In Magaluf im Südwesten von Mallorca ist man auf die Presse dieser Tage nicht gut zu sprechen. „Hier wimmelt es ja gerade nur so von Fernsehteams und Reportern", klagen zwei Taxifahrer, die mitten auf der berühmt-berüchtigten Ausgehmeile Punta Ballena auf Kundschaft warten. Alle wollen nur eins wissen: Wo genau das schon vor Wochen aufgenommene Handy-Video entstanden ist, das vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gelangte.

Der diesjährige Skandal des Mallorca-Sommers hat die britische Urlauber-Hochburg in der Gemeinde Calvià weiter in Verruf gebracht und so hohe Wellen geschlagen, das internationale Boulevard­medien tagelang davon zehren und die mallorquinischen Politiker sich gegenseitig in Moralpredigten und Ankündigungen von Sofortprogrammen überbieten.

Alles kreist um eine Aufnahme, die eine mittlerweile als 18-jährige Irin identifizierte Blondine zeigt. Unter Anfeuerungsrufen eines DJ nimmt sie nacheinander die Geschlechtsteile von 24 jungen Männern in den Mund. Alle Beteiligten tragen T-Shirts, die sie als Teilnehmer einer bar crawl genannten Kneipentour ausweist.

Ob es sich tatsächlich um einen vom Veranstalter namens „Carnage Magalluf" ausgerufenen Wettbewerb handelt, und dem Mädchen im Gegenzug Gratis-Alkohol versprochen wurde, ist nach wie vor nicht geklärt. Vielleicht stimmt auch die Version, die durch die britische Presse geistert: Dem Mädchen sei „a free holiday" versprochen worden - nur dass es sich statt der erwarteten Gratis-Ferien lediglich um einen gleichnamigen Cocktail im Wert von 4 Euro handelte.

Carnage bestreitet die Wettbewerbs-Version per Kurznachrichten­dienst Twitter: „Wir sind nicht verantwortlich für das Handeln der jungen Frau. Sie und ihre acht Freundinnen kauften Tickets für die nächste Kneipentour, weil sie es toll fanden!" Für die Veranstalter sind die Berichte über das Video wohl die beste Gratis-Werbung überhaupt: „Holt eure Tickets jetzt, die Reservierungen gehen durch die Decke!", heißt es auf Twitter weiter.

Die Kneipentouren kann man schon von zu Hause aus online buchen, für 30 Pfund (etwa 40 Euro) gibt es vier Stunden lang Gratis-­Alkohol in bis zu 20 Clubs. Die Lokale erhalten Provisionen, „und wer nicht mitmacht, dessen Bar bleibt leer", so ein Insider. Bis zu 500 jugendliche Partyfans bringt Carnage nach eigenen Angaben nachts auf die Vergüngungsmeile Punta Ballena.

Nachmittags dagegen ist dort noch nicht viel los - wahrscheinlich erholen sich die meisten Urlauber noch von der vorherigen Partynacht. Deren Überreste sind vor allem olfaktorischer Art: Gegen den Geruch nach Erbrochenem und Urin kommen auch die Reinigungsfahrzeuge der Gemeinde Calvià nicht an.

Dass die Sündenmeile nur ein sehr kleiner Teil von Magaluf ist, spielt in der Berichterstattung meist keine Rolle. Dabei sieht das Panorama nur wenige hundert Meter weiter ganz anders aus: Zwar wird auch auf den Terrassen des „Calvià Beach Resort" Alkohol serviert, allerdings in vergleichsweise schickem Ambiente. Das hat sich die Hotelkette Melià einiges kosten lassen - entsprechend sauer ist Großhotelier Gabriel Escarrer (siehe offener Brief rechts). Am Dienstag (1.7.) erst hatte er den Stand seiner Projekte, mit denen er den Qualitätstourismus in Magaluf etablieren will, stolz Balearen-­Präsident José Ramón Bauzá (Volkspartei, PP) vorgeführt. Einen Tag später gelangte das Video an die Öffentlichkeit.

Unter dem neuen Begriff mamading - ein Mischwort aus dem Spanischen mamar (vulgär: blasen) und der englischen Verlaufsform -ing - zeigte das Online-Portal mallorca diario.com Szenen aus dem Video von dem Oralsex-Wettbewerb, das schon Tage vorher in den sozialen Netzwerken kursierte. Schnell schaffte es die Story bis in die spanischen Hauptnachrichten - und erschreckte Urlauber wie Inés und Arturo.

