Die Geschichten des Freigeistes

Regelmäßige Leser der MZ wissen mit dem Namen Roland Winterstein natürlich etwas anzufangen. Mehr als 100 seiner Kolumnen über die Insel hat unsere Zeitung bereits veröffentlicht. 58 von ihnen hat der gebürtige Nürnberger, der auch Dreh- und Kinderbücher schreibt, nun unter dem Titel „Haus auf Mallorca" zu einem liebevoll gestalteten Büchlein zusammengefasst, das im Verlag Limosa erschienen ist. Winterstein, der seit 1993 mehrmals im Jahr auf Mallorca ist, schreibt über Alltägliches und Ausgefallenes. Dabei muss nicht alles selbst erlebt worden sein, wie er der MZ gesteht. Er habe genauso Erzählungen von Bekannten wie auch komplett Fiktives eingearbeitet. „Fortsetzung folgt?" heißt es stets am Ende seiner Kolumnen. 2018 soll bereits der nächste Band erscheinen.

Wintersteins Mallorca beginnt mit einem Brief, der den Autor davon in Kenntnis setzt, dass er ein Häuschen auf der Insel geerbt hat. Während er und seine beiden Söhne keine großen Schwierigkeiten hätten, das Leben im grauen Norden hinter sich zu lassen, erklärt seine Frau die Dreierbande für verrückt. Bei einer Reise auf die Insel glaubt allerdings auch sie an die Erbschaft und scheint plötzlich längeren Aufenthalten auf der Insel nicht mehr abgeneigt zu sein. Ab diesem Moment erlebt Winterstein, was wohl jedem Residenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Ankunft auf der Insel widerfahren ist: Er macht Bekanntschaften, die er so in seiner Heimat wohl nie hätte machen können - und verliebt sich auf seine Art in Mallorca und seine Menschen.

Es sind kleine, mit spitzer Feder geschriebene Anekdoten, Betrachtungen und Einwürfe, die Winterstein versponnen und verspielt auf je einer Seite erzählt. Da geht es etwa darum, wie seine Frau und er am ­Flughafen von Palma auf Til Schweiger treffen. Er traut sich nicht, ihn anzusprechen, aber Til („krasser Typ irgendwie") klebt eine Autogrammkarte an einen Fleck Bioerdbeermarmelade, die beim Transport im Koffer zu Bruch gegangen ist. Oder er macht Bekanntschaft mit einem dieser noch hin und wieder anzutreffenden esoterischen Aussteiger, der ihn am Strand dazu bringen will, seinen Töpferkursen in der Meeresbrandung in Anlehnung an den Mondkalender beizuwohnen. Die unterhaltsamen, sehr persönlich daherkommenden Kolumnen werden jeweils auf der rechten Seite von wirklich schönen Aufnahmen illustriert - Details von Mallorca, aber auch anderen Orten, die Fotoredakteurin Christin Thiesen zusammengestellt hat.

„Ein Haus auf Mallorca". Inselgeschichten von Roland Winterstein. Edition Limosa, 144 Seiten. 17,90 Euro

Die Abgründe des Ruhestands

Es sei ein „grausliches Buch", das er da der Redaktion zur Besprechung antrage, hatte der Autor selbst gewarnt. Dass dies keine reine Koketterie war, bestätigte schon der Titel: „Dass ich sie ermordet habe, daran ist meine Frau ganz alleine schuld. Ein Mallorca-Tatort". Der bekannte Journalist und Autor Axel Thorer lässt in dem nur als E-Book erhältlichen Band einen deutschen Rentner auf Mallorca in erster Person erzählen, wie und warum er nach 30 Jahren Ehe seine Frau mit 17 Hieben mit der Spitze des Bügeleisens erschlagen hat.

