Den Wachturm von Rafeubetx gab es scheinbar nur noch auf dem Papier: Ein Geheimnis umflorte das verschüttete Bauwerk samt Tunnel in den vergangenen Jahrzehnten. Deswegen hatte sich der Hobby-Historiker Àngel Aparicio schon vor längerer Zeit in den Kopf gesetzt, die Anlage auf einem Militärgelände südöstlich von El Toro auszugraben. Im Oktober vergangenen Jahres hatte der Mallorquiner offiziell im Verteidigungsministerium in Madrid eine Erlaubnis beantragt - und sie nach dreimonatiger Wartezeit bekommen.

Und so legten Aparicio und seine Helfer jetzt die Reste des vor mehr als einem halben Jahrhundert teilweise niedergerissenen Turms frei. Dabei näherten sie sich ihm von unten her durch einen an der Steilküste beginnenden Tunnel.

Àngel Aparicio steht einer privaten Studiengruppe vor, die sich seit Jahren mit Wehranlagen auf den Balearen beschäftigt. Bei den Grabungen zur Seite standen dem Festungsnarren und seinen Leuten auch ein Oberleutnant, ein Unteroffizier und zwei Soldaten, die der für das Gelände zuständige General Juan Cifuentes abgestellt hatte.

Schutz vor Piraten

Schutz vor PiratenDen Turm - einer von mehreren an der Westküste - hatten die christlichen Herrscher Mallorcas bereits im 14. Jahrhundert errichten lassen. Sie beauftragten den Steinmetz Antoni Planes damit, im Gebiet von Trafalempa an der Steilküste von Rafeubetx im Westen der Insel aktiv zu werden. Dabei ging es ihnen darum, Schiffe nordafrikanischer Piraten, die sich näherten, früh genug zu erspähen. Der Wachturm war Teil einer von Südosten nach Nordwesten verlaufenden Linie - von einer Anlage am Cap Blanc über den Malgrat-Turm bei Santa Ponça bis hin zum La-Mola-Turm in der Bucht von Andratx, über den Aparicio 2015 auch ein Buch veröffentlichte. Die Verständigung zwischen den fast 60 Anlagen dieser Art auf Mallorca gelang mit Rauchzeichen - was erst am 7. Januar in einer aufsehenerregenden Aktion nachgestellt wurde.

Der Wachturm hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Nach Ewigkeiten in Privatbesitz übernahm ihn 1867 das spanische Finanzministerium. Auch die als strategisch wichtig angesehenen Ländereien rund um die Bauwerke gingen in Staatsbesitz über, das Militär enteignete sie im Jahr 1914, nachdem der Erste Weltkrieg begonnen hatte.

1917 - es war noch nicht klar, wer den Krieg gewinnen würde - schafften die Militärs vier Geschütze auf den Wachturm. Spanien war zwar neutral, lief aber Gefahr, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Die Geschütze wurden allerdings kurioserweise erst im Jahr 1927 gefechtsbereit gemacht.

1940 - der Spanische Bürgerkrieg war zwar vorbei, aber der Zweite Weltkrieg bereits am Laufen - funktionierte das Militär den Wachturm in ein kleines Verteidigungsbollwerk mit einem Tunnel und einer in 14 Metern Tiefe liegenden Kommandozentrale um. Spanien war zwar auch in diesem Krieg neutral. Aber es wurden trotzdem Angriffe befürchtet.

Anfang der 50er stand der Turm von Rafeubetx schließlich ­Schießübungen mit neuen Waffen im Weg. Der obere Teil des Bauwerks wurde deswegen 1952 abgetragen. Mit den Steinen und zusätzlichem Erdreich schütteten die Militärs die Anlage zu - und machten das so perfekt, dass nichts mehr aus der Luft zu identifizieren war. Deswegen wurde der Turm von Rafeubetx auch nicht in eine Auflistung schützenswerter europäischer Kulturgüter aufgenommen. Er geriet in Vergessenheit.Entdeckung nach einer Stunde

Entdeckung nach einer StundeDoch im Archiv des Königreichs von Mallorca in Palma (Arxiu del Regne de Mallorca) - es gilt als Inselgedächtnis - gibt es Zeichnungen aus der frühen Franco-Zeit (s. o.), die es Aparicio und seinen Leuten jetzt erleichterten, sich bei der Suche zu orientieren. Hilfreich war auch ein weiteres Dokument aus dem Jahr 1807, das im Archiv des Militär-Oberkommandos der Balearen schlummerte: „Das Bauwerk hat genau die gleiche Höhe und den Durchmesser wie der Turm in Cala Figuera", heißt es darin unter anderem. Auch zwei bewaffnete Wächter, die dort Dienst taten, waren dokumentiert.

Àngel Aparicio und seine Leute fanden den Turm von Rafeubetx bereits nach einer Stunde Suchen. Danach drangen sie von der Steilküste her von unten in den gut erhaltenen Tunnel vor, der in die gut in Schuss befindlichen unterirdischen Räume führt. Die Wendeltreppe hinauf zum Turm ist ebenfalls gut erhalten.

Es gestaltete sich für die Hobby-Archäologen nicht immer angenehm, sich vorzuarbeiten. Das lag am Buschwerk, das sich dort über die Jahrzehnte breitgemacht hatte. Große Fledermäuse flogen ihnen um die Ohren, auch kaninchengroße Ratten trieben sich herum. Doch das lästige Getier tat der Hochstimmung ob des Funds keinen Abbruch.

Ob die nun wiederentdeckte Verteidigungsanlage in absehbarer Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist allerdings nicht sicher. Denn Militärs lassen bekanntlich ungern Fremde auf ihre Areale.