Freundliche Schäfchenwolken kriechen am Himmel entlang, die Luft ist klar, das Meer vor Port de Pollença liegt seelenruhig da und gleicht farblich einem Eisbonbon. Die ersten Urlauber haben es sich schon vor 9 Uhr am Strand gemütlich gemacht. Plötzlich aber kommt Hektik auf der Mole am Restaurant Stay auf. Ein feuerrotes Schlauchboot rast mit zwei Mann an Bord aufs Meer hinaus in Richtung Kap Formentor. Zwei Jetskis hinterher, das Wasser spritzt und schäumt. Die Lebens­retter von Marsave haben einen Notruf der dreiköpfigen Besatzung eines Motorbootes in der kleinen Bucht Es Caló nordwestlich von Port de Pollença empfangen.

Jetzt zählt jede Sekunde, das Boot steht nach einer Explosion in Flammen, ein junger Mann hat schwere Verletzungen erlitten, 50 Prozent seiner Haut sind verbrannt. Ein anderer hat sich leichte Verbrennungen zugezogen und sich einen Arm gebrochen. Eine junge Frau ist allem Anschein nach unverletzt und hält sich an einem Trümmerteil des Bootes fest. Der Schwerverletzte schwebt in Lebensgefahr.

Es ist - Gott sei Dank - eine Übung, die sich am Freitagvormittag (5.7.) in der kleinen Bucht abspielt. Aber sie hat es in sich, wie die Rettungsschwimmer danach ein wenig erschöpft feststellen. Toni March, der in ­Pollença für die Sicherheit der Strände zuständig ist und sich die Übung ausgedacht hat, grinst zufrieden in sich hinein. Er hat es Marsave nicht leicht gemacht. Das Unternehmen ist in Port de Pollença und einigen anderen Küstenorten, vor allem im Norden Mallorcas, für die Lebensrettung an den Stränden und in Küstennähe verantwortlich. 190.000 Euro zahlt die Gemeinde dafür im Jahr. „Das ist ein Haufen Geld, aber dafür haben die Balearen im gesamten Mittelmeer-Raum die sichersten Strände", behauptet March. In Palma gibt man 400.000 Euro im Jahr für die Sicherheit aus, balearenweit dürfte der Betrag an die drei Millionen Euro im Jahr erreichen, schätzt der Mallorquiner. Neben Marsave gibt es auf der Insel eine Handvoll weiterer Firmen, die sich um die Strandüberwachung kümmern.

Und die Lebensretter sind fit: Nur drei Minuten nach dem Notruf trifft der erste Jetski an der Unfallstelle ein. Inzwischen weht in der Bucht eine steife Brise, das Meer kräuselt sich. Der Schwerverletzte liegt reglos im türkisblauen Wasser. Rettungsschwimmer Luis stürzt sich ins Wasser, noch bevor der Jetski auf Höhe des Verunglückten ist. Schnell krault er auf den jungen Mann zu. „Lass mir die Bahre runter", ruft er seinem Kollegen Pablo zu. Der reicht Luis eine gelbe Liege, die an einen Plastik­schlitten erinnert. Darauf wuchtet er das Opfer und stabilisiert es auf diese Weise. Die Kollegen Nuria und Víctor sichern auf ihren Jetskis die Umgebung ab, während Ulises und Miguel Ángel sich um den leichter Verletzten kümmern. Auch er wird mit einer Liege gesichert.

Jetzt aber bekommt die junge Frau Probleme: „Hilfe, mir wird schwarz vor Augen." Sie kollabiert. Luis hechtet zu ihr, legt den Defibrillator an, presst seine Hände auf ihren Brustkorb. Nach wenigen Minuten ist sie wieder bei Bewusstsein. Das ausgebrannte Motorboot ist inzwischen in den Fluten versunken.

Wobei an dieser Stelle die Phantasie gefragt ist, denn Geld für eine authentische Übung mit einem brennenden Boot gibt es nicht. Sogar die Rauchbombe, die ursprünglich im Protokoll angekündigt war und das Feuer simulieren sollte, spart sich Koordinator March letztlich. „Die Krise macht sich überall bemerkbar."

Nicht gespart wird an der Regelmäßigkeit solcher Übungen: Jeden Monat einmal denkt sich March ein neues Szenario aus. Fast immer kommen dabei auch die Defibrillatoren zum Einsatz. Es gebe die einfach zu handhabenden Geräte inzwischen an allen Stränden. Und sie würden auch im Ernstfall häufig gebraucht. 72 Personen wurden etwa im Jahr 2011 an mallorquinischen Stränden bewusstlos aus dem Wasser geholt und wiederbelebt.

Die Verletzten sind längst auf dem Weg ins Krankenhaus, da müssen die socorristas noch einen Dienst an der Umwelt leisten. Aus dem zerstörten Boot ist Öl ausgelaufen. Als Ölfleck muss eine weiße Plane dienen, die mit gelben Bojen beschwert wird. Luis und seine Kollegen umkreisen den Teppich und lassen mitgebrachte Barrieren ins Wasser. Sie sehen aus wie eine endlose sobrassada. Mit den Jetskis bewegen sie die ­Barriere um den Ölfleck, bis er eingekreist ist. In der Realität würde der Schlauch das Öl absorbieren, und müsste danach entsorgt werden. „Das nächste Mal kippe ich ein bisschen Sonnenblumenöl ins Meer, dann wird das Ganze etwas realistischer und schwieriger", ruft Toni March übers Wasser den Rettungsschwimmern zu. Sie lachen - und wissen: Er wird seine Drohung wahr machen.

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