Außenminister Guido Westerwelle musste am Mittwoch (18.7.) seinen Mallorca-Urlaub unterbrechen, um an der Sondersitzung des Bundestages zur Bankenhilfe für Spanien teilzunehmen. Freitag und Samstag ist er aber wieder da und berät in Palma mit Amtskollegen über die Zukunft Europas. Die MZ empfing er vor seinem Abflug nach Berlin.

Vor ein paar Wochen gab IWF-Chefin Christine Lagarde dem Euro drei Monate, sollte es nicht gelingen, die Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Wo stehen wir heute?

Der Euro ist stark, und er ist stabil. Er wird diese Schwierigkeiten überstehen, denn wir bekämpfen die Wurzeln des Übels. Und diese Wurzel heißt Schuldenkrise.

Im Bundestag steht an diesem Donnerstag die Abstimmung über die Bankenhilfen für Spanien an. Es gibt Unstimmigkeiten, ob Spanien als Staat für diese Kredite bürgen muss. Was meinen Sie?

Es gibt keine Unstimmigkeiten, sondern eine klare Vereinbarung, nämlich dass die Hilfen gewährt werden und dass der spanische Staat, der sie beantragt hat, dafür auch gerade steht.

Kann man ausschließen, dass Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen muss?

Ich habe nicht die Absicht, in Interviews Spekulationen anzustellen. In den letzten Jahren wurde viel zu viel spekuliert, in öffentlichen Äußerungen und an den Märkten. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Schuldenkrise zu lösen. Denn aus der Schuldenkrise ist eine Vertrauenskrise geworden, und wenn man Vertrauen für neue Investitionen zurückbekommen möchte, dann ist es erforderlich, dass die Reformen in den Nationalstaaten auch umgesetzt werden. Hier hat sich die Regierung Rajoy mit bemerkenswerter Führungskraft auf den Weg gemacht.

Sie haben sich ein Haus gekauft auf Mallorca und sind jetzt häufiger hier. Kriegen Sie etwas von dem Unmut auf der Straße mit?

Ich bin regelmäßig in Spanien, führe auch viele Gespräche mit meinem spanischen Kollegen, und kenne Spanien seit meiner Studentenzeit sehr gut. Spanien ist für mich so etwas wie eine zweite Heimat, deswegen weiß ich auch um die schwere Bürde, die vor allem die ganz normalen Menschen, gerade der jungen Generation, derzeit schultern müssen. Unser Maßnahmenpaket soll gerade ihnen helfen.

Was würden Sie dem Mann auf der Straße sagen, der gerade arbeitslos geworden ist?

Wenn es wieder Wohlstand für alle geben und wenn vor allem die erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit wieder sinken soll, dann müssen die Reformen der Regierung eine Chance bekommen. Gute Medizin schmeckt meistens bitter, aber sie wirkt.

Die Wahrnehmung der Krise ist in Deutschland und Spanien sehr unterschiedlich. In Deutschland der Ärger über den südländischen Schlendrian, in Spanien der über die unnachgiebige Haltung der Deutschen. Was unternehmen Sie, um Brücken zu schlagen?

Die Zeit, in der sich die Völker Europas mit Klischees und Vorurteilen begegnen, sollte ein für allemal vorüber sein – und das sage ich in alle Richtungen. Bedauerlicherweise gibt es in jedem Land immer auch Menschen, die auf dem Krisenfeuer ihr unappetitliches politisches Süppchen kochen wollen. Das hat aber nichts mit der großen Mehrheit der Menschen zu tun. Die große Mehrheit der Deutschen weiß, dass Europa mehr ist als Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung. Gerade jetzt in diesen Urlaubswochen wird doch Europa erlebbar: ohne Grenzkontrollen, mit Reisefreiheit und auch der Freiheit, sich seinen Arbeits- oder Studienplatz frei aussuchen zu können. Und umgekehrt wissen auch die Menschen in Spanien, Irland, Portugal und Griechenland, dass Deutschland mit seiner Solidarität vorbildlich ist. Wir bürgen mit der Summe etwa des gesamten Bundeshaushaltes eines Jahres. Das ist eine Solidarität, für die ich mich, auch als deutscher Außenminister, beim deutschen Steuerzahler bedanken will.

Im Gegenzug für die Solidarität fordert Deutschland eine strenge Haushaltsdisziplin ein. Wie aber soll auf den Wachstumspfad zurückgefunden werden, wenn nur gespart wird?

Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen, sondern ist das Ergebnis von Wettbewerbsfähigkeit. Und eine Schuldenkrise kann man nicht überwinden, indem man das Schuldenmachen erleichtert, sondern nur, indem man neues Vertrauen schafft. Das Vertrauen kommt dann, wenn man deutlich macht, dass man die richtigen Lehren aus der Krise gezogen hat.

