„Manchmal glaube ich, dass es in Cala Ratjada mehr Callcenter gibt als normale Geschäfte", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter dieser Branche resigniert gegenüber der MZ. „Nun habe ich mir vorgenommen, alles zu erzählen, damit diese Betrügerei ein Ende hat."

Und zu erzählen gibt es da eine Menge. Es sind Geschichten vom dreisten Betrug am Telefon, zusammengeschnittenen Aufzeichnungen von Verkaufsgesprächen und dem Überrumpeln von oft arglosen, meist älteren Opfern in Deutschland. Aber es sind ebenso die Geschichten von gescheiterten Existenzen und mittellosen Mitarbeitern, die sich aus Geldnot zu den Betrügereien gezwungen sahen und dabei meist selbst von ihren Chefs übers Ohr gehauen wurden. Und es ist die Geschichte von Freunden, die sich nun untereinander Geld schulden und sich deswegen gegenseitig bedrohen und verraten.

Die Lotto-3.000-Masche

Aus den Versatzstücken der Gespräche zeichnet sich folgendes Bild: Betrüger, die teilweise bereits in Deutschland Callcenter betrieben oder auch als Zuhälter im Rotlichtmilieu gearbeitet hatten, bauten in Capdepera und Cala Ratjada im vergangenen Jahr mehrere Callcenter auf. Über Anzeigen im Internet oder Zeitungen suchten sie Personal: „Lust am Telefonieren? Chance für Quer-/Wiedereinsteiger. Keine Ausbildung oder Vorkenntnisse notwendig …", kann es da heißen oder auch eleganter ausgedrückt: „Lukrativer Nebenjob im Telekommunikationsbereich".

So wurde von Capdepera aus der sogenannte „Lotto-3.000-­Betrug" eingefädelt. Dazu wurden Telefonnummern in Deutschland angerufen, meist von älteren Leuten, die man zum Beispiel über den Einleitungssatz „Sie haben einen Gutschein für den Otto-Versand gewonnen" in ein Gespräch verwickelte. Im weiteren Verlauf des Telefonats wurde den Ahnungslosen dann eine Teilnahme an einer Lotto-Tipp­gemeinschaft verkauft, der sie meist zustimmten, ohne es zu bemerken. Anschließend wurden die aufgezeichneten Telefonate geschnitten, so dass vom Otto-Versand nicht mehr die Rede war.

Das Geschäft lief gut. „Es ist schon unglaublich, wie dumm die Leute sind", wundert sich noch heute ein ehemaliger Mitarbeiter, der inzwischen selbst wieder ein Callcenter aufgebaut hat. „Bei jedem zweiten Anruf hat es geklappt, und die Leute haben uns Bankleitzahl und Kontonummer gegeben."

Die Gespräche mussten schnell geschnitten werden. „Einmal hieß es, wir hätten 20.000 Gespräche auf Halde." Die Mitarbeiter machten Extra­stunden und sollten 50 Cent pro geschnittenem Telefonat bekommen, die allerdings wohl nie ausgezahlt wurden.

Mulmig wurde den Mitarbeitern, als das Thema „Lotto 3.000" in den deutschen Medien, zum Beispiel bei „Stern-TV", erschien. Auf Mallorca wussten die meisten Mitarbeiter anscheinend nicht, dass die Opfer anschließend rund um die Uhr von automatisch erzeugten Tonbandaufnahmen angerufen wurden, die den Senioren drohten und sie zum Zahlen aufriefen.

Kurze Zeit später, im Herbst ­vergangenen Jahres, verschwand der Arbeitgeber und ließ die ­Mitarbeiter auf den versprochenen Gehältern sitzen. Einige machten Druck und erhielten zumindest einen Abschlag.

Neuer Datensatz, neues Glück

Ein Teil der Belegschaft fand in neuen Callcentern wieder eine Anstellung. Diesmal gab es besonders gut aufbereitete Adressenlisten, die auf dem Schwarzmarkt zu kaufen sind. Die Kontaktdaten enthielten zum Beispiel Angaben darüber, wer wann bei welchem Fernsehsender an einem Gewinnspiel teilgenommen hatte, so dass bei den Gesprächsteilnehmern der Eindruck entstehen konnte, sie hätten einen Preis gewonnen. Also rückten sie Kontonummer und Bankleitzahl heraus und schlossen nebenbei gleich, ohne es zu wollen, ein Zeitschriftenabo ab.

„Man kann auf dem Markt alle möglichen Datensätze von potenziellen Kunden kaufen", erzählt ein erfahrener Callcenter-Betreiber. Wenn es nur Telefonnummern sind, bekomme man sie für rund 50 Cent das Stück. Umfassen sie hingegen komplette Angaben, teilweise sogar mit Bankverbindungen, kosten sie bis zu drei Euro pro Datensatz. „Einmal hatten wir die Daten von Teilnehmern bei einer Verlosung eines großen Autohauses auf dem Weihnachtsmarkt. Wir hatten die Datensätze ganz schnell, meist schon einen Tag nachdem die Leute ihr Teilnahmelos auf dem Weihnachtsmarkt abgegeben hatten", erzählt ein Ehemaliger.

Auch in diesem Callcenter war das Ende ähnlich: Der Betreiber verschwand über Nacht zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Angeblich sei er noch immer auf der Insel, angeblich telefoniere er schon wieder mit einer neuen Masche, während die Angestellten – teilweise waren sie wegen des Jobs extra aus Deutschland auf die Insel gekommen – wieder ohne Lohn dastünden.

Rückkehr aus Deutschland

Und die Geschichte wiederholte sich noch ein drittes Mal. Ein ehemaliger und in der Szene bekannter Callcenter-Betreiber kehrte auf die Insel zurück, stellte die Mitarbeiter erneut ein und benutzte sogar dieselben Räume. Teilweise werde den Mitarbeitern nur 2,50 Euro pro Stunde bezahlt. Der Rest sei Provision pro abgeschlossenem Vertrag am Telefon.

„Die Maschen werden immer dreister", erzählt ein anderer Ehemaliger, der inzwischen auf eigene Faust Telefonakquise betreibt. „Jetzt rufen sie angeblich im Namen der Kinderkrebshilfe an. Aber pro abgegebener Spende von 70 Euro erhält das Callcenter eine Provision von 30 Euro. Und andere wollen ja auch noch daran verdienen. Da kann man sich schon vorstellen, dass von dem Geld nichts bei dem angeblichen Auftraggeber ankommt", mutmaßt ein Branchenkenner.

Rund die Hälfte der knapp ein Dutzend Interviewten ist inzwischen aus dem Geschäft ausgestiegen. Sie antworteten meist nur ungern auf Fragen: „Für mich ist das Thema abgeschlossen. Ich kann nur allen raten, sich nicht mit Callcenter-Betreibern einzulassen, wenn dahinter nicht ganz offiziell ein großes bekanntes Unternehmen steht", rät einer. Die andere Hälfte der Befragten hat inzwischen selbst Callcenter aufgemacht und sucht teilweise neue Mitarbeiter, die wieder Kunden in Deutschland anrufen. Alle betonen, dass sie jetzt einen legalen Auftraggeber haben. Ihre ehemaligen Kollegen bezweifeln dies nicht selten.

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