Eine leichte Brise weht vom Meer herüber, krächzend lässt sich eine Möwe auf der Spitze des großen Turms nieder. Eine Szene, die sich so oder so ähnlich bereits vor Hunderten von Jahren hätte abspielen können. Wer als unbedarfter Besucher in der Burg von Capdepera im Nordosten von Mallorca umherschlendert, könnte meinen, die Zeit sei im Mittelalter stehen geblieben. „Dabei kam vieles erst später", sagt Gori Rexach. „Nicht einmal die Mauern gab es von Anfang an."

Rexach ist Gemeindearchivar, die Lokalgeschichte fasziniert ihn. In einem neuen Buch, das er jetzt gemeinsam mit den Archäologen Catalina Garau und Bernat Oliver sowie mit der Archiv-Leiterin Maria Massanet vorgestellt hat, ist die Geschichte der Gemäuer dokumentiert.

Es war in jenem freistehenden Turm, der bis heute die Blicke der Besucher auf sich zieht, in dem der maurische Herrscher Abu'Abd Allah am 17. Juni 1231 die Kapitulation der Araber unterzeichnete und das Feld für den katholischen König Jaume I räumte. „Der Turm diente damals als Wachturm", so Rexach. Erst im Jahr 1300 ließ König Jaume II die Mauern errichten, die in Teilen noch heute erhalten sind. „Eine richtige Burg war es nie, vielmehr ein kleines Wehrdorf."

Grund für Jaumes Schutzwall waren die feindlichen Angriffe vom Meer. „Bis ins Jahr 1800 gab es immer wieder Überfälle", so Rexach. Durch das auf Kettenreaktion basierende Warnsystem, bei dem Signalfeuer in den an Mallorcas Küsten verteilten Wachtürmen die Bevölkerung rechtzeitig auf Gefahren hinwiesen, konnten sich die Bauern meist schnell genug hinter den Mauern verschanzen. „Später errichteten viele Familien auch kleine Häuser im Inneren der Befestigungsanlage und natürlich die Kapelle." Rund 130 Häuser sollen es im 15. und 16. Jahrhundert gewesen sein, heute ist kaum etwas von ihnen übrig.

Doch mit der Zeit wuchs die Bevölkerung, viele Häuser wurden außerhalb der Ringmauer errichtet. „Im 16. Jahrhundert bezogen die Dragoner-Soldaten ihr Quartier im castell. Denn damals war das hier die Staatsgrenze, weil Menorca von den Briten besetzt war." Noch heute zeugt das große Haus auf dem Wehrgelände von dieser Zeit - es war damals das Haus des Soldatenoberst. Erst als die Briten Menorca aufgaben und sich die Staatsgrenze von Capdepera nach Maó (Menorca) verlegte, zogen die Soldaten 1856 ab.

Und so wurde das Burggelände 1862 öffentlich versteigert. Zum Zuge kamen die im Ort tief verankerten Familien Fuster und Zaforteza. „Die ganze Zeit über ließen sie die Bevölkerung auf das Grundstück - allein schon, weil viele weiterhin zur Kapelle und der dort beherbergten Marienstatue pilgerten." Kinder spielten zwischen den Steinen Fußball, man traf sich zum Picknicken.

Doch ein altes Gemäuer pflegt sich nicht von selbst. Langsam wurde der Wildwuchs dichter, die Mauern poröser. Immer wieder kam der Wunsch auf, das castell in öffentliche Hand zu geben. Auch die Eigentümer willigten schließlich ein. Und so verkaufte die Familie Fuster ihren Teil am 21. April 1983 an die Gemeinde Capdepera, die Familie Zaforteza gab ihren Teil am 16. Mai 1983 als Geschenk her. „Aber es gab Auflagen", weiß Rexach und deutet auf alte, schreibmaschinenbedruckte Blätter vor sich. Hier sind die Bedingungen festgehalten: Die Gemeinde sei dazu verpflichtet, eine Stiftung zu gründen, die sicherstellt, dass das Gelände auch in Zukunft der Allgemeinheit zur Verfügung steht.

Ohne einen Cent Startkapital nahm die Stiftung ihre Arbeit auf, konnte aber schnell auf zahlreiche Spenden zählen - und seit 1988 auf einen beträchtlichen Batzen an Eintrittsgeldern von auswärtigen Besuchern. „Der Besucheransturm war schon damals groß, die Burg wurde zur Touristenattraktion." In den Folgejahren installierte man die Beleuchtung, restaurierte die Mauern und erneuerte die Kapellenfassade. Die Mühe lohnte sich: Seit 1993 ist das Castell als schützenswertes Kulturgut (BIC) registriert, regelmäßig finden nun Ausgrabungen statt - für Fußball spielende Kids kein geeigneter Ort.

Als das Rathaus im November 2016 bekannt gab, dass auch Einheimische ab sofort zwei Euro Eintritt zahlen müssen, um ihr castell zu betreten - nur der Zugang zur Kapelle ist noch immer kostenlos - wurden zahlreiche kritische Stimmen laut. „In den 35 Jahren, in denen das castell in öffentlicher Hand ist, hat ein Mentalitätswechsel stattgefunden", entgegnet Rexach. Vom spirituell-religiösen Ort über einen Treffpunkt der Einheimischen hin zu einer Stätte, deren lange Geschichte geschützt und geschätzt wird.

Von Freitag (18.5.) bis Sonntag (20.5.) lässt Capdepera wieder das Mittelalter auferstehen - zumindest soweit es geht. Auch die Burg von Capdepera ist während des mercat medieval kostenlos zugänglich und beherbergt zahlreiche Attraktionen. Die zahlreichen Marktstände, die sich in der Burg und in den umliegenden Gassen präsentieren, öffnen täglich gegen zehn Uhr morgens. Neben Schmieden, Weberinnen, Korbflechtern und Schlangenbeschwörern finden sich die verschiedensten Lebensmittel- und Getränkestände. Wie in jedem Jahr sind nicht nur die Schausteller, Gaukler und Musiker, die an jeder Ecke für Showeinlagen sorgen, in mittelalterlich anmutende Gewänder gehüllt.Auch die Marktstände und Verkäufer passen sich dem Motto an. Freitag- und Samstagabend gibt es bis in die Nacht hinein Konzerte, Aufführungen und Live-Musik auf den verschiedenen Plätzen in Capdeperas Altstadt. Sonntag hat der Markt bis 20 Uhr geöffnet. Das ganze Wochenende über fahren kostenlose Sonderbusse bis nachts verstärkt in die anliegenden Küstenorte Cala Ratjada, Cala Mesquida, Font de Sa Cala und Canyamel.

Video: Ein Spaziergang über den Mittelaltermarkt