Eigentlich ist alles Mohammed Aziz, einem arbeitslosen Marokkaner aus der Nähe von Barcelona, zu verdanken. Der 52-Jährige hatte 2011 seine Wohnung verloren, weil er seine Hypothek nicht mehr bezahlen konnte. Sein Schicksal ist nur eines von spanienweit rund 420.000 - so viele Zwangsräumungen hat es offiziellen Zahlen zufolge in den Jahren 2008 bis 2012 gegeben. Doch der Fall landete vor dem Handelsgericht Nummer 3 in Barcelona, genauer gesagt auf dem Schreibtisch von José María Fernández Seijo. Und der schaltete den Europä­ischen Gerichtshof ein, um prüfen zu lassen, ob das spanische Hypothekengesetz mit dem im EU-Recht verankerten Verbraucherschutz vereinbar sei.

Nein, lautete das Urteil der höchsten Richter der EU, das am Donnerstag (14.3.) in Luxemburg verkündet wurde. Das spanische Verfahren der Zwangsräumungen sei illegal, da es den Bürgern keinen ausreichenden Schutz vor missbräuchlichen Klauseln in Hypothekenverträgen böte. Carlos Hernández Guarch aus Palma war das schon lange bewusst. Der Rechtsanwalt kämpft seit Jahren gegen die bestehende Rechtslage, die in seinen Augen allein die Banken begünstigt. Seit 2011 unterstützt er zudem Mallorcas „Plataforma de Afectados por la Hipoteca", die Vereinigung der Hypothekenopfer.

Herr Hernández, warum hatten Sie nie Zweifel, dass der EU-Gerichtshof so urteilen würde?

Weil es seit 31. Dezember 1993 eine europäische Verbraucherschutzrichtlinie gibt, die seit 1994 in Kraft ist und missbräuchliche Klauseln verbietet. Damals schon hatte die EU signalisiert, dass Spanien seine Gesetze anpassen müsse. Das ist 1998 auch geschehen. Allerdings hat man nur die Rechte der Verbraucher geändert, aber nicht die Verfahren. Die Richter hatten deshalb bisher keine Möglichkeit, eine Zwangsvollstreckung auszusetzen, um beispielsweise prüfen zu lassen, ob der Hypothekenvertrag aufgrund illegaler Klauseln vielleicht nichtig ist.

Wie sahen solche Verträge in der Regel aus?

Lassen Sie es mich anhand eines konkreten Falles erläutern: Ein Mann hatte im Januar 2012 Hypotheken­schulden in Höhe von 227.000 Euro. Der Verzugszins betrug laut Vertrag 28 Prozent. Für den Fall einer Zwangsversteigerung wurde der Wert der Immobilie auf 272.000 Euro beziffert. Als der Kunde die Hypothek nicht mehr bedienen konnte, wurde die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Weil sich kein Käufer fand, ging seine Wohnung an die Bank - wie vereinbart für 60 Prozent des festgelegten Werts, also 163.000 Euro. Diese Summe zog man von der gesamten Schuldenlast ab, wobei sich zu den 227.000 Euro innerhalb eines Jahres ein Säumniszuschlag von über 63.000 Euro addiert hatte. Der Mann hatte also seine Wohnung verloren und blieb auf rund 130.000 Euro Schulden sitzen - für die er von nun an 28 Prozent Zinsen zahlen muss. Innerhalb von drei Jahren würde er auf einem gleich hohen Schuldenberg sitzen wie Anfang 2012, nur dass er nun kein Dach mehr über dem Kopf hatte. Hinzu kommt, dass er eigentlich gar nicht in Zahlungsverzug geraten wäre, wenn die Bank für den variablen Zinssatz mittels einer Bodenklausel nicht eine Untergrenze festgelegt hätte. Der Kunde konnte somit nicht von niedrigen Zinsen profitieren. Oftmals verwendeten die Banken auch Hypotheken­zahlungen, um überzogene Konten auszugleichen, was ebenfalls illegal ist.

Das war bei allen Banken so?

