Das Modell einer Berliner U-Bahn, das José Ramón Orta in seinem Büro stehen hat, ist mehr als ein Souvenir. Wenn der Geschäftsführer von Mallorcas Eisenbahngesellschaft SFM von seinen Modernisierungs- und vor allem Sanierungsplänen spricht, verweist er immer wieder auf die Kollegen aus Deutschland. Den Deutschen mögen die Berliner Verkehrsbetriebe nicht unbedingt als Inbegriff der Effizienz vorkommen, für José Ramón Orta dagegen sind sie ein Vorbild.

„Es ist inzwischen eine Herausforderung zu garantieren, dass auf Mallorca überhaupt noch Züge fahren", sagt Orta. Der Betrieb koste jährlich 80 Millionen Euro, über den Fahrkartenverkauf kämen aber gerade einmal 5 Millionen Euro herein. Zudem hat die SFM mit einer langen Liste von Problemen zu kämpfen, von Streiks der Mitarbeiter über massives Schwarzfahren bis hin zu den gestoppten Bauarbeiten auf der Neubau­strecke Manacor-Artà, die auch nach anderthalb Jahren auf unbestimmte Zeit auf Eis liegen.

Nach mehreren Streiktagen im November ist immer noch keine Einigung für einen neuen Tarifvertrag in Sicht. Die Finanzlage sei zu heikel, um Zugeständnisse machen zu können, sagt Orta: Ein Zugführer etwa beziehe in der Regel ein Grundgehalt von 38.000 Euro im Jahr bei 28 Urlaubstagen. Hinzu käme die Vergütung der Überstunden, die das Einkommen aller 194 SFM-Mitarbeiter auf im Schnitt 53.600 Euro schnellen ließe. „Selbst ich als Geschäftsführer liege mit 50.000 Euro darunter," sagt Orta. Damit seien die Mitarbeiter Spitzenverdiener auf den Balearen, noch vor anderen öffentlichen Körperschaften wie etwa Palmas Stadtwerken Emaya, die ebenfalls für hohe Gehälter bekannt sind.

Bei den Arbeitnehmern sieht man die Sache etwas anders: Das Problem sei die miserable Personalplanung und die Politisierung des Betriebs, kritisiert Mitarbeiter-Sprecher Victoriano Rodríguez von der Gewerkschaft UGT. Ein beträchtlicher Teil der Personal­kosten fließe in die Taschen leitender Angestellter. Er selbst verdiene als Schaffner 1.600 Euro im Monat. Die hohe Zahl teurer Überstunden falle an, weil nicht genügend Mitarbeiter eingestellt worden seien. Statt Leute vom Fach säßen Politiker auf Leitungs­posten, die von Zügen und Schienen oft keine Ahnung hätten. Dem jetzigen Geschäftsführer Orta bescheinigt Rodríguez zumindest ein Faible für die Eisenbahn.

40 Prozent Schwarzfahrer

Im Argen liegt zudem die Ticket-Kontrolle - nach Schätzungen beträgt die Zahl der Schwarzfahrer rund 40 Prozent. Orta verweist auf nicht funktionierende Drehkreuze und fehlende Inspektionen. Sinnvoll wären saftige Strafen für Schwarzfahrer, so wie in Deutschland üblich. Zudem hat der Geschäftsführer die Schaffner auf dem Kieker. Sie seien stets nur auf einer Strecke unterwegs, statt die Züge zu wechseln. „Die restliche Fahrt sitzen sie neben dem Lokführer und sorgen für jede Menge Überstunden." Auch diese Regelung soll aufgelockert werden.

Während das Geld an allen Ecken und Enden fehlt, sucht der Geschäftsführer nach neuen Einnahmequellen. So ist geplant, Ladenlokale in Bahnhöfen zu vermieten, die bislang leer standen oder den Kommunen gratis überlassen wurden. In Frage kämen Geschäfte und Restaurants genauso wie Herbergen, die ersten Ausschreibungen seien bereits raus. Als Beispiele nennt Orta den früheren Busbahnhof in Palma oder den Bahnhof von Sineu. Selbst das zu groß geratene Verwaltungsgebäude in Pont d´Inca soll vermietet werden. Erstmals will die SFM auch Innen- und Außenwerbung für die Züge verkaufen. Plakate, Durchsagen, Spots auf den Monitoren, Umlackierungen von Zügen - alle Einnahmen seien derzeit willkommen.

Dass auch Frequenzen gekürzt und Preise erhöht werden könnten, dementiert der Geschäftsführer. Geplant sei vielmehr, Verbindungen etwa vom Wochenende auf Hauptverkehrszeiten zu legen, um leere Züge einerseits und überfüllte Züge andererseits zu vermeiden. Man habe zudem rund 8 Millionen Euro investiert, um die Signalanlage zu modernisieren, und so kürzere Taktzeiten zu ermöglichen.

Nach der Kehrtwende

Die Lage bei SFM ist auch deswegen so dramatisch, weil noch in der vergangenen Legislaturperiode eine andere Marschrichtung galt - Mitte-Links investierte in die Neubau­strecke Manacor-Artà, die nun seit andert­halb Jahren aus Geldmangel brachliegt. Der Ärger der Anwohner wächst täglich. In einem offenen Brief bezichtigte jetzt die Bürgerinitiative Plataforma pel Tren de Llevant die Landesregierung der Untätigkeit: Statt sich um Gelder für einen Fertigbau von der Zentral­regierung in Madrid zu bemühen, lasse man die Trasse sehenden Auges

vergammeln.

Orta selbst hat keine Verwendung für die bereits gelieferten Waggons. „Wir wissen gar nicht wohin damit." Sechs Niederflur-Züge haben 27 Millionen Euro gekostet. Zwar ist die Strecke zwischen Palma und dem Umsteige­bahnhof Enllaç (hinter Inca) elektrifiziert, aber der Einstieg der neuen Züge ist zu tief für die bestehenden Bahnsteige. Derzeit stehen sie in Palmas Hauptbahnhof auf dem Abstellgleis. Auf den Strecken nach Sa Pobla und Manacor können sie erst recht nicht fahren, da keine Oberleitungen installiert sind. Stattdessen müssen alle Passagiere, die weiterfahren, in Dieselzüge umsteigen. Auch von denen hat die SFM nach der Teilelektrifizierung mehr als genug. Zum Glück hat Angola

Interesse angemeldet - das afrikanische Land könnte zehn Züge für 10,1 Millionen Euro abnehmen.

Und dann wäre da noch eine überflüssige Schienenwartungs­maschine, die ebenfalls von der Vorgängerregierung eingekauft worden sei, so Orta. Aber vielleicht könne man sie ja an die Kollegen aus Berlin loswerden.

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