Edwin S. steht vor der toten Hertha, und die Fetzen seiner wirren Gedankenwelt schießen ihm nur so durch den Kopf, von der Frage, wie sich die „Sparbüchse" des Ehelebens derlei mit Bosheiten füllen konnte, dass sie letztlich zerschellte, über die, was er nun mit der Leiche machen soll, bis zu der, was er der Polizei und den Richtern sagen soll. ­Das alles ist über 144 Seiten nicht schmerzfrei zu lesen, kann es auch gar nicht sein. Axel Thorer macht es sich und dem Leser mit der Entscheidung, direkt aus dem Hirn des Mörders zu schreiben, nicht leicht.

Dabei geht es in diesem zwischen Fiktion und Realität angesiedelten „Mallorca-Tatort" um mehr als um einen Fall von häuslicher Gewalt. Edwin S. erzählt auch von der Lebenswelt einer bestimmten Teilmenge jener Leser, die zu Hause bei sich auf dem Kaminsims Axel Thorers „Lexikon der Inselgeheimnisse" stehen haben. Wir befinden uns in einem Ort namens Cala Colom, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Oder doch. Von den „Eingeborenen" lebt hier keiner, es sind deutsche „Sonnen-Asylanten", die hier noch zu DM-Zeiten von einem großen Bauträger kleine Häuschen kauften. Man trifft sich bei „Pedro", um Makkaroni zu essen und billigen Wein in sich hineinzuschütten, und man faselt von der „Unzurechnungsfähigkeit der Spanier im Allgemeinen, den Hut von Frau Knaack, wenn sie morgens zum Strand geht, der Unfähigkeit von Egon K., Kakteen höher als einen Meter zu ziehen, der Geilheit der Witwe in Haus 311 und dem Wetter".

Man fürchtet, dass einem der Meerblick zugebaut wird, man fürchtet, dass das eigene Haus weniger wert sein könnte als das des Nachbarn, man fürchtet, bald ganz alleine dazustehen (und spekuliert deshalb schon auf die nächste Witwe als Rettungsanker). Aber pünktlich um 20 Uhr findet man sich jeden Abend vor dem Fernseher ein, um die „Tagesschau" zu sehen. Wie gesagt: ein grausliches, bitterböses Büchlein.

Axel Thorer, „Dass ich sie ermordet habe, daran ist meine Frau ganz alleine schuld", Kindle Edition bei Amazon, 144 S. 1,69 Euro.

Der Dank des Urlaubers

Die in ihrer Innigkeit immer wieder frappierende Beziehung der Deutschen zu Mallorca hängt auch damit zusammen, dass viele von ihnen schon in zweiter oder dritter Generation auf der Insel urlauben. Davon - vom Kindheitstraum Mallorca - handelt „Hotel Laguna" von Alexander Gorkow. Der in der Einflugschneise des Flughafens Düsseldorf-Lohausen aufgewachsene Journalist verbrachte seine Sommer­ferien mit seiner Familie stets in Canyamel. Als 50-Jähriger kehrt er nach jahrzehntelanger Abwesenheit in den noch immer recht beschaulichen Badeort im Inselosten zurück und verbringt 2015 und 2016 mehrere Sommer­monate im Hotel Laguna.

Dort erinnert er sich an die glücklichen Tage, die er hier verbrachte, trifft (und betrinkt) sich mit zu Hoteldirektoren herangewachsenen Spielkameraden, vergleicht Gegenwart und Vergangenheit, lässt die Seele baumeln und macht sich so seine Gedanken zu Mallorca, seinen Menschen und dem Urlaub als „Einstellung zum Leben". Dass das ausgesprochen gut zu lesen ist, liegt zum einen daran, dass Gorkow - bei der „Süddeutschen Zeitung" verantwortlich für die legendäre Seite 3 - ein ebenso kluger Beobachter wie begnadeter Schreiber ist. Zum anderen daran, dass er all dies mit einem Porträt seiner Familie und vor allem seines 2012 verstorbenen Vaters zu verweben weiß.