Würden Sie die mit den anderen Krisenländern – Portugal, Irland, Griechenland – vereinbarten Sparpakete als einen Erfolg werten?

Die Situation ist in jedem dieser Länder doch sehr unterschiedlich. Irland und Portugal haben gerade gezeigt, dass mit einer konsequenten Reformpolitik die Lage auch sehr schnell wieder besser werden kann.

Sie würden also sagen, dass diese Sparpakete die Krise eingedämmt haben, wir also ohne sie jetzt schlechter dastünden?

In Irland und in Portugal sehen wir erste Erfolge, und diese Erfolge wünsche ich auch den anderen Ländern Europas, die unter Druck stehen. Die werden aber nur kommen, wenn der eingeleitete Reformkurs mit Mut. Ausdauer und auch mit Optimismus angegangen wird. Gerade Spanien ist doch ein Land, das bekannt ist für seinen zahlreichen international tätigen Unternehmen, für Produkte, die in die ganze Welt verkauft werden. Die spanische Brücke zum boomenden lateinamerikanischen Kontinent kann eine große wirtschaftliche Chance für ganz Europa bedeuten.

Spanien hatte traditionell ein sehr gutes Verhältnis zu Deutschland und auch ein sehr positives Bild der Bundesrepublik, und ?

Ich unterbreche Sie nur ungerne, aber die Vergangenheitsform ist nicht angebracht. Aus zahllosen Begegnungen und vielen Gesprächen mit Kollegen und Freunden in Spanien weiß ich, dass man Deutschland und die Deutschen schätzt. Und umgekehrt schätzen die Deutschen die Spanier, sonst kämen sie nicht millionenfach in dieses wunderschöne Land. Wir sollten uns von nichts und von niemandem etwas anderes einreden lassen.

Sie registrieren also kein Anwachsen der Ressentiments?

Es gibt in ganz Europa als Ergebnis der Krise Populismus und auch Tendenzen zu einer Renationalisierung. Dem zu widerstehen, ist die Verantwortung von politischen Führungspersönlichkeiten. Europa ist nicht nur die Antwort auf das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, es ist unsere Lebens- und Wohlstandsversicherung als europäische Kulturgemeinschaft in Zeiten der Globalisierung. Jedes einzelne Land in Europa, selbst das relativ große Deutschland, wäre in der Welt des 21. Jahrhunderts allein und für sich genommen zu klein. Als Europäer mit zusammen etwa 500 Millionen Menschen können wir unser ganzes Gewicht gemeinsam auf die Waagschale bringen. In wenigen Jahren wird alleine Indien dreimal mehr Menschen beheimaten, als in ganz Europa leben. Das zeigt uns die historische Dimension unserer Aufgabe.

Wird das den Bürgern genügend erklärt, dass die einzige Lösung in dieser Situation noch mehr Europa ist?

Ich glaube, gerade die junge Generation, die ja mit den neuen Informationstechniken so lebt, wie es meine Generation in ihrer Jugend nicht ahnen konnte, weiß doch von den Veränderungen in der Welt. Und gerade die junge Generation wird jedenfalls in ihrer Mehrheit Europa mutig und tapfer verteidigen und auch verantwortungsvoll und intelligent fortentwickeln.

Dieses mehr Europa drückt sich in sehr konkreten Schritten aus: Fiskalpakt, gemeinsame Bankenaufsicht. Sie und Ihre Kollegen stellen in der Zukunftsgruppe noch weitergehende Überlegungen an. Welche?

Diese Zukunftsgruppe, die ich einberufen habe und die diese Woche auf Mallorca tagt – auch um ein Zeichen der Freundschaft und Solidarität an Spanien zu senden –, will Europa vertiefen und verbessern. Wir haben doch in den letzten beiden Jahren sehen können, dass die europäischen Entscheidungsmechanismen noch nicht transparent genug, gelegentlich nicht effizient genug und ganz sicher auch manches Mal nicht schnell genug gewesen sind. Und dann müssen wir uns an neue Zukunftsfelder heranmachen. Zum Beispiel sollte die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa gemeinsam angegangen werden. Es macht doch keinen Sinn, dass jedes Mitgliedsland in der EU eine komplette Verteidigungsstruktur unterhält und wir uns nicht zusammenschließen, wo doch unsere Sicherheit nur gesamteuropäisch gewährleistet werden kann.

Wie sieht es mit der demokratischen Legitimation aus? Der Wahl des Kommissionspräsidenten etwa?