Mag sein, dass es Verträge ohne illegale Klauseln gibt, aber ich habe noch keinen gesehen. Die Verzugszinsen waren bei der CAM, jetzt Sabadell, mit 29 Prozent am höchsten, andere nahmen 25 oder 20,5 Prozent. Caja Madrid (jetzt Bankia) hatte einen vernünftigen Ansatz: Wer in Verzug geriet, musste vier Prozentpunkte mehr zahlen, etwa 7 statt 3 Prozent.

Profitieren somit alle Leute, denen die Zwangsvollstreckung droht, von dem EU-Urteil?

Man muss sich jeden Fall anschauen. Die Gerichte müssen zumindest alle Verfahren aussetzen, bis Spanien sein Gesetz an die EU-Norm angepasst hat. Am sinnvollsten wäre es, Madrid würde per Verordnung alle laufenden Prozesse auf Eis legen. Damit würde sie nicht nur der Entscheidung der EU-Richter den größten Respekt zollen, sondern auch den Bürgern. Aber stattdessen warnt unsere stellvertretende Regierungschefin vor einer überstürzten Gesetzesänderung, die die 3 Prozent, die ihre Hypothek nicht mehr zahlen können, begünstigt, und die restlichen 97 Prozent schlechter stellt, da sich die Hypotheken verteuern würden und noch schwieriger zu bekommen seien. Momentan liegt es deshalb an den Richtern, die Verfahren zu unterbrechen. Sollten sie das nicht tun, kann der Bankkunde darauf pochen, dass der Prozess ausgesetzt wird.

Wie sieht es mit bereits abgeschlossenen Fällen aus?

Wir müssen 19 Jahre aufarbeiten, in denen das Gesetz falsch angewandt wurde, was auch immer das für Folgen hat. Falls sich eine geräumte Wohnung noch im Besitz der Bank befindet, könnte es möglich sein, dass der ehemalige Eigentümer sie zurückbekommt. In anderen Fällen wird man eventuell Schadensersatz fordern. Das ist noch viel Arbeit.

Und obendrein eine hochkomplexe. Der Otto Normalverbraucher ist da doch oftmals überfordert - und die plataforma kann wohl kaum allen Betroffenen juristischen Beistand geben?

Wir stoßen mit derzeit etwa 50 Fällen langsam an unsere Grenzen. Einige Kollegen und ich haben uns deshalb gleich am Samstag getroffen, um ein Schriftstück zu erarbeiten, das über die neue Gesetzeslage informiert. Es soll den Pflichtverteidigern von Hypothekenopfern als Arbeitshilfe dienen, aber auch die Betroffenen selbst aufklären.

Dennoch: Dass die Zwangsvoll­streckungen ausgesetzt werden, löst nicht das Problem, dass die Menschen kein Geld haben, um ihre Schulden zu bezahlen.

Aber das kann sich im Gegensatz zur Tatsache, dass man über Nacht obdachlos ist, ändern. Die Banken müssten den Leuten nur mehr entgegenkommen, die Zinsen senken und mehr Aufschub gewähren. Momentan macht es doch gar keinen Sinn, die Zwangsversteigerung anzuordnen, sobald jemand mit seiner Zahlung 39 Tage im Rückstand ist (diese Frist war in den Verträgen üblich, Anm. d. Red.) Nehmen Sie die Mitarbeiter des Unternehmens Orizonia, das gerade Insolvenz angemeldet hat: Die wissen doch nicht, wie es weitergeht, da muss man abwarten. Zudem kommt es auf Mallorca, wo viele Leute nur während der Saison arbeiten, immer wieder vor, dass sie Raten nicht pünktlich zahlen, da sollten die Banken flexibler sein. Zumal eine Studie des Internationalen Währungsfonds besagt, dass durch das Prozedere der schnellen Vollstreckung nicht nur die Immobilienpreise verfallen, sondern sich auch die ­soziale Probleme verschärfen. Im Stadtviertel Son Gotleu sind jetzt schon viele Wohnung besetzt von Leuten, die weder Strom noch Nebenkosten bezahlen. Dass das Unfrieden stiftet, ist doch logisch.

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