Direkt gegenüber liegt Benetton. Tag für Tag ziehen hier - einige Meter unterhalb der Plaça Major, direkt an der Carrer Jaume II - Tausende

Touristen und Schnäppchenjäger vorbei. Wenn es eine beste Lage für den Einzelhandel in Palma de Mallorca gibt, dann diese. Rund um die Mercería Àngela rollt der Euro.

Doch Miquel Aguiló hält nicht viel von anpassen. In seiner mercancía (zu Deutsch: Kurzwarenhandlung) verkauft er, ebenso wie seine Vorfahren seit nunmehr 332 Jahren, alles, was man zum Stopfen, Nähen und Schneidern braucht. Bis zu den Decken stapeln sich - gut sortiert zur Schau gestellt - Knöpfe in allen Farben, Formen und Materialien sowie Garn, Kordeln, Bordüren, Reißverschlüsse, Broschen, Strumpfhosen und Fingerhüte.

Dass sich das Sortiment seit vielen, vielen Jahren nicht großartig verändert hat, geht aus den alten Dokumenten hervor, die Aguilós Vorfahren hinterließen. Sie waren in einer Kiste aufbewahrt, die zwischen anderen im Laden in Vergessenheit geraten war und auf die er eines Tages vor gut zehn Jahren stieß. „Mein Vater sagte damals: 'Schmeiß sie weg.'" Miquel Aguiló tat es nicht und begann stattdessen zu recherchieren, bis er auf 1685 als Gründungsjahr stieß. Die Geschichte des Ladens war wohl in Vergessenheit geraten, weil der Großvater noch vor der

Geschäftsübergabe starb.

Von Beginn an verkaufte die Familie in der mercería Nähsachen. „Die Produkte sind grundsätzlich die gleichen geblieben, nur das Design und die Art der Herstellung haben sich natürlich verändert", so Miquel Aguiló. Als er vor 40 Jahren im Alter von 15 seinem Vater hinter dem Verkaufstresen erstmals zur Hand ging, herrschten noch Baumwoll- statt Nylonstrumpfhosen und gediegene Horn- statt stylische Kunststoffknöpfe vor. Schmuckvolle Fächer, Krawatten und Tücher sind aber bereits damals im Sortiment gewesen. Auch altmodische Stofftaschentücher stehen nach wie vor zum Verkauf. Nicht unbedingt das, was die Kaufwilligen im Zentrum

Palmas suchen.

Aguiló weiß: Der Wandel ­außerhalb des urigen Ladenlokals im Carrer Jaume II ist rasant. „Vor 100 Jahren hat es allein auf dieser Straße wohl neun weitere Kurzwarenhandlungen gegeben." Die Mercería Àngela - übrigens benannt nach

Aguilós Großmutter - war die größte und ist die einzige im Umkreis, die überlebt hat.

Als Aguiló aktiv in das Unternehmen einstieg, lebten auch noch viel mehr Menschen im Stadtzentrum: „Die Mieten waren noch erschwinglich, und der Laden war immer voll." Kleidung war in der Regel teurer als heute. „Früher flickten die Leute ihre Anziehsachen und brauchten unsere Artikel, heute handeln viele nach dem Prinzip: kaufen und wegschmeißen." Damals ­hätten sie noch mit sechs Mitarbeitern bedient. Heute reicht es, wenn sich Aguiló und seine Frau abwechseln.

Ein bisschen Wehmut schwingt in seiner Stimme mit, dabei kann er sich über Langeweile eigentlich nicht beschweren. Alle paar Minuten kommen Kunden in den kleinen Laden: zwei ältere señoras, die eine

Rolle Garn in einem ganz bestimmten Türkis-Blau-Farbton suchen. Eine Mallorquinerin mittleren Alters, die Nieten an ihrer modischen Handtasche verloren hat und neue annähen möchte. „Ach, und vielleicht habt ihr ja auch diese Plastikverschlüsse für Bikini-Oberteile", fragt sie. „Meiner ist mir kaputtgegangen." Aguiló nickt. „Haben wir." Zielstrebig geht er auf eine der zahllosen Schubladen zu und hält seiner Kundin eine Auswahl hin.

Und so geht es weiter. Touristen gucken interessiert in das Lokal, viele zieht es aber schnell wieder nach draußen. In gut einer Stunde verkauft Aguiló zwei Schnallen für Hosenträger, zwei kleine Plastikknöpfe, einen Stoffaufnäher und ein paar spezielle Nadeln. „Klar, ich habe Kunden", lenkt Miquel Aguiló ein. Doch den großen Reibach kann er mit 10-Cent-Knöpfen natürlich nicht machen. „Ich kann von dem Laden leben. Aber reich werden ist damit heute unmöglich."

Ein Vertreter betritt den ­Verkaufsraum, wartet höflich, bis Aguiló Zeit für ihn findet. Dann geht es an die Warenbeschau, Aguiló muss zwischen Aberhunderten von Knöpfen die geeigneten auswählen, die er in sein Sortiment aufnehmen will. „Heute darf man sich bei seiner Wahl nicht vertun. Das war früher anders, da hat man ohnehin für alles Abnehmer gefunden", erinnert er sich.

Trotz der nicht allzu rosigen Aussichten: Man merkt Aguiló an, dass er seine Arbeit mag und auch, wie er sich mit der über elf Generationen andauernden Familiengeschichte verbunden fühlt. „Sonst hätte ich den Laden schon lange dicht gemacht", sagt er. Es ist wohl auch dieser Stolz, der diesen Asterix des Einzelhandels daran hindert, zu verkaufen.

Seine Tochter (17) habe kein Interesse an dem Laden, sein Sohn (18) schon eher. „Vielleicht wird er ihn einmal übernehmen", sagt Aguiló. Er macht seinem Sprössling keine Illusionen. „Ich habe ihm selbst gesagt, dass er auf jeden Fall mehr und leichteres Geld machen würde, wenn er den Betrieb aufgeben und den Laden vermieten würde." Er könne verstehen, wenn sein Sohn eines Tages so entscheiden sollte. „Von Tradition alleine kann man nicht leben." Und doch: „Gut zehn Jahre bleiben mir noch bis zur Rente. Und so lange bleibt alles beim Alten."