Dingdong. Dingdong. Dingdong - wer im Nordosten Mallorcas bei Pollença auf dem Camí de Ternelles wandert, hat irgendwann ein Klingeln im Ohr. In einer Felsenschlucht stößt man unweigerlich auf ein manns­hohes, doppelflügeliges Eisentor. „Ternelles - Eintritt verboten“, steht dort in Spanisch, Mallorquinisch, Englisch und Deutsch auf einem Holzschild geschrieben. Rechts, an der Pforte für Fußgänger, wird man von Sensoren und Kameras erfasst. Sie lösen das unablässige Dingdong aus, welches sich über das Rauschen des Sturzbaches legt, der zu dieser Jahreszeit in Richtung Port de Pollença sprudelt.

„Das Klingeln gibt drinnen Bescheid, dass vielleicht ein Auto rein will“, sagt der junge Mann, mit dem wir dort verabredet sind und der die Pforte öffnet. Seinen Namen möchte er nicht so gern in der Zeitung lesen. Er arbeitet für die Fundación Vida Silvestre Mediterránea (FVSM), die sich für die biologische Vielfalt, ländliche Traditionen, Ökotourismus und Landschaftspflege einsetzt.Unter Geiern

Die FVSM arbeitet eng mit der niederländischen Black Vulture Conservation Foundation (BVCF) zusammen, die sich speziell dem weltweiten Schutz der Mönchsgeier verschrieben hat. In den 80er-Jahren waren die imposanten Segler mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern auf Mallorca so gut wie ausgestorben. Der BVCF siedelte im Jahr 1992 mehrere Jungvögel an, heute gibt es wieder rund 200 Tiere, um die sich Freiwillige der FVSM kümmern.

Mallorca ist die einzige Balearen-Insel, die wieder zu einer Heimat für die Geier geworden ist. Sie brüten zwischen Februar und August in den zerklüfteten Felsen des Tramuntana-Gebirges, Ternelles gehört zu den geschützten Gebieten. „Derzeit gibt es sieben Eier, die von den Eltern umsorgt werden“, sagt der junge Umweltschützer. Damit die Küken ungestört schlüpfen, aufwachsen und eines Tages selbst für Nachwuchs sorgen können, sei er hier. Er führt Gruppen über das 1.300 Hektar große Gelände und sorgt dafür, dass man den Tieren nicht zu nahe kommt. „Wanderer schrecken die Tiere auf“, sagt er. Geschehe dies zu oft, würden die Eltern ihre Brut im Stich lassen.

In einer kleinen Steinhütte hinter dem Tor liegen allerhand Prospekte, die über die Arbeit der Umweltschützer informieren. Man kann auch Postkarten und sonstige kleine Andenken kaufen, auf denen die größten Greifvögel Europas abgebildet sind. Wenn man denn, Dingdong, das Tor passieren darf, welches schon wieder zu bimmeln begonnen hat. Ein Pärchen steht dort mit einem Zettel in der Hand und bittet um Einlass. Doch unser junger Führer schüttelt den Kopf. Die beiden hätten sich zwar über die Website des Rathauses von Pollença eine schriftliche Erlaubnis besorgt, doch die werde hier nicht mehr akzeptiert.

Überwachungskameras in den Bäumen

Alles, was hinter dem Tor liegt und bis zur Bucht Cala Castell reicht, ist Privatbesitz einer der reichsten Familie Spaniens, den Marchs. Das Vermögen der beiden Brüder Juan und Carlos March, Köpfe der gleichnamigen Bankiers-Dynastie, wird laut „Forbes“-Liste auf 2,4 Milliarden Euro geschätzt. Gründer der Dynastie war Juan March Ordinas (1880-1962). Bevor der Sohn eines Viehhändlers aus Santa Margalida zum großen Strippenzieher und inoffiziellen Financier der Franco-Diktatur aufstieg, machte er mit Tabak- und Alkoholschmuggel ein Vermögen.

Heute gehören der Familie geschätzt 93 Quadratkilometer Mallorcas, 2,6 Prozent der Gesamtfläche der Insel - inklusive Ternelles. Eine Handvoll Leute leben dort. Bei den vielen Überwachungskameras in den Bäumen könnte man auf den Gedanken kommen, dass sie noch schreckhafter sind als die Geier.

