Man kennt sie aus dem Fernsehen, die Bilder der Flüchtlingsboote, die von der Türkei aus zur griechischen Insel Lesbos übersetzen. Die Bilder zusammengepferchter Familien, die Bilder kenternder Boote und panischer Schiffbrüchiger, die gegen das Ertrinken kämpfen - und nicht immer gewinnen. Viele der ­Flüchtlingskinder, die in den Camps und Lagern auf Lesbos ausharren, kennen diese Szenen aus eigener Erfahrung. Auch sie sind größtenteils in dramatischen Überfahrten nach Lesbos gekommen.

„Viele hatten nie zuvor das Meer gesehen. Und jetzt verbinden sie es mit Tod und Leid", sagt Antonia Triguero. Sie koordiniert ehrenamtlich die ­Flüchtlingshilfegruppe Ara Amb ­Siria (zu Deutsch: Jetzt mit Syrien) auf Mallorca. Triguero war selbst auf Lesbos, weiß, wie die Kinder auch im Nachhinein noch unter ihren Erfahrungen leiden. Schwimmen und Planschen im Meer, Burgenbauen am Strand - was anderen Kindern Spaß bereitet, bedeutet für die Flüchtlingskinder auf Lesbos oft Stress und löst Angst aus. „Nicht wenige tragen Traumata davon", so Triguero.

Doch Traumata können geheilt werden. Am 6. Juni flog Triguero mit fünf anderen Mallorquinern auf die nordostägäische Insel. Noch bis August sind insgesamt 15 Mallorquiner vor Ort. Ihr Ziel: den Kindern zu zeigen, dass Wasser etwas Gutes sein kann. „Wir gingen jeden Tag mit rund 20 Kindern zwischen drei und 15 Jahren zum Strand", berichtet Xisca María Pérez im Gespräch mit der MZ. Sie ist eine der Freiwilligen, die sich Triguero anschlossen, wirkt sympathisch und aufgeschlossen und ist bereits wieder zurück auf ­Mallorca. Einige der Kinder hätten sich auf die Ausflüge gefreut, andere wiede­rum zögerlich reagiert.

„Ein kleiner Junge hat drei Tage gebraucht, um das Wasser überhaupt nur berühren zu wollen. Er hat sich an mein Bein geklammert und sich geweigert, weiterzugehen", erinnert sie sich. Doch mit viel Geduld, gutem Zureden und buntem Schwimmspielzeug schafften es die Freiwilligen schließlich, den Kleinen zum Planschen zu bewegen. „Am Ende meines Aufenthalts wollte er gar nicht mehr aus dem Wasser raus", sagt Xisca. Nach den ­Schwimmstunden wurde jedes Mal ein Picknick am Strand gemacht, in der Nähe des Wassers, aber in gezielt geschütztem Rahmen. Mit dabei waren zahlreiche Freiwillige der spanischen Non-Profit-Wasserrettungsorganisation „Proe­maid", die das „Proyecto Agua" (Wasserprojekt) ins Leben gerufen hat. Seit Dezember 2015 sind sie auf Lesbos im Einsatz, um sich der Flüchtlinge anzunehmen, die noch immer versuchen, von der Türkei aus per Boot nach Europa zu gelangen - wenn auch in kleineren Scharen als noch vor einem Jahr.

Die Mallorquinerin Xisca sah während ihres Aufenthalts auf Lesbos mit eigenen Augen, wie Gruppen von Flüchtlingen die Überfahrt wagten. Jede Nacht hielt sie mit Helfern von „Proemaid" Wachdienste, um zu sehen, ob neue Flüchtlingsboote im Anmarsch sind, und um schnell helfen zu können. „Wir ­waren mit ­Ferngläsern ausgestattet und entzündeten Feuer, an denen sich die Flüchtlinge auf dem Meer orientieren konnten." Während Xisca vor Ort war, schaffte es kein Boot durch die mittlerweile strengen Überwachungssysteme des europäischen Grenzschutzes Frontex. „Sie wurden alle auf dem Meer abgefangen."

Diejenigen, die es schaffen, kommen größtenteils in den befestigten Flüchtlingslagern der Insel unter. Solange, bis klar ist, wie es mit ihnen weitergeht. Andere - so wie die Kinder, die am Wasserprojekt teilnehmen - wohnen auf einem ehemaligen Campingplatz. „Dort geht es den Menschen vergleichsweise gut", sagt Xisca, die schon mehrmals an Hilfsprojekten auch auf dem griechischen Festland teilgenommen hat. Man spürt die Verbitterung der 48-Jährigen, je mehr sie in ihre Erinnerungen eintaucht. „Woran es am meisten fehlt, sind Psychologen." Ersetzen können die Freiwilligen von Proemaid und Ara amb Siria diese nicht. Doch Xisca glaubt an die kleinen Erfolge, wie die im Wasserprojekt. „Es ist nur eine Kleinigkeit. Aber jedes Sandkorn ist wichtig, um eine Burg zu erbauen."

An eine Wiederholung des Wasserprojekts im kommenden Sommer will Koordinatorin Antonia Triguero noch nicht denken. „Hoffentlich ist es dann nicht mehr nötig. Vielleicht hören die Flüchtlingsströme ja bis dahin auf", sagt sie. Überzeugt klingt sie nicht.

Weitere Infos: www.facebook.com/araambsiria/