Die „früh zerschossenen Leben" seiner kriegsgeschädigten Eltern helfen, den gewaltigen Schub an Mallorca-Begeisterung jener Jahre zu erklären: „Sie hatten geliebte Menschen verloren, sie hatten verbranntes Menschenfleisch gerochen, sie hatten den Tod geschmeckt, ihre Familien waren kaputt. Und so wurden sie (...) von einem Traum erwischt, dem Traum von einer Familie am Strand." Es gibt viele solcher gestochen scharfer, treffsicherer Sätze in diesem Buch (und auch den einen oder anderen, bei denen das Vertrauen auf die eigenen erzählerischen Fähigkeiten ein wenig in Eitelkeit umschlägt). Die meisten davon beziehen sich auf die eigene Lebenswelt, auf die eigenen Leute.

Die Mallorca-Abschnitte fallen im Vergleich ein wenig ab, hier verbirgt das amüsante und meinungsstarke Wortgewitter auch mal die eine oder andere Plattitüde (etwa die, dass Mallorca eine rein bäuerlich geprägte Gesellschaft war, auf die plötzlich die Urlauber herunterprasselten, was nachweislich falsch ist). Alexander Gorkow liest, wie er selbst bekennt, die falsche Inselzeitung (was sich natürlich beheben ließe). Gegen Ende des Buches konzentriert er sich in Anbetracht von Cala Romántica und Park Hyatt immer stärker auf die Frage, wie viel vom Ort seiner Kindheit noch übrig ist und übrig bleiben wird. Die Antwort fällt ein wenig sentimental und pathetisch, aber nicht niederschmetternd aus. Für die einen, die Partyurlauber, sei Mallorca ein Flittchen, schreibt Gorkow an anderer Stelle, für die anderen eine tiefe, romantische Liebe. Er gehört eindeutig zur zweiten Gruppe. „Hotel Laguna" ist der Dank eines Urlaubers an die Insel und ihre Menschen.

Alexander Gorkow, „Hotel Laguna. Meine Familie am Strand", Kiepenhauer & Witsch, 22 Euro

Die Idylle der Drohnenansicht

Mallorca von oben - dieser Ansatz klingt zunächst einmal nicht wahnsinnig innovativ. Bildbände mit Luftaufnahmen der Insel gibt es - grob geschätzt - mehr als betrunkene Urlauber in Magaluf im Sommer. Aber wer sich die Mühe macht und „Mallorca von oben" durchblättert, der bekommt tatsächlich die eine oder andere neue Ansicht der Insel vor Augen geführt. Noch nicht so abgegriffen wie etwa das Titelfoto des 143 Seiten starken Buches ist beispielsweise der Blick über das Stadion von Son Moix hinweg auf die Stadt Palma und das Meer am Horizont oder auch ein Panoramablick über die von Bausünden nur so zugepflasterte Cala Llamp. Und auch die wirklich gelungene Aufnahme in der nebligen Morgendämmerung bei Sineu, die ein kleines Motorboot zeigt, das mitten auf einem Feld im Nichts abgestellt wurde, freut einen echten Mallorca-Fan.

Die Bilder stammen von Günther Klein, der 2010 gemeinsam mit seiner Frau Caren Schweitzer-Faust auf die Insel auswanderte und nach sechs Jahren im Südwesten nun in Lloret de Vistalegre lebt. Das Ehepaar fuhr monatelang über die Insel, immer auf der Suche nach Motiven. Die Aufnahmen machte Klein mit einer bis zu 60 km/h schnellen Drohne. Die Qualität ist gestochen scharf, auch bei den großformatigen Bildern, die über eine Doppelseite gehen.