Das Paar aus Sevilla ist am Montag (7.7.) gerade erst in Magaluf angekommen. Eigentlich wollten die Endfünfziger an die Playa de Palma. „Aber man hat uns gesagt, dass es da sehr wild zugehe, wir sollten besser nach Magaluf, da sei es ruhiger", erzählt Inés leicht beunruhigt. „Und dann haben wir kurz vor der Abfahrt diesen Bericht gesehen ?" Das gebe natürlich ein schlechtes Bild ab, sagen die beiden, bevor sie ihren Weg zum Strand fortsetzen. An dem es übrigens - im Vergleich zur Playa de Palma - ausgesprochen ruhig zugeht.

Auf der Promenade spazieren vier Mädchen aus Bristol. Die 18-Jährigen haben in den ersten vier Urlaubstagen noch keinen Blowjob-Wettbewerb gesehen. „Aber andere derbe Sachen. In einer Kneipe gab es ein Trinkspiel, bei dem Jungs die Mädchen überreden mussten, die Hosen runterzulassen, um sie auf den nackten Po zu hauen", erzählen sie. „Und die Mädchen kriegen Freigetränke, wenn sie ihre Tops hochziehen und die Brüste zeigen." Allerdings hätten alle Beteiligten freiwillig mitgemacht: „Niemand ist gezwungen worden", sagt eine. „Es gibt eben Leute, die sich gerne vor den Augen aller auf den blanken Hintern hauen lassen", ergänzt ihre Freundin trocken.

Lorenzo, dessen Straßen­kiosk praktisch auf der Grenze zwischen dem trashigen und dem schicken Teil von Magaluf liegt, nimmt den Aufruhr um das Video locker: „Die sollen sich doch amüsieren, wie sie wollen. Was aber nicht sein kann ist, dass sie hierher kommen, um zu randalieren." Erst vergangene Woche, so der 49-jährige Mallorquiner, hätten betrunkene Urlauber nachts die Kühltruhe vor seinem Laden zerlegt. „Ich war ja auch mal jung und hab viel Unsinn angestellt. Aber Gläser auf die Straße zu schmeißen und Sachen zu zerstören, das hat für uns nicht zum Urlaubsvergnügen dazugehört." Trotzdem, die Gemeinde sei auch selbst schuld, findet Lorenzo: „Das ist eben der Tourismus, auf den man es hier angelegt hat. Vor 13 Jahren gab es hier noch viele Läden wie meinen. Jetzt reiht sich hier Pub an Pub."

Das stimmt nicht ganz: Gefühlt ist jeder dritte Laden ein Tattoo-­Studio. Einer der Inhaber, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hält die Reaktionen für übertrieben: „Jetzt regen sich da alle drüber auf, dabei ist das gar nicht so neu. Hier geht es eben ab, gestern erst liefen fünf nackte Jungs durch die Straße. In Magaluf finden sie doch jeden Sommer irgendeinen Skandal - wenn´s keine Sexspielchen sind, dann sind es Balkonstürze oder Drogen­exzesse." Die Verkäuferin in einem Andenkenladen dagegen ist empört über das Video, das den ganzen Ort in Verruf bringe: „Oder würden Sie hier jetzt noch Urlaub machen wollen?"

Mit tagelanger Verspätung reagierte die Politik auf die Negativschlag­zeilen - in klarer Unterschätzung des Sogs der sozialen Netzwerke. Einerseits versicherte die Landesregierung, bei dem Serien-­Blowjob handle es sich um einen „Einzelfall". Andererseits werden hektisch Krisen­treffen mit Unternehmern, Politikern und Verbänden aller Inseln abgehalten, bei denen Maßnahmen gegen den Imageschaden erdacht werden. Selbst auf nationaler Ebene bemüht man sich: Staatssekretärin Isabel Borrego will am Wochenende in ganz Großbritannien eine Kampagne zum Thema „verantwortlicher Tourismus" starten. Geldstrafen für den Veranstalter schließt sie aus: „Bußgelder lösen die Problematik nicht."

Zumal unklar ist, ob Sexspielchen wie die auf dem Video überhaupt juristisch strafbar sind. Solange alle Beteiligten volljährig sind und freiwillig mitmachen, handelt es sich höchstens um Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Exhibitionismus, also um Ordnungswidrigkeiten.

Richtig ärgern dürfte sich Calviàs Bürgermeister Manuel Onieva. Der unternahm in diesem Jahr erstmals den Versuch, ausufernde Bar-Crawling-Touren zu legalisieren: Ab 22. Juli müssen Anbieter nun legale Standards erfüllen. Sie brauchen eine offizielle Lizenz und Haftpflichtversicherung, zudem dürfen die Gruppen maximal 50 Personen umfassen. Auf welche Art genau diese 50 Personen sich amüsieren, steht in der Verordnung allerdings nicht.

