Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, den Carmen Dama Sievers da in ihrer Autoreinigung Autolavado Tanit in der Straße Jafudà Cresques wenige Schritte nördlich der Avenidas im Zentrum von Palma de Mallorca bietet. Eine zierliche, ältere Dame werkelt an zwei Autos herum, wuselt flink durch ihren Laden, saugt die Sitzbezüge und wienert mit einem Lappen die Fensterscheiben. Carmen Dama Sievers ist 65 Jahre alt und wird demnächst ihren Ruhestand antreten. Wir lassen sie nicht gehen, ohne dass sie uns zuvor ihre Geschichte erzählt.

Carmen Dama Sievers - der zweite Nachname mütterlicherseits klingt nicht nur verdächtig deutsch, er ist es auch. „Die Familie meiner Mutter stammte aus Nürnberg, meine Mutter war allerdings auf ihren Vater so wütend, weil er in den Ersten Weltkrieg zog, dass sie nie Deutsch lernen wollte", hebt Carmen Dama an, während sie den Staubsauger auf die Rückbänke wuchtet. Folglich spricht auch sie selbst kein Wort Deutsch - Carmen Dama lässt sich vom Reporter beibringen, wie man Sievers ausspricht. Geboren ist sie auf Mallorca, auf den Balearen hat sie ihr ganzes Leben verbracht.

Ihren Autolavado Tanit hat sie vor 28 Jahren eröffnet - „ganz allein und ohne irgendwelche Hilfe von einem Mann". Nicht wenige Nachbarn und Freunde beäugten das ganze Vorhaben damals skeptisch. Man habe ihr nicht zugetraut, dass sie das allein stemmen könne, berichtet sie. „Man hat mir keine acht Tage gegeben - aber ich habe es durchgezogen und war in 28 Jahren nur einmal krank!" Schließlich habe sie ihre zwei Kinder ernähren müssen. Zuvor hatte sie auf Ibiza als Sekretärin gearbeitet. In einer Firma für Wassersportprodukte. „Die sind pleitegegangen, ich hatte keine Wahl." Männer - ja, die gab es. Mehrere, aber über sie will Carmen Dama nicht viele Worte verlieren.

Sie ging also zurück nach Mallorca und versuchte es mit Tanit. Der ungewöhnliche Name rührt von der punischen Göttin der Fruchtbarkeit her, der einst auf Ibiza gehuldigt wurde. Sie habe ihre Autoreinigung nicht „Autolavado Ibiza" nennen wollen, weil das Verhältnis der Mallorquiner zu der Nachbarinsel damals nicht zum Besten bestellt war. „Und Autolavado Carmen wollte ich dann auch nicht dranschreiben. Das ist doch einfallslos!"

Carmen Dama ist eine Institution in ihrem Viertel. Jahrelang hat sie im Gebäude gegenüber ihres Ladens gewohnt, inzwischen lebt sie ein paar Straßen weiter. Es scheint, als kenne sie alle Passanten. Der Parkwächter schäkert mit ihr, eine Kundin kommt herein und erzählt ihr, dass sie in der vergangenen Nacht von ihr geträumt habe. „Du warst ein General im Krieg und hast deine Armee zusammengebrüllt", berichtet die Frau lauthals prustend.

Die Frau, die das geträumt hat, liegt damit gar nicht so falsch. Carmen Dama besitzt durchaus eine natürliche Autorität. Die kommt ihr ganz gelegen, denn hin und wieder gibt es heiklere Missionen zu erledigen, als schlicht ein Auto von Staub oder Hundehaaren zu säubern. Das erste Mal war vor etwa zehn Jahren, berichtet sie. Kurz nachdem in Spanien die Wirtschaftskrise ausgebrochen war. „Es kam jemand zu mir mit einem Auto, in dem sich ein naher Verwandter das Leben genommen hatte - der Wagen war voller Blut", sagt Carmen Dama. Die Reinigung habe sie viel Überwindung gekostet. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben. Etwa sieben derartiger Aufträge hat sie in den vergangenen Jahren erledigt. „Diese verdammte Wirtschaftskrise", sagt Carmen Dama.

Lieber erzählt sie von anderen Kunden, etwa Hochschwangeren, die es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft haben und im Auto entbinden mussten. Oder von der Ortspolizei von Palma, viele derer Autos sie schon gesäubert und gewienert hat. Betrunkene, die sich auf der Fahrt im Polizeiauto übergeben oder andere Körperflüssigkeiten absondern, seien keine Seltenheit, weiß sie aus Erfahrung.

Ihre Lieblingsgeschichte aber geht so: Einmal, erzählt sie, sei ein Inspektor der Nationalpolizei mit einem Auto zu ihr gekommen und habe sie angefleht: „Bitte, Carmen, finde du den Toten, ich schaffe das nicht." Das Auto habe tatsächlich bestialisch gestunken. Carmen Dama machte sich an die Arbeit und entdeckte den „Toten" - es war ein geöffneter Tetrapack Orangensaft, der seine besten Tage lange hinter sich hatte.

All diese Dinge können ihr nichts anhaben, sagt sie. Sie trage stets Handschuhe. Albträume habe sie inzwischen keine mehr, auch nicht, wenn in dem Auto tatsächlich jemand gestorben war. „Die einzigen Albträume habe ich, wenn wieder die Steuern für Selbstständige angehoben werden."

Lange wird sie sich nicht mehr darüber ärgern müssen, bald hat sie mehr Zeit für ihre Kinder und Enkel - auch wenn sie mit ihrem 29-jährigen Jüngsten gerade im Clinch liegt. „Jetzt auf einmal will mein Sohn den Laden übernehmen, obwohl er sich ein Leben lang nicht darum geschert hat", erzählt sie ein bisschen beleidigt. Doch dafür sei es jetzt zu spät. Mit einer anderen Frau habe sie bereits die Übernahme vereinbart. Es fehlten lediglich die Unterschriften auf dem Kaufvertrag. 60.000 Euro bekommt Carmen Dama für den traspaso. „Damit kann ich mir dann den Lebensabend etwas angenehmer gestalten." Und ihr Auto auch mal von einer professionellen Reinigung säubern lassen.