadt liegenden Exemplare mit den Namen Pep Felip, d´en Salom und d´en Figuereta abgerissen.

In den 90er-Jahren - die Wohnblocks standen noch gar nicht so lange - begannen die privaten Eigentümer der einst zum Verbund „Molinos del Poniente" gehörenden „West-Mühlen" damit, die Räumlichkeiten an Gewerbetreibende zu vermieten. Jenseits des südöstlichen Randes von Palma hatten sich beim Hafen von Portitxol einst die 28 Ost-Mühlen (Levante) befunden.

Im Carrer de la Indústria ist in einer Mühle etwa ein Jazz-Club namens „Molino Número 3" untergebracht, in einer anderen ein mobiler Pizza-Service und in einer weiteren das baskische Spezialitäten-Restaurant „Es Molí des Pou". Der nicht ganz billige Gastbetrieb lädt immer wieder baskische Gastköche ein und nennt seine Canneloni baskisch hart kanelon und den Kabeljau bakalao.

Denkmalschützer passen auf

Ein wachsames Auge auf die geschichtlich wertvollen Gebäude wirft die Denkmalschutzorganisation „Arca". „Wenn etwa jemand dort Parabolantennen anbringt, verständigen wir die Stadtverwaltung, die dann gegen die Mieter und Eigentümer einschreiten muss", sagt Xavier Terrassa von Arca. Auch die Errichtung von Balustraden oder Laternen vor den Mühlen sei unzulässig. Ohnehin dränge man immer wieder darauf, dass die Eigentümer die Gebäude in einen besseren Zustand versetzen mögen, was man auch von den Besitzern der ebenfalls früher zum Poniente-Verbund gehörenden Jonquet-Mühlen, die näher an der Küste liegen, erwarte.

Im „Mariscal del Jamón" - einer von drei Filialen der Schinken-Discountkette in Palma - sind den Mitarbeitern diese Details einerlei. Kellnerin Begoña hat verständlicherweise in erster Linie das Business im Blick. Man profitiere hier besonders abends von der nahe gelegenen Fábrica-Fußgängerzone, wo sich ein Restaurant an das andere reiht. „Wer ein bisschen mehr Atmosphäre erleben will, kommt zu uns." Gerade die dann im Lichte der Straßenlaternen leuchtenden Mühlen wirken besonders stimmungsvoll. Hundegewusel hin oder her.