Geschickt springt Sebastián Álvarez auf eine kleine Felsplattform, begutachtet die steile Wand vor sich, atmet noch einmal durch und beginnt dann zu klettern. Ohne Sicherungsseile oder andere Hilfsmittel. Sein Netz und doppelter Boden ist das türkise Mittelmeer unter ihm, das nur dazu einlädt, hineinzuplumpsen. Doch Álvarez plumpst nicht. Konzentriert sucht er den Fels nach kleinen Vorsprüngen ab, an denen er sich hochziehen kann, und kommt überraschend schnell voran, immer höher hinauf, weg von den Wogen unter ihm. An einem Überhang hält er noch einmal kurz inne, als ob er Mut ansammeln wolle. Dann packt er zu, stößt sich mit den Füßen ab - und baumelt plötzlich in der Luft. Mit kräftigen Bewegungen hangelt er sich nur mit den Händen weiter voran, Meter um Meter, bis seine Füße wieder den Fels berühren können. Er dreht sich um, blinzelt in die Sonne und strahlt triumphierend.

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Sebastián Álvarez ist 40 Jahre alt und studierter Jurist. Beides sieht man ihm nicht an. Sein Oberkörper ist durchtrainiert, sein Lächeln hat etwas Schelmisches an sich. Schon immer war er kletterbegeistert, erzählt er. Im Jahr 2014 gründete er die Firma „Rock and Water". Gemeinsam mit vier festen Mitarbeitern bietet Álvarez Abenteuer- und Klettertouren auf der ganzen Insel an. Im Fokus steht aber immer das eine: Psicobloc, wie es die Mallorquiner nennen, oder Deep Water Soloing (kurz: DWS). „Man könnte sagen, es ist eine Abwandlung des Boulderns, weil man wie bei der Hallensportart nicht gesichert ist. Aber eigentlich ist es das genaue Gegenteil", findet Álvarez und lässt sich auf einem Felsen nieder. „Beim Bouldern ist alles kontrolliert, die Route, der Schwierigkeitsgrad, das Licht, der Boden. Beim Psicobloc ist nichts klar."

Als Pionier im Klippenklettern auf Mallorca gilt Miquel Riera, der das DWS auf Mallorca seit Ende der 70er-Jahre immer bekannter gemacht hat - oder besser: der Kletterfans weltweit auf Mallorca aufmerksam gemacht hat. Das Internet tat sein Übriges: Immer mehr spektakuläre Videos wecken selbst bei Sportmuffeln die Abenteuerlust. „Ich glaube, das geht vielen Menschen so. Denn der Sport ist sehr ästhetisch und die Natur wunderschön. Aber den Schritt, es wirklich auszuprobieren, gehen die meisten dann doch nicht", sagt Álvarez. „Klettern allgemein ist gerade in Mode." DWS sei aber auch weiterhin ein Minderheitensport. „Es traut sich halt nicht jeder."

Der Schwerpunkt bei Álvarez' Unternehmen „Rock and Water" liegt auf dem Klippenklettern. Anders als bei anderen Touranbietern, wie Álvarez behauptet. „Psicobloc ist weniger lukrativ als andere Abenteuersportarten. Man kann nur mit kleinen Gruppen losziehen und muss beweisen, dass man deutlich besser ist als die ­Teilnehmer, sonst ziehen sie lieber ohne Guide los."

Allein im Business ist „Rock and Water" aber nicht. Eine Handvoll anderer Unternehmen bieten ebenfalls DWS auf Mallorca an, wenn auch teilweise nur als Nebenprodukt. „Ich finde schon, dass man von einem Trend sprechen kann", sagt Justin Williams. „Gerade in den vergangenen zwei Jahren ist das DWS auf Mallorca total ­populär geworden." Williams arbeitet bei dem Unternehmen „Rock and Ride". Hier dürfen sich sogar Kinder an die Felswand wagen, wenn ihre Eltern dabei sind. „Nein, gefährlich ist das nicht", winkt Williams ab. „DWS heißt ja nicht gleich, dass man wahnsinnig hoch hinaus muss. Bei den Anfängertouren suchen wir Stellen, wo sie nur zwei bis drei Meter über dem Meer klettern." Dass immer mal davon zu hören ist, dass sich Jugendliche beim Klippenklettern und -springen verletzen oder gar sterben, führt Williams auf die fehlende Begleitung zurück. „Gerade Mallorquiner gehen oft auf eigene Faust los und dann ist es tatsächlich riskant."

Generell sei die Küste rund um Santanyí am besten für ­Anfänger geeignet, findet Tracy Tomlin von „Experience Mallorca", einem weiteren Tourunternehmen. „Unsere Führer testen jede Stelle, bevor sie Kunden mitnehmen." Und auch die Teilnehmer selbst würden vorab getestet. „Oft überschätzen sich die Menschen. Außerdem ist Klettern kein geschützter Sport und die Niveaubezeichnungen variieren von Land zu Land." Man müsse ständig Vorsicht walten lassen. „Wenn die Leute zu lange im Wasser planschen, weichen ihre Finger auf und sie haben keinen Halt mehr am Fels." Gleiches gelte für die Witterung: Wenn der Fels feucht ist, dann sei DWS keine gute Idee. Unerlässlich sei eine Versicherung. „Das sollte man auf jeden Fall abklären, bevor man sich für einen Tour-Anbieter entscheidet", rät Tomlin.

Bei „Mallorca Climbing Camps" ist Sicherheit eine Selbstverständlichkeit. Hier führt teilweise sogar Psicobloc-Gründer Miquel Riera durch die Klippen. „Am ungefährlichsten ist es, je steiler der Fels ist", so Firmenchef Amos Whiting. Noch besser seien sogar Überhänge, denn dann sei ein sauberer Fall ins Wasser gewährleistet. „Aber das ist natürlich nicht so leicht, man sollte ein fitter Indoor-Climber sein, wenn man die Erfahrung des DWS in vollen Zügen genießen will."

Sebastían Álvarez von „Rock and Water" genießt das DWS fast täglich. Sowohl mit Kunden als auch allein. „Es hat eine psychologische Komponente. Während man an der Felswand hängt, denkt man an nichts anderes", sagt er und setzt wieder sein schelmisches Lächeln auf. Vor allem danach fühle man sich klasse. „Wer es schafft, am freien Fels zu klettern, dem kann im Alltag so schnell nichts mehr Angst machen", sagt Álvarez.