Ich persönlich bin dafür, dass die Spitzenkandidaten der Parteien europaweit antreten, europaweit für Ihre Ideen werben und Ihre Politik erklären, dass ein europäischer Präsident eines Tages direkt gewählt wird, dass das Europäische Parlament die erste Kammer wäre und die sogenannten Ministerräte zu einer zweiten Kammer weiterentwickelt werden. Aber das ist Zukunftsmusik, die auch viele Freunde und Kollegen in Europa noch nicht teilen. Aber ich möchte diese Punkte schon jetzt ansprechen, denn auch ein Marathon beginnt mit dem ersten Schritt.

Und wie lange könnte der Marathon dauern? Zehn, zwanzig Jahre?

Es wäre nicht klug, Ihnen den Gefallen zu tun, einen Zeitraum zu nennen. Das brächte Ihnen viel Aufmerksamkeit, mir aber ein Problem.

Bleibt unter dem Druck der Märkte die Ruhe, strategische Fortentwicklungen der EU zu durchdenken?

Das ist der Grund für die Einberufung der Zukunftsgruppe, die ja auch sehr viel Zuspruch für Ihren Zwischenbericht erhalten hat. Ich bin in meinen drei Jahren als Außenminister in sehr vielen Ländern zu Gast gewesen, in vielen davon mehrfach. Und eines möchte ich unseren Lesern sagen: Europa wird gerade von außerhalb unseres Kontinents als ein erfolgreiches Kooperationsmodell geschätzt und bewundert. Noch die Generation meiner Eltern hat erfahren müssen, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Auch in Europa selbst gibt es immer noch große Herausforderungen. Wir müssen unsere rechtsstaatliche Werteordnung auch in aufgeheizten innenpolitischen Situationen wie jetzt in Rumänien verteidigen und durchsetzen. Wir setzen etwa auf dem Westlichen Balkan auf Kooperation, Ausgleich und Verhandlungen, um dort lange bestehende Probleme zu lösen. Europa braucht Freunde, und das ist wie im richtigen Leben: Nicht nur in guten Zeiten.

Und dafür muss Europa zusammenstehen. Wenn es so weit kommen sollte, dass die einzige Lösung, um den Euro zu erhalten, die Vergemeinschaftung der Schulden ist, würde sich Deutschland dem verweigern?

Die Vergemeinschaftung von Schulden wäre keine Lösung, sondern die Potenzierung des Problems.

Das sehen einige Ihrer Kollegen anders.

Mit mehr Schulden oder der Erleichterung des Schuldenaufnehmens kann man eine Schuldenkrise nicht bewältigen. Und Deutschland kann nicht gesamtschuldnerisch für alle Schulden Europas haften, denn auch unsere Kräfte müssen klug eingesetzt werden, sie sind nicht grenzenlos. Vor zehn Jahren noch war Deutschland der kranke Mann Europas, heute sind wir wohl in der besten Lage seit einer Generation. Wir schlagen niemanden in Europa etwas vor, was wir uns nicht selber zugemutet haben.

Gleichzeitig profitiert Deutschland derzeit von den extrem niedrigen Finanzierungskosten. Eine Vergemeinschaftung der Schulden würde das nivellieren.

Gestern hat die Platzierung von portugiesischen Anleihen gezeigt, dass mit Ausdauer und Reformkraft auch Licht am Ende des Tunnels wieder sichtbar wird.

Die Märkte sind volatil. Trauen Sie Ihnen noch?

Die Märkte sind keine Verschwörung, keine Geheimloge im Hinterzimmer, sondern bestehen aus Marktteilnehmern wie Sie und ich. Etwa dann, wenn Ihre Familie Ihr Geld auf ein Festgeldkonto einzahlt, Schuldverschreibungen oder ein Stück Ackerland erwirbt. Renten oder Pensionsfonds, die weltweit agieren, entscheiden, ob sie zu uns kommen oder nach Asien gehen, Investoren aus den Golfstaaten schauen, ob sie sich Europa oder vielleicht Lateinamerika und Afrika als Standort aussuchen. All das sind die Märkte.

EU-Außenminister treffen sich in PalmaAußenminister Guido Westerwelle trifft sich am 20. und 21. Juli mit europäischen Kollegen in Palma. Die so genannte „EU-Zukunftsgruppe" wurde auf Initiative Westerwelles als informelles Gesprächsforum der Außenminister im März 2012 gegründet. Neben Deutschland sind Belgien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal und Spanien mit von der Partie. Beim Treffen in Palma ist erstmals auch der französische Außenminister Laurent Fabius dabei.Seit der ersten Zusammenkunft in Berlin traf sich die Gruppe bereits in Brüssel und Wien. Ergebnis der bisherigenTreffen ist ein Zwischenbericht, in dem die Minister vor allem eine bessere Handlunsfähigkeit der EU fordern. Konkret schlagen sie einen direkt gewählten Präsidenten für die EU-Kommission, die Einsetzung eines europäischen Finanzministers und die Schaffung eines echten parlamentarischen Zweikammersystems.