Und damit es nicht nur ein einfacher Bildband ist, haben sich die Macher der Edition Limosa an den MZ-Kolumnisten Roland Winterstein (siehe links) gewandt und ihn damit beauftragt, Texte zu den Fotos beizutragen. „Es sollten nicht die typischen 08/15-Texte werden. Das hat mich gereizt, und deswegen habe ich zugesagt", erzählt Winterstein. So entstanden kürzere und längere Texte zu den Fotos - ein wenig im Stil der MZ-Kolumnen des Nürnbergers. Manches ist selbst erlebt, anderes frei erfunden. Die kleinen Anekdoten tragen dabei zu einem eindrücklicheren Gesamterlebnis bei, als wenn man nur Fotos zu sehen bekäme. Dazwischen streut Winterstein immer wieder Wissenswertes rund um die Orte ein, die auf den Bildern zu sehen sind.

Echte und langjährige Mallorca-Fans dürften sich allerdings an einigen vermeidbaren Fehlern stören. So sind manche Ortsnamen falsch geschrieben, auch katalanische Ausdrücke werden teils nicht richtig wiedergegeben - für weitere Ausgaben ist da Korrekturbedarf.

„Mallorca von oben", Edition Limosa, 143 Seiten. 24,90 Euro

Die Details der Vergangenheit

Von diesem Buch ist auf der Insel schon lange die Rede, nun ist es endlich erschienen. In „Mallorca unterm Hakenkreuz" hat Alexander Sepasgosarian, stellvertretender Chefredakteur des „Mallorca Magazins", seine jahrelangen Recherchen über die Mallorca-Deutschen der 30er- und 40er-Jahre zusammengetragen. Der studierte Historiker hat in aufwendiger Kleinarbeit verschiedenste Quellen ausgewertet und richtet seinen Blick nicht so sehr auf die ansatzweise schon bekannte Geschichte des deutschen Exils auf Mallorca, sondern auf die der „gewöhnlichen" Residenten jener Zeit.

1930 waren in Palma rund 3.000 Reichsangehörige gemeldet, nicht viel mehr Bundesbürger leben heute noch dort. Wie Sepasgosarian aus den Anzeigen in den damaligen Wochenzeitungen „Insel" und „Der Herold" recherchierte, gab es einen deutschen Bäcker, einen deutschen Buchhändler, deutsche Friseure, deutsche Herrenausstatter, deutsche Hutmacher, deutsche Elektriker, deutsche Werbegrafiker. Die Nazis verfügten dabei bereits vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler über straffe Organisationen und Parteistrukturen. Es gab eine NS-Ortsgruppe Palma de Mallorca, und der Auslandsorganisation der NSDAP gehörten auf der Insel zeitweise mindestens 55 Reichsdeutsche an. Viele weitere Inselresidenten sympathisierten mit ihnen.

Einer dieser Nazis machte später Karriere. Baron Kurt von Behr war 1934 mit seiner Frau nach Mallorca gekommen und schloss sich dort der NSDAP an. Ab 1940 war der vom niedersächsischen Adel abstammende Baron Leiter des sogenannten Sonderstabes Bildende Kunst. Hinter diesem euphemistischen Ausdruck verbarg sich die Abteilung, die sich in den von den Deutschen besetzten Gebieten auf das Sicherstellen von Beutekunst spezialisierte.

Auch eine deutsche Schule gab es seit Februar 1932, und auch sie wurde prompt für Nazi-Propaganda missbraucht. Baron Kurt von Behr war Vorsitzender des Schulvereins. Seine politische Gesinnung strahlte auf die Schulfamilie aus. Die Schulleitung soll sogar Kinder von der Schule gewiesen haben, deren Eltern nicht auf Linie mit dem Nazi-Regime lagen. Es ist solch Detailreichtum, der dieses flüssig zu lesende Buch auszeichnet. Ein angehängtes Schlagwort- und Namensregister macht „Mallorca unterm Hakenkreuz" zudem zu einem nützlichen Nachschlagewerk.

Alexander Sepasgosarian, „Mallorca unterm Hakenkreuz 1933-1945". Matrix Media Verlag, 243 Seiten. 29,90 Euro