„Wir können nicht mehr darauf warten, dass wir von den öffentlichen Institutionen etwas abbekommen", sagt Lino Salas, Sprecher von Projecte Home. Deswegen sucht die balearische Hilfsorganisation für Drogenabhängige und deren Angehörige seit dem Frühjahr aktiv nach Unterstützung - und zwar in der Fußgängerzone von Palmas Altstadt. Jeweils vormittags und nachmittags sind vier Helfer im Einsatz, die Passanten ansprechen und sie fragen, ob sie die Vereinigung finanziell unterstützen wollen.

Wer zu den Hauptgeschäftszeiten in den Straßen rund um die Plaça Major unterwegs ist, wird den captadores callejeres von Mallorca mit großer Wahrscheinlichkeit begegnen. Sie sind oft zu zweit unterwegs, tragen farbige Westen mit dem Logo der Organisation, in der Weihnachtszeit auch mal Nikolausmützen, und haben vor allem ein Ziel: Passanten dazu zu bewegen, für ein kurzes Gespräch stehen zu bleiben, um sie dann davon zu überzeugen, einen Mitgliedsantrag zu stellen oder eine Spende zu tätigen.

Die „Face-to-Face-Aktionen", wie die Strategie im Fachjargon heißt, werden zu einer immer wichtigeren Säule bei der Finanzierung wohltätiger Vereinigungen, vom Roten Kreuz und Caritas über die Umweltschutzorganisation WWF bis hin zu Ärzte ohne Grenzen. „Face-to-Face hilft, Leben zu retten", sagt etwa Amaia Elizalde, Balearen-Koordinatorin bei Unicef. In Zeiten der Krise sind die Mittel der öffentlichen Hand knapp, und der Einsatz der professionellen Anwerber zahlt sich in barer Münze aus.

Rund die Hälfte der neuen Mitglieder werden inzwischen auf der Straße angeworben, sagt Isabel Martínez Noriega von der spanischen Vereinigung gegen Krebs (AECC), die die trabajadores ­callejeros bereits seit 2006 im Einsatz hat. Salas von Projecte Home verweist darauf, dass sich diese Art der Mitgliederwerbung in englischsprachigen Ländern schon lange bewähre und deswegen inzwischen von praktisch allen Non-Profit-Organisationen auch in Spanien angewandt werde.

So sind die Helfer auf den Straßen denn auch in der Regel keine Freiwilligen, sondern Angestellte, die ein festes Gehalt und meist eine Kommission für jedes neue Mitglied erhalten. Viele Organisationen haben zudem Agenturen mit der Mitglieder-Werbung beauftragt. Die wohltätigen ­Drückerkolonnen sind zu einem kleinen Wirtschaftszweig geworden.

Maria Rodríguez ist seit Oktober dabei. Wie die meisten ihrer Kollegen hat sie ein abgeschlossenes Studium, findet aber keine Stelle in ihrem Fachgebiet. „Diesen Job macht man aus reiner Notwendigkeit", so die 25-Jährige (Name v. Red. geändert). Sie hat bereits ein Gespür für die Passanten entwickelt. „Solche in Anzug und Krawatte spreche ich erst gar nicht an", sagt Rodríguez. „Diejenigen, die geben könnten, wollen nicht, und diejenigen, die wollen, können nicht." Obwohl die Anwerbung in der Vorweihnachtszeit etwas leichter falle als sonst, machten sich dieses Jahr Krise und Einsparungen bemerkbar - beispielsweise bei den Angestellten des öffentlichen Dienstes, die auf ihr Weihnachtsgeld verzichten müssen. Und selbst, wenn die Passanten sich auf ein Gespräch einließen, machten sie spätestens dann einen Rückzieher, wenn es um die Angabe der Kontonummer gehe.

Das wirkt sich auch auf das Gehalt aus: Rodríguez erhält für den Halbtagsjob neben 470 Euro Grundgehalt 10 Euro für jedes voll erfasste neue Mitglied, wie sie sagt. An einem Tag komme sie in der Regel auf höchstens zwei Anwerbungen.

Besser gestellt fühlen sich die Mitarbeiter, die direkt von der wohltätigen Organisation und nicht über eine Agentur angestellt werden, so wie im Fall von Projecte Home. Sprecher Salas betont, dass alle Mitarbeiter vorab geschult würden, um alle Fragen über die soziale Arbeit beantworten zu können. Entscheidend sei zudem das Renommee einer Organisation. Im Fall von Projecte Home sei man inzwischen fast allen Mallorquinern bekannt, viele Angesprochene hätten im Bekanntenkreis selbst Drogensüchtige, denen geholfen worden sei. Deswegen seien die Passanten vergleichsweise aufgeschlossen.

Angesichts der Zahl von rund 100 Rekrutierungen pro Monat baut die Drogenhilfe die Spendenwerbung auf der Straße weiter aus: Inzwischen sind die Mitarbeiter auch in Inca sowie auf der Nachbarinsel Menorca aktiv. Auch Ibiza und die Stadt Manacor sollen demnächst folgen.

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