Francisco Conde kommt jeden Tag zum Hotel Son Moll. Er betrachtet es einige Minuten und geht wieder. Jeden Tag, seitdem Ende vergangenen Jahres das Unglück geschah. Der 49-jährige Bauarbeiter befand sich an jenem 16. Dezember auf dem Dach des neunstöckigen Gebäudes und musste mitansehen, wie vier Arbeitskollegen unter einem einstürzenden Seitenflügel begraben wurden. Die Bilder von jenem Regentag, von der Suche nach den vier Verschütteten, die schließlich tot geborgen wurden, gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Wenn die Menschen in Cala Ratjada über die Tragödie sprechen, geht es inzwischen jedoch vor allem um die ungewisse wirtschaftliche Zukunft des Ortes. Die illegalen Bauarbeiten sind gestoppt, ein gesamter Straßenzug mit Bars und Cafés bleibt polizeilich gesperrt - und eine Bauruine an der Promenade verunstaltet das Image des idyllischen Traumstrandes. Eine Kulisse für den Sommerurlaub?

?Würde Ihnen das gefallen?", fragt Urlauberin Marianne Kramer zurück, die Cala Ratjada mit ihrem Mann einen Tagesausflug abstattet. ?Das muss man nicht haben, da kann man auch zu Hause bleiben." Es muss also schnell etwas geschehen, bevor die Saison startet: Die Geschäftsleute rund um die Bauruine warten auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Manacor, das die Unglücksstelle freigeben muss.

?Hier hängt alles ganz allein von Richterin Martina Mora ab", sagt Toni, der gerade seine Bar Malibu für die Saison auf Vordermann bringt. Sie liegt in Sichtweite zur Bauruine. Doch der Wirt vertraut auf die Anziehungskraft des Strands, des schönen Wetters und der hübschen Mädchen, die jedes Jahr den Strand bevölkern. ?Wir haben einfach Pech gehabt, so etwas kann überall passieren", sagt Toni lakonisch, und fügt auf Deutsch hinzu: ?Wir lieben die Leute, und wir werden alles geben!" Wenn nur das Gericht endlich in Bewegung käme.

Dann könnte der Notfallplan der Hotelmanager gestartet werden: Sie wollen großflächige Fotos und Planen ausrollen, um Bauzäune, Baumaterial und das neunstöckige Betonskelett vor den Urlaubern zu verstecken. ?Sobald man uns machen lässt, legen wir los", sagt Juan Massanet, Vorsitzender der Hoteliersvereinigung der Gemeinde Capdepera. Wenn es nur das Gericht erlaubt, werde von dem Gebäude so gut wie nichts zu sehen sein, die Pläne lägen fertig in der Schublade. Massanet dementiert zudem Gerüchte, dass auch über eine Sperrung des Strands nachgedacht werde.

Bei der Hotelkette Serrano, der das Son Moll gehört, bemüht man sich um Schadensbegrenzung. Wie ein Sprecher versichert, sei man mit den Reiseveranstaltern übereingekommen, die Gäste auf die drei anderen Häuser der Kette in der Gemeinde umzuquartieren, die wie geplant öffnen sollen. Es ginge um 125 Zimmer. Zu der Gruppe gehören neben dem Son Moll auch das Drei-Sterne-Haus Clumba direkt daneben, das Fünf-Sterne-Haus Serrano Palace gegenüber sowie das Vier-Sterne-Haus S´Entrador Playa in Cala Agulla. Das Son Moll sollte vom Drei- zum Vier-Sterne-Hotel umgebaut werden - das werde aber nun voraussichtlich frühestens Ende des Jahres möglich sein.

Noch völlig unklar ist die Lage der Bars und Cafés im gesperrten Abschnitt der Carrer de Tritón. Die Betreiber dürfen seit dem Unglückstag ihre Lokale nur noch in Polizeibegleitung betreten. ?Es ist unglaublich, dass man um die eigene Existenz bangen muss, obwohl uns keine Schuld trifft", sagt etwa Petra Sperling, die im Mai 2008 mit ihrem Partner eine Saft- und Salatbar gegenüber dem Hotel eröffnet hatte. Zuvor habe man in Deutschland alles aufgegeben, um hier eine neue Existenz zu gründen. ?Wir können nur hoffen, dass es weitergeht", so Sperling, ?aber man bekommt nicht einmal Auskunft."

Die Ungewissheit sei für die Betroffenen das Schlimmste, sagt Rentner Wolfgang Troche, der gerade sein Fahrrad vorbeischiebt und der Stabilität des unfertigen Baus nicht recht traut. Der Deutsche hat ein Ferienhaus ganz in der Nähe und kennt die deutschen Wirte, der eine sei schon seit mehr als 30 Jahren im Geschäft. Als er einen von ihnen auf dem Handy anruft, will dieser jedoch nicht mit dem Reporter sprechen. Angesichts der Ungewissheit seien wohl alle Beteiligten vorsichtig, meint Troche. ?Da hängen viele Existenzen dran."

Sorgen bereitet den Wirten und Geschäftsleuten im Umkreis zudem das Ausbleiben der Gäste, die bislang im Hotel Son Moll abgestiegen waren. Sie sind die wichtigsten Kunden eines Supermarkts, der nur in den Sommermonaten geöffnet ist. Sebastián Terrassa liefert gerade die ersten Waren für die Urlauber an. ?Wir sind ziemlich besorgt, es wird sicherlich nicht so toll laufen in diesem Jahr", sagt er und lädt Paletten mit Konserven aus. Ab April soll der Laden auf Vordermann gebracht werden, um schließlich im Mai zu öffnen.

?Ich habe das Glück, viele einheimische Kunden zu haben", sagt Ilka Steiniger, Pächterin vom Café del Sol an der Uferpromenade. Das Hotel sei schon vor dem Unglück täglicher Gesprächsstoff gewesen, ?wir hatten uns alle darüber unterhalten, dass das nicht mehr lange halten kann", so die Wirtin. Sie habe Architektur studiert und angesichts verrotteter Pfeiler und Fundamente nur den Kopf schütteln können. ?Wir haben jedenfalls keine rosige Saison vor uns."

Wenn denn die ersten Urlauber in Cala Ratjada eintreffen, sehen sie vielleicht auch Francisco Conde bei seiner täglichen Runde. Er hat nicht nur mit der Erinnerung an das Unglück zu kämpfen, er ist seit Dezember auch arbeitslos. In der Baubranche Mallorcas sei die Jobsuche derzeit vergeblich, so Conde. ?Man hat mir nur versprochen, mich wieder einzustellen, wenn am Hotel weitergebaut wird."

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