Wieder und wieder füllen die Frauen die Plastikeimer bis zum Rand mit Wasser und schütten sie schwungvoll über den Asphalt zwischen den Gräbern aus. Zwei Männer in blauen Overalls harken das Unkraut von den Grabplatten. Llubí bereitet sich auf Allerheiligen vor. „Dann werden die Bewohner aus Llubí wieder zusammenkommen", sagt der pensionierte Schreiner Bernat Perelló Mateu, und macht mit den Fingern der rechten Hand die typische Geste für „es wird voll". Der Friedhofsbesuch an Allerheiligen ist auf Mallorca weiterhin Tradition. Am Abend des 1. November wird der Boden vor Nelken, Chrysanthemen und Primeln kaum zu sehen sein.

In Llubí werden viele der Besucher auch einen Raum betreten, der links vom Friedhofseingang liegt. Beim MZ-Besuch am Montag (24.10.) schließt ihn Bürgermeisterin Magdalena Perelló auf. Es ist dunkel, schemenhaft sind Bilder an den Wänden zu erkennen, darunter stehen Stühle. Als Perelló die Holzfenster aufstößt und die Sonne hereinscheint, blicken ernste Gesichter auf uns herab. Es sind die Toten des Dorfes der vergangenen 40 Jahre. In den obersten Reihen unterhalb der Decke stehen lediglich die Namen mit Geburts- und Todesjahr. „Da hatten wir noch keine Fotos gesammelt", erzählt Magdalena Perelló. Viele der Bilder sind in Schwarz-Weiß, darunter stehen Name, Geburts- und Todestag.

„Das da oben ganz rechts ist mein Vater", sagt Bernat Perelló, der über Jahre ehrenamtlich auf dem Friedhof aushalf. Die Angehörigen der Verstorbenen brachten ihm, wie es in Llubí Tradition ist, Fotos, die er im Eingangsbereich des Friedhofs aushängte. Sie hingen, und tun es noch heute, immer ein Jahr aus: vom 1. November bis

zum 1. November des Folgejahres. Danach behielt Bernat Perelló die Bilder. Als es zu viele wurden, schlug er dem damaligen Bürgermeister Joan Ramis vor, sie im Rathaus aufzubewahren.

Schließlich fand sich 2013 dank einer Finanzspritze des aus Llubí stammenden Oliven-Unternehmers Cristóbal Rosselló eine andere Lösung: ein Raum auf dem Friedhof, in dem sich die Bewohner von Llubí in Ruhe an die erinnern können, die nicht mehr unter ihnen sind. Wobei dabei nicht nur getrauert wird. „Hier kann man sich auch ein wenig ausruhen und sich unterhalten. Wenn die Leute hier beisammensitzen, wird über Gott und die Welt geplaudert", erzählt Bernat Perelló.

Die Wände des ehemaligen Warteraums am Eingang sind mit Holzleisten ausgekleidet. Die gesammelten und zurechtgeschnittenen Bilder der Verstorbenen wurden auf kleine Keramikkacheln aufgezogen und Reihe für Reihe, bis zum heutigen Datum, dort eingefügt. „Nicht alle waren von der Idee begeistert", erzählt Bernat Perelló. „Manchen war es zu persönlich, vielleicht auch zu intim, dort in diesem Raum ausgestellt zu sein." Es gab auch Leute, die die Bilder ihrer Verwandten wieder entfernten. „Deshalb teilen uns die Familien jetzt immer schriftlich mit, wenn sie ein Bild wünschen", sagt die Bürgermeisterin.

Bernat Perelló ist seit fünf Jahren im Ruhestand. Die Aufregung, die wegen der Fotos bei einigen Leuten im Dorf entstanden war, kann er nicht ganz nachvollziehen. „Ich habe es gemacht, um dem Dorf etwas Gutes zu tun, mit bester Absicht." Auf den Fotos der Toten sind die Köpfe und ein Teil des Oberkörpers zu sehen. „Die meisten nehmen das aktuellste Foto, natürlich ein schönes", sagt Magdalena Perelló. Viele Männer tragen Anzüge, einige ältere Fotos zeigen Frauen in Tracht.

Fast 30 Menschen starben in Llubí im vergangenen Jahr:

30 Fotos, 30 Gesichter, 30 Lebensgeschichten. Ihre Bilder werden, wenn es die Verwandten wünschen, in den Gedenkraum übersiedeln und Teil der Erinnerung an die Toten von Llubí werden. Wer dies nicht möchte, von dem wird nur der Name auf der Kachel stehen. Beim Verlassen des Friedhofs zeigt Bernat Perelló auf die Plakette, die ihn als Mitgründer des Gedenkraums würdigt. „Das sollen die ruhig entfernen", sagt er. Er möchte nicht im Fokus stehen. Dieser Ort gehört dem Gedenken an andere.