Vor 100 Jahren raffte die Spanische Grippe mindestens 25 Millionen Menschenleben dahin - manche Forscher sprechen gar von 50 Millionen. Dass so viele starben, lag in Europa vor allem am Ersten Weltkrieg (1914-1918). Hunderttausende teils entkräftete Soldaten bewegten sich damals kreuz und quer durch den Kontinent und erfuhren wegen der ­Pressezensur erst viel zu spät von der Pandemie. Das ursprünglich aus Asien stammende Virus hatte so viel leichteres Spiel. Wäre Frieden gewesen, wäre es den Behörden wohl leichter gefallen, Kranke abzusondern und eine weitere Ansteckung vieler Menschen zu verhindern.

Die abgelegene Insel Mallorca kam vergleichsweise ungeschoren davon, doch auch hier war die Panik groß. Die Menschen sprachen schaudernd von la pesadilla (der Albtraum). Die Krankheit war wahrscheinlich vom Westen hergekommen: Ein Franzose hatte sie nach Andratx eingeschleppt.

Die Pandemie, die nur deswegen Spanische Grippe hieß, weil aus dem im Krieg neutralen Land fast ohne Pressezensur die ersten Nachrichten verbreitet worden waren, bestand aus drei Phasen. Schon während der ersten, von März bis Juli 1918, gab es Krankheitsfälle auf der Insel, doch erst in der zweiten Phase von Oktober bis Dezember sollte es knüppeldick kommen. Der Erreger war eine ungewöhnlich hartnäckige Mutation des Influenza­virus, ein Subtyp namens A/H1N1. Antibiotika, mit denen bakterielle Folge­erkrankungen wie Lungenentzündungen behandelt werden konnten, waren damals so gut wie unbekannt.

Feuer und leere Straßen

Wohl wissend, wie heftig die Epidemie auf dem Festland wütete, ergriffen die Behörden auf der damals nur 275.000 Einwohner zählenden Insel Maßnahmen: Sie schlossen Theater und Kinos und sagten Dorffeste und größere Versammlungen ab. Die Straßen leerten sich, vielerorts spritzte man die Fassaden der Häuser mit Wasser ab, um das Eindringen der Krankheit zu verhindern. Anderswo zündete man Feuer an, weil die Menschen damals glaubten, damit die durch die Epidemie „vergiftete" Luft reinigen zu können. Nur eingeweihte Mediziner wussten damals, dass es so etwas wie Viren gab.

Angesichts der stetig steigenden Zahl der Kranken stellte man auch auf Mallorca, wie auch woanders auf der Welt, eilig Zeltstädte auf und requirierte öffentliche Säle, weil die Krankenhäuser überbelegt waren. Die Epidemie breitete sich nicht zuletzt über die Züge aus, darunter den 1912 eingeweihten Roten Blitz von Palma nach Sóller. Auch das ebenfalls mit der Bahn erreichbare Sa ­Pobla war stark betroffen, wohingegen das nicht an die Schienen angeschlossene Pollença von ­Todesfällen verschont blieb.

In Sóller, so ist in einer ­Studie von Jaume Deyà Miró nachzulesen, wies ein Arzt namens Darder erstmals am 7. Juni 1918 auf die Grippe-­Welle hin und mahnte Schutzmaßnahmen an. So forderte er zum Beispiel, den Müll nicht mehr in dem Sturzbach abzulegen und so eine Verunreinigung des Wassers zu verhindern. Durch ähnliche Vorbeugungsmaßnahmen konnten im 19. Jahrhundert Ausbrüche der Pest in Son Servera und Capdepera (1820) sowie der Cholera in Palma und Andratx (1865) eingedämmt werden. Die letzte größere Grippe-Welle war 1890 ohne schwerwiegendere Folgen über die Insel gerollt, schon damals sprach man von trancazo, einem noch heute üblichen Ausdruck für Grippe-Erkrankungen. Der letzte große Seuchen-Ausbruch auf Mallorca lag damals schon Jahrhunderte zurück: 1650 wütete auf der ­Insel die Pest.

Am 25. Juli verzeichnete Darder, dass in Valldemossa erste Krankheitsfälle aufgetreten waren. Die zweite Welle der Spanischen Grippe erfasste Mitte Oktober dann auch das Orangental. Die Gemeinde unterteilte den Ort in unterschiedliche Distrikte, in denen speziell für die Epidemie abgestellte Ärzte die Patienten betreuten. Kranke ohne Verwandte wurden zwangsweise in speziellen Räumlichkeiten isoliert. Ende November zählte Darder in Sóller 48 Todesfälle durch die Spanische Grippe sowie 36 weitere durch bakterielle Lungenentzündung.

Insulaner besonders resistent

Trotz allem hielten sich die Todesfälle auf Mallorca im Vergleich zum Festland - wo möglicherweise an die 300.000 Menschen an der Epidemie starben - in Grenzen. „Auf den Balearen gab es offiziell nur 1.891 Grippe-Tote", sagt Pere Salas, ein in der Bibliothek von Pollença und an der Balearen-Universität wirkender Historiker, der sich mit dem Thema eingehend befasst hat. „Die Sterberate stieg auf den Inseln durch die Grippe um 6,5 Prozent." Von 1.000 Toten seien statistisch nur 25 der Seuche zuzuschreiben gewesen.

Womöglich lag dieser vergleichsweise glimpfliche Ausgang auch daran, dass die Insulaner damals laut Pere Salas spanienweit die höchste Lebenserwartung hatten. Die Spanische Grippe traf weltweit besonders Jugendliche und Erwachsene unter 60 Jahren. Anders als bei anderen Grippe-Wellen waren kleine Kinder und ältere Menschen kaum betroffen.

Doch das sind Erkenntnisse im Nachhinein. Beim Ausbruch der Epidemie bestand viel Grund zur Sorge, zumal schnell feststand, dass die Spanische Grippe, wie ­Pere Salas formuliert, ein „schichtübergreifendes Phänomen" war. Die unguten Nachrichten kamen aus aller Welt, der Krankheit fielen auch Prominente zum Opfer, etwa der österreichische Maler Egon Schiele, der deutsche Soziologe Max Weber und Sigmund Freuds Tochter Sophie. In Ma­drid hatte es sogar König Alfonso XIII. getroffen. Im Unterschied zu vielen seiner Landsleute überlebte er ­allerdings.