Es ist durchaus möglich, sich in Cala Millor auch im Winter wohlzufühlen. Wenn man etwa auf dem Strand sitzt, den Blick auf den weißen Sand und das Meer und auf die Steilküste im Norden gerichtet, den Salzgeruch in der Nase, dann schwappt in einem ein gewisses Wohlgefühl hoch. Die Bezeichnung „beste Bucht" macht diesem Ort dann alle Ehre.

Dreht man sich indes um zu dem Häusermeer, das heute, am Freitag, dem 3. Februar 2017, unter einem bleigrauen Himmel dämmert, ist schnell Schluss mit der Idylle. Und wer dann noch fünf Minuten zur Avenida Bon Temps läuft, zum „Boulevard Gute Zeiten", dem sticht das winterliche Selbstverständnis dieses Sommer-Ferienparadieses ins Auge. Da ist etwa das an sich propere, aber im Winter geschlossene Vier-Sterne-Hotel Said. Im großzügig angelegten Vorgarten liegen überall Müllsäcke herum, der Eingang ist mit Brettern verrammelt.

Wenige Meter entfernt lehnt in einer Nebenstraße eine lebensgroße hölzerne Puppe, die an eine dieser Steinfiguren auf der Osterinsel erinnert, an einer rechteckigen Mülltonne. Ein paar Schritte weiter liegt hinter großformatigen Fensterscheiben leer und schmutzig die ehemalige „Chill-out-Bar" Copacabana und wartet auf einen neuen Mieter. Auf der anderen Seite der Avenida Bon Temps wurde vor der Tür zu den Apartments Santa María ein Gitter aufgestellt - eines von vielen. Der Wind pfeift durch die Straße, ein älteres deutschsprachiges Paar schlurft vorbei. „So schlecht ist das hier doch nicht", sagt die Frau halblaut.

Cala Millor gibt es seit Anfang der 30er-Jahre. Jaume Vicens Andreu baute damals hier die erste Herberge, das Hotel Eureka. Drei Jahrzehnte schlief der idyllisch gelegene Ort vor sich hin, bis in den 60ern und 70ern die damals üblichen klobigen Apartmenthäuser in die Landschaft gesetzt wurden. Man legte die Fußgängerzone Carrer Cristòfol Colom und deren Verlängerung Carrer des Sol an - und seitdem hat sich so viel nicht getan. Noch immer muten die braunen, teils abblätternden Sitzbänke und die Betonplatten auf dem Boden an, als befände man sich in Berlin-Marzahn, Bremen-Gröpelingen oder München-Feldmoching. Nur die Pitbulls samt Haltern fehlen.

Dass trotz der Kälte ein paar Urlauber hier hingefunden haben, ist achtbar. Deutsche, spanische und englische Stimmen dringen ins Ohr. „Hier hat ja gar nicht viel geöffnet, wa", sagt ein grauhaariger Mann mit Berliner Akzent. Man flaniert, schaut aufs Meer oder guckt andere Leute an. Und hört Baulärm, der hoffentlich dazu dient, dem Ort zumindest ein wenig den Plattenbau-Touch zu nehmen: In mehreren Gebäuden sind Arbeiter aktiv, Straßen werden - wie von der zuständigen Gemeinde Son Servera vor einiger Zeit angekündigt - aufgerissen und verschönert. Und im Burger King bekommt man immerhin einen Hamburger.

Geht es nach einem Gang durch die Häuserschluchten wieder Richtung Meer, schwindet schnell das dumpfe Gefühl in der Magen­gegend, vielleicht am falschen Ort zu sein - erst recht, wenn das Wasser durch Sonnenstrahlen erhellt türkisfarben schimmert. Dann könnte das hier glatt auch ein Strand auf den Bahamas sein.