Auch wer mit geschlossenen Augen hier herumläuft, wird schnell merken, dass das hier nicht die Avinguda Jaume III. oder der feine Borne ist. Denn nicht nur vor einer, sondern gleich vor zwei Kneipen, der Bar Chupito de Mary und der Bar Son Gotleu, wabert einem intensiver Marihuana-Geruch in die Nase - und das am Vormittag. Willkommen auf dem Carrer d´Indalecio Prieto, der Hauptschlagader durch Palmas von Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Armut gebeuteltes Zuwanderer-Viertel Son Gotleu.

So verkommen, wie der Drogengeruch diese schnurgerade Meile zwischen der kreisrunden Plaça de Miquel Dolç und der Ringautobahn um Palma erscheinen lässt, ist sie bei näherem Hinsehen aber gar nicht. Je mehr sich die mit zahlreichen einfachen Bars, aber auch properen Tante-Emma-Läden und einem Waschsalon bestückte Straße von der Brücke über die Ma-20 entfernt, desto gepflegter sehen die Wohnblocks aus. Hinzu kommt, dass schattige Bäume manch abgeblätterte Wand verdecken.

Dennoch: Die Probleme des Viertels sind offensichtlich. Die Stadt hat das Viertel jahrelang vernachlässigt. Ursprünglich waren es vor allem Zuwanderer vom spanischen Festland, die sich hier niederließen. Dann kamen auch gitanos - spanische Roma -, Schwarzafrikaner - vor allem Nigerianer und Senegalesen -, Marokkaner oder Pakistanis hinzu. Vielen der Menschen hier geht es nicht gut, die Gebäude verfallen, an den Straßenrändern türmt sich der Sperrmüll. Der Drogenhandel floriert, und immer wieder kommt es zu Spannungen vor allem zwischen den gitanos und den Schwarzafrikanern.

In den Schulen versucht man gegenzusteuern. Die drei öffent­lichen Grundschulen und ein Gymnasium sind schon mehrfach für ihre interkulturelle Pädagogik aus­gezeichnet worden. Wegen ihres fortschrittlichen Unterrichtskonzepts schicken auch Eltern von außerhalb von Son Gotleu ihre Kinder auf die Grundschule Es Pont (Die Brücke) am Ende vom Carrer Indalecio Prieto. Die spanischen, schwarzafrikanischen und marokkanischen Kinder werden hier in einer weitgehend entspannten Atmosphäre unterrichtet. „Son Gotleu ist nicht das Paradies auf Erden, aber auch nicht die Hölle", sagt ein Lehrer von Es Pont.

Bevor die Wohnblocks in den 60er-Jahren errichtet wurden, ging es hier noch recht ländlich zu. Gemäß des vom Ingenieur und zeitweiligen Bürgermeister Bernardo Calvet ersonnenen Stadtentwicklungsplans von Anfang des 20. Jahrhunderts hieß die Straße zunächst ganz simpel

calle E. Dann wurde sie umgewidmet in Calle del Capitán Crespí, nach einem im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) gefallenen Franco-Militär. Den heutigen Namen, nach einem sozialistischen Minister der spanischen Republik, erhielt die Straße am 30. Dezember 1987.

Als Kiez-Meile kann man den Carrer d´Indalecio Prieto nicht bezeichnen - dafür ist die Gegend im Ganzen zu arm. Vielmehr ist diese Straßen das nicht gänzlich unsympathisch daherkommende, aber doch auch verstörende Herz eines multikulturellen Viertels mit unverwechselbarem Charakter. Immerhin: Das gewaltige soziale Problem ist erkannt, in jüngster Zeit tut sich wieder etwas. So beantragte etwa die Stadtverwaltung von Palma erst kürzlich von der Europäischen Union Hilfen in Höhe von fünf Millionen Euro für Sofortmaßnahmen. Unter anderem soll ein Zentrum zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen entstehen. Mal sehen, ob´s klappt.