An diesem Abend sitzen Hans-Jürgen und Lothar in ihrer Höhle bei Cala Blava im Dunkeln. Keine Batterien für Taschenlampen mehr. Aber auch im diffusen Mondlicht ist noch zu erkennen, dass sich die beiden Deutschen die etwa 20 Quadratmeter große Höhle wie ein einfaches Ein-Zimmer-Apartment eingerichtet haben: eine Bettcouch, ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Kochstelle in Form eines mit einer Gasflasche betriebenen alten Grillgeräts, ein Topf und Geschirr. Der Boden ist mit Teppichen belegt, an der Wand und von der Decke hängen Bilder. Ein aufgebautes Zelt fungiert als zweiter Schlafraum. Dort legt sich Lothar zur Ruhe, Hans-Jürgen bettet sich auf dem Sofa. Auf der Wiese nebenan stehen Liegestühle zum Sonnen bereit, Sonnenschirme gibt es auch.

In der Nacht wird es nun schon herbstlich frisch, aber gegen die Kälte haben die beiden Männer reichlich Decken. Einen Winter haben sie in ihrem Gratis-Heim, nur etwa 200 Meter vom Strand der im Sommer viel besuchten Cala Blava entfernt gelegen, schon verbracht. Auf die Gemütlichkeit in ihren drei Wänden (von vorne ist die Höhle halb offen) sind sie stolz. „Das haben wir alles gefunden oder geschenkt bekommen", sagt Lothar. Vor rund eineinhalb Jahren haben die Männer ihr Höhlenheim bezogen. Kurz zuvor hatten beide ihr letztes Geld ausgegeben und standen auf der Straße. „Wir haben im Wald geschlafen", berichtet Lothar. Schließlich hatte ihnen ein Bekannter den Tipp mit der Höhle gegeben. Der natürliche Unterschlupf war früher schon von anderen Bewohnern genutzt worden. Bevor sie „einzogen", vergewisserten sich Lothar und Hans-Jürgen, dass der Ort wirklich ungenutzt war und räumten die Hinterlassenschaften der Vorbewohner hinaus.

Wenige Wochen zuvor hatten sich die beiden Mallorca-Deutschen, beide in einer ähnlichen Notsituation, zufällig am Strand von Arenal kennengelernt und auf Anhieb Freundschaft geschlossen. Hans-Jürgen war damals komplett mittellos. „Mir ist im Bierkönig mein letztes Geld und mein Ausweis gestohlen worden", sagt er. Dann wurde er offenbar von anderen deutschen Obdachlosen bedrängt. „Das habe ich gesehen, da bin ich eingeschritten. Schließlich habe ich 20 Jahre geboxt", erzählt Lothar. Die zwei Männer, beide ohne Dach über dem Kopf, taten sich spontan zusammen. Seitdem schlagen sie sich gemeinsam durch. Neben ihrer Not haben sie noch mehr gemeinsam. Beide wollten auf Mallorca ihr Leben in Deutschland vergessen.

Hans-Jürgen, der aus Jever in Norddeutschland stammt, kam im September 2007 auf die Insel. „Davor waren in einem Jahr meine Mutter und meine Schwester gestorben, und ich hatte Ärger mit meiner Frau. Wir trennten uns." Zu viel für den gelernten Einzelhandelskaufmann und Vater einer zehnjährigen Tochter und eines elfjährigen Sohns. „Ich wollte eigentlich nur mal den Kopf frei kriegen, aber dann hab ich mich in Mallorca verliebt", sagt er. Die 10.000 Euro, mit denen er anreiste, waren bald ausgegeben. „Ich wohnte erst im Hotel, dann in einem Apartment, dann im Hostal."

Lothar, der aus Kleve am Niederrhein stammt, flog Anfang Dezember 2007 nach Palma. Davor hatte der 49-Jährige nach eigenen Angaben wegen zwei Banküberfällen und mehreren Fluchtversuchen insgesamt 18 Jahre im Gefängnis gesessen. Nach drei Tagen feiern der wiedererlangten Freiheit habe er am Flughafen vor der Anzeigetafel gestanden und sich spontan in die nächste Maschine nach Mallorca gesetzt. Bald ging es ihm ähnlich wie Lothar. „Ich hatte 2.500 Euro, aber die Knete war schnell zu Ende." Auch er hat zu seinen drei Kindern und seinen drei Ex-Frauen in Deutschland kaum noch Kontakt.

Familienersatz bieten sie sich nun gegenseitig. Lothar nennt Hans-Jürgen liebevoll „Schnubbel". Gemeinsam suchen sie nach Gelegenheitsjobs, um sich über Wasser zu halten. „Wir machen Finca-Service wie Gartenarbeiten, Poolreinigung und Rasenmähen oder helfen bei Umzügen", sagt Lothar. Hans-Jürgen hilft außerdem in der deutschen katholischen Gemeinde an der Playa de Palma als Hausmeister aus. Außerdem zählen die beiden Höhlenbewohner auf die treue Unterstützung von Freunden mit Dach über dem Kopf, einem deutsch-spanischen Paar, das in der Nähe wohnt. „Dort können wir duschen oder bekommen auch mal etwas zu essen. Weihnachten sind wir dort auch eingeladen", erzählt Lothar. Geld brauchen die beiden wenig. „Wir kommen mit 20 oder 30 Euro die Woche aus."

Das knappe Budget reicht auch deswegen, weil Lothar und Hans-Jürgen den Großteil ihrer Ernährung mit abgelaufenen Produkten aus dem Eroski-Supermarkt in Son Verí Nou bestreiten. Die beiden Deutschen stöbern jeden Abend den dortigen Abfallcontainer durch. Auch tagsüber verbringen sie viel Zeit in der Umgebung des Supermarktes. Es ist eine Art Treffpunkt für die Höhlenbewohner der Gegend. Denn außer Lothar und Hans-Jürgen leben noch etwa ein Dutzend andere mittellose Mallorca-Bewohner in Höhlen. Darunter sind mehrere Deutsche, die in felsigen Unterkünften in Arenal hausen. Lothar und Hans-Jürgens nächste Höhlen-Nachbarn sind ein tschechisches Paar, das in Son Verí Nou in einer Höhle mit Meerblick untergekommen sind. Tagsüber sind sie ebenfalls oft am Eroski anzutreffen. Lothar spricht dort häufig die Kunden an, die dort einkaufen „So bekommen wir kleine Arbeitsaufträge." Beide legen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Als Obdachlose sind Lothar und Hans-Jürgen auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Auch ein gemeinsames Handy besitzen sie. „Man muss ja erreichbar sein."

Ihre Pläne? Momentan erhoffen sich Lothar und Hans-Jürgen Hilfe von einer Wohltätigkeits-Organisation, die ihnen Arbeit in den Niederlanden verschaffen will. Wenn daraus nichts wird, bleiben sie wohl weiterhin in ihrer Höhle. Zurück nach Deutschland wollen sie beide nicht, obwohl die Trennung von den Kindern schwer sei. „Ich habe auch einige Unterhaltsschulden angesammelt", sagt Hans-Jürgen. Wäre Hartz IV, die Sozialhilfe, die es in Deutschland im Gegensatz zu Spanien gibt, keine Lösung? „Nein, was soll ich damit. Ich will ja arbeiten", sagt Lothar. Und außerdem haben sie auf Mallorca ihre Höhle. „So könnten wir in Deutschland nicht leben."

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

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