Mittlerweile ist der Rest der Gruppe angekommen. Carol (35), Natali (39), Pedro (48), Pedro (44) und Toni (42) wohnen alle in Binissalem. Unser Führer verteilt Ferngläser und wir machen uns auf den Weg. Die Freunde leben ihr ganzes Leben auf der Insel, in Ternelles sind sie bisher noch nie gewesen. Zum einen sei es schon immer irgendwie eine „verbotene Zone“ gewesen, zum anderen sei man früher als Mallorquiner gar nicht auf die Idee gekommen, in den Bergen zu wandern. „Das hat sich erst vor ein paar Jahren geändert“, sagt Carol. Vor einem Monat hätten sie schon einmal versucht, hier hereinzukommen. Auch sie wurden mit der Rathaus-Erlaubnis weggeschickt, nun haben sie einen zweiten Anlauf gestartet. Selbst für Mallorquiner ist es nicht ganz so leicht, sich über den aktuellen Stand des Streits über das Wegerecht auf dem Laufenden zu halten, der hier schon seit 17 Jahren geführt wird.Die „unendliche Geschichte“ vom Zugang zum Meer

Der Zugang zum Meer ist ein Thema, das auf der Insel auch an anderen Orten immer wieder juristisch aufgearbeitet wird und für das Bürgerinitiativen kämpfen. Auch im Fall Ternelles hat sich die Plataforma pro Camins Públics Oberts de Pollença zusammengefunden. Eine „never ending story“, schreibt uns deren Sprecher Joan Crespi per Whatsapp. Der Fall von Ternelles sei speziell, weil hier die Geier eine Rolle spielen, erklärt Evelyn Tewes, Präsidentin der Stiftung FVSM, am Telefon. Es gebe nun einmal das Recht für Inselbewohner, das Meer über traditionelle Pfade erreichen zu dürfen, Privatgelände hin oder her. Doch in Ternelles brüten die Vögel in dem geschützten Küstenstreifen. Zuletzt habe ein Gericht im April 2017 entschieden, dass Naturschutz den freien Zugang zum Meer schlägt.

Bis vor Kurzem erlaubte die Gemeinde Pollença maximal 20 Besuchern pro Tag, das Gelände ohne Führung zu betreten. Die Familie March hat im Dezember 2017 den FVSM gebeten, die Führungen zu organisieren und akzeptiert seitdem die Genehmigungen aus Pollença nicht mehr. Dort werden über die Website des Rathauses dennoch weiter Passierscheine (Autorització Entrada a Ternelles) ausgestellt, innerhalb von fünf Minuten hat man ihn samt Stempel und Unterschrift des Bürgermeisters Miquel Àngel March Cerdá im E-Mail-Postfach. Im Rathaus wollte man sich trotz mehrfacher Anfrage der MZ nicht zu dem Thema äußern. Auch Evelyn Tewes sagt: „Wir wollten nicht in den Streit geraten.“ Aber man steckt mittendrin.

Auf unserer Tour in Ternelles geht es vorbei an historischen Brunnenanlagen, wir erfahren, dass die uralt aussehenden Steineichen noch recht jung seien, weil man die alten Bäume vor Jahrhunderten in Kohle­meilern verheizt habe - die noch überall im Wald gut restauriert stehen. Nach einer guten Dreiviertelstunde sehen wir durch unsere Ferngläser zum ersten Mal Mönchsgeier über den Gipfeln segeln. Da knackt es im Funkgerät unseres Führers, irgendetwas stimmt nicht.

Über den Torpfosten geklettert

Eine andere Gruppe ist auf dem Gelände aufgegriffen worden, sie wird mit einem Auto zu uns gebracht. Cecilia (59), Maria (54) und Richel (50) sind Touristen aus den Niederlanden. „Es ist so peinlich“, sagt Cecilia. Sie sind über den steinernen Torpfosten geklettert. „Da heute Feiertag ist, dachten wir, es ist keiner da. Und wir haben ja die Genehmigung vom Rathaus“, sagt sie. Der FVSM-Mitarbeiter klärt sie auf, dass das nicht in Ordnung sei, sie sich jetzt aber unserer Gruppe anschließen dürfen. Die Situation ist auch ihm sichtlich unangenehm.

Wir laufen weiter, schließlich wollen wir noch die gut sieben Kilometer entfernte Bucht Cala Castell erreichen. Als wir nach einer Stunde den Steineichenwald verlassen, liegt vor uns die Königsburg Castell del Rei, die letzte Zufluchtsstätte der Mauren auf der Insel, bevor König Jaume I. sie im Jahr 1229 von der Insel vertrieb, erklärt uns unser Führer. Schon lange davor haben die Römer den Ort genutzt, um von dort aus mit einem Aquädukt Pollentia (heute Alcúdia) mit Frischwasser zu versorgen. Nach einer kurzen Rast geht es weiter, links vorbei an dem Castell, rechts liegt die Serra de Cornavaques, bewachsen von dem langen Gras mit dem mallorquinischen Namen carritx (Diss). Es glänzt unberührt im Sonnenschein und selbst auf dem Wander­wegen sprießt überall Grünzeug. Wo gibt es das noch auf Mallorca? Wenn zwei sich streiten, freut sich das Gras. Und die Geier schweben in Ternelles sowieso über den Dingen.

Anmeldungen für eine kostenlose Führung bei FVSM, maximal 20 Personen pro Tag.