Es ist ein Name, der in Spanien, wie seinerzeit Horst in Deutschland, auf die politische Gesinnung der Eltern schließen lässt: Viele der vielen José Antonios des Landes sind nach José Antonio Primo de Rivera benannt. Der Anwalt und Gründer der faschistischen Falange-Partei wurde am 20. November 1936 mit nur 33 Jahren in Alicante von Anhängern der Spanischen Republik erschossen. Das Franco-Regime stilisierte den Sohn des von 1923 bis 1930 unter König Alfonso XIII. herrschenden Diktators Miguel Primo de Rivera in der Folge zu einem Märtyrer. 80 Jahre nach José Antonios Tod hat der mallorquinische Historiker Joan M. Thomàs nun eine umfangreiche Biografie über ihn veröffentlicht (Debate, 512 Seiten, 23,90 Euro).

Wer war José Antonio Primo de Rivera?

Er war der bedeutendste Führer der spanischen Faschisten. In der Zeit der Zweiten Republik (1931-1939) war sein politischer Einfluss eher beschränkt. Unter Franco kannte der Personenkult um ihn jedoch kaum Grenzen. Der US-amerikanische Historiker Stanley G. Paine bezeichnete ihn mal als den weltlichen Heiligen des Regimes.

Wie ist er bislang von der Geschichtswissenschaft behandelt worden?

Die historische Betrachtung seiner Person war von der Manipulation des Regimes gezeichnet. Erst seit den 60er-Jahren verfügen wir über einige seriöse Studien. Viele Historiker haben ihn außen vor gelassen, weil das Regime ihn so sehr vereinnahmt hatte und sich daher viele Forscher einfach nicht mit ihm beschäftigen wollten.

Sie hatten da keine Berührungsängste?

Es hat viel Zeit gekostet, mich dieser Figur abgeklärt zu nähern. Ich empfinde weder Abneigung noch Empathie mit ihr, aber ich glaube, sie hat eine kritische Studie verdient.

Warum ging Primo de Rivera in die Politik?

Hauptsächlich deshalb, weil viele in den 30er-Jahren glaubten, Spanien befände sich in einer tiefen Krise. Es war ein Land mit ungelösten strukturellen Problemen: ungerechte Landverteilung, fürchterliche Klassenunterschiede und regionale Nationalismen, die nach Ansicht von Primo de Rivera die Einheit Spaniens bedrohten. Er ging auch deshalb in die Politik, weil er glaubte, dass die herrschenden Klassen und der König seinen Vater daran gehindert hatten, eine reformorientierte Autokratie zu etablieren. Zudem gründete José Antonio seine Bewegung, weil er davon überzeugt war, dass eine mögliche kommunistische Revolution Spanien bedrohte.

War er davon besessen, Spanien zu führen?

Auf jeden Fall. Erst gründete er eine Partei, dann wollte er sie führen, danach ging es ihm darum, an der Spitze eines neuen Regimes zu stehen. Allerdings formulierte er diese Absicht in seinen Schriften nie so klar. Man kann sie aber ohne weiteres aus seinem Wirken herleiten.

Dachte Primo de Rivera irgendwann daran, der Politik den Rücken zu kehren?

Durchaus, aber er glaubte, das sei nicht ethisch, weil bereits viele junge Falange-Mitglieder gewaltsam ums Leben gekommen waren. Ich glaube schon, dass er sich zeitweise vorstellen konnte, dass auch andere das Spanien wiederherstellen konnten, was ihm vorschwebte. Vorübergehend begeisterte er sich etwa für Manuel Azaña und Indalecio Prieto (späterer Präsident der Republik sowie sozialistischer Politiker, Anm. d. Red.). Er war dann aber auch schnell von ihnen enttäuscht und ging weiter seinen Weg.

War er gebildet?

Ja, und außerdem ein beflissener ­Leser. Aber ich glaube nicht, dass er - wie das Franco-Regime propagierte - der Schöpfer einer eigenen, unverwechselbaren Doktrin war. Seine Ideologie speiste sich aus sehr konkreten Quellen, etwa José Ortega y Gasset, Eugenio d´Ors oder Benito Mussolini.

Wie war er sonst gestrickt?

Er war sehr verantwortungsbewusst, sehr ernst, rigoros, ordentlich. Er neigte auch zu Wutausbrüchen, die seine Parteifreunde „biblisch" nannten. Er konnte punktuell gewalttätig werden, war aber gleichzeitig scheu und sympathisch und für viele Menschen attraktiv.

José Antonio hatte immer seinen Vater im Kopf €

Er verglich sich mit ihm, um nicht einige seiner Fehler zu wiederholen. So wie der Vater glaubte auch der Sohn, dass Spanien eine Revolution brauche. Doch während seinem Vater eine Autokratie vorschwebte, träumte José Antonio von einer totalitären Umwälzung mit einer faschistischen Partei und ihm selbst als Führer. Sein Vater hatte große Probleme mit führenden Intellektuellen wie Ortega y Gasset oder Miguel de Unamuno, er dagegen umgab sich mit konservativen Denkern, die ihn anhimmelten. Anders als sein Vater drückte er sich betont gewählt aus. Er stellte manchmal so übertrieben seine Belesenheit zur Schau, dass man ihn nicht verstand.

Fühlte er sich wohl unter seinen Parteigenossen?

Ja, seine einer Miliz ähnliche Partei war hierarchisch aufgebaut, er wurde verehrt. Es gab aber auch Machtkämpfe, etwa mit dem ihm intellektuell überlegenen faschistischen Theoretiker Ramiro Ledesma, der aus der Partei flog. An die Macht zu gelangen, war für José Antonio nicht schwer, schließlich war er der Sohn des Diktators. Zudem war er sehr reich, aus eigenen Verdiensten als Anwalt.

Wie wäre er mit dem Franco-Regime ausgekommen?

Vor dem Bürgerkrieg hatten er und Franco kein gutes Verhältnis. Während Primo de Rivera ein größeres Engagement der Militärs für das neue Spanien verlangte, war Franco sehr vorsichtig. Das spätere Regime wäre ihm, glaube ich, nicht faschistisch genug gewesen. Außerdem hätte José Antonio die von linken Politikern „getäuschten" Massen zurückgewinnen wollen. Franco behielt hingegen stets die Unterscheidung zwischen Siegern und Besiegten bei.

Wie würden Sie als Dozent Spaniens Umgang mit seiner Vergangenheit benoten?

Ganz klar ungenügend. Es gibt da Lektionen, die seit 35 Jahren aufgearbeitet werden müssen. Als Bürger finde ich es zudem beschämend, dass in diesen Jahren der Demokratie lange nichts unternommen wurde, um all den Opfern der Repression ein würdiges Begräbnis zuteil werden zu lassen.