Offener Brief: SOS Magaluf

Heute will ich nicht von meiner Familiengeschichte sprechen, durch die ich von klein auf emotional mit Magaluf verbunden bin. Davon, wie ich meinen Vater bei seinen Besuchen in den Hotels begleite, in denen Familien und Paare aus ganz Europa voller Stolz ihren Urlaub verbrachten, in Sichtnähe der Insel sa Porrassa und an einem der schönsten Strände im Südwesten Mallorcas.

Es geht mir auch nicht darum, Ihnen von dem vor drei Jahre begonnenen Modernisierungsprojekt zu erzählen, das wir zusammen mit der balearischen Landesregierung und der Gemeinde Calvià unter dem Titel „Calvià Beach" initiiert haben, und in dessen Rahmen bereits vier Hotels saniert und 80 Millionen Euro investiert wurden.

Vielmehr geht es mir um das Reiseziel selbst, das wir sind und das wir alle zusammen pflegen müssen. Wenn es Schaden nimmt, bekommen das nicht nur die Hoteliers in ihren Bilanzen zu spüren, sondern eine ganze Gesellschaft: Sie gerät in einen Teufelskreis aus weniger Arbeit, kürzerer Saison, weniger oder gar keiner Rentabilität, weniger Sicherheit, Imageschaden und fehlenden Zukunftsperspektiven.

Magaluf steht immer weniger nur für Punta Ballena, wie viele von uns unter Beweis stellen - mit Hotels der Spitzenklasse und alternativen, anspruchsvollen Freizeitangeboten. Dies zieht neue, zahlungskräftige und anspruchsvolle Zielgruppen an, die ihrerseits für das Reiseziel werben. Unterstützt wird dies durch Investitionen der öffentlichen Hand, die in einigen Monaten die Parallelstraße zur Uferpromenade in eine spektakuläre Fußgängerzone verwandelt haben werden. Eine andere, stilvollere Zukunft für Magaluf ist also alles andere als abwegig, wie vor einigen Wochen auch eine Reportage der „Financial Times" unterstrichen hat.

Aber just dieser Teil von Magaluf, der in Punta Ballena angesiedelt ist, flächenmäßig weniger als fünf Prozent ausmacht und einen unbedeutenden Anteil zur Wertschöpfung beiträgt, zieht unser Ansehen, unser Image, unsere Geschäfte, ja sogar unser Zusammenleben Saison für Saison in den Dreck. Alkohol-, Sex- und Drogenexzesse werden im digitalen Zeitalter zu Trending Topics. So wird unser Reiseziel in den Augen der gesamten Welt zum Paradigma für einen widerlichen und schmutzigen Tourismus.

Mit den neuesten Skandalen um Firmen, die für Frauen erniedrigende Praktiken wie Oralsex für Drinks bewerben, sind wir ganz unten angekommen. Es ist Zeit, laut und deutlich zu sagen, dass wir diese Art von Tourismus nicht wollen, dass er sich nicht lohnt. Wenn „das" zu einer Marktnische für eine Reihe von Unternehmern geworden ist, um eine weitere Saison Geschäfte auf Kosten der Allgemeinheit zu machen, dann sollten sie sich für diese Nische und ihre jämmerliche Expertise einen anderen Ort suchen. Wir könnten sogar in einem Referendum entscheiden, dass sie auch den Straßennamen behalten können - eine Marke, die uns so in Misskredit gebracht hat.

Aber wir sollten auch handeln, damit all diejenigen, die diese Art von Urlaub suchen, ihn schlichtweg hier nicht finden können. Das schließt gesetzliche und strafrechtliche Schritte ein. Und es ist Zeit für eine offensive Informationskampagne, die unsere Arbeit zeigt und die Dinge klarstellt. Und zwar vor Ablauf der Sommersaison.

Die Raffgier und die Skrupel­losigkeit einiger weniger Unternehmer - wenn man sie so nennen kann - dürfen weder den Ruf Mallorcas zerstören, schon gar nicht in einem so wichtigen Markt wie dem britischen, noch Magaluf um seine historische Chance bringen, sich von den Jahren des Jammers zu erholen. Lassen Sie uns nicht allein.

Gabriel Escarrer Jaume ist Vizepräsident der Hotelgruppe Meliá International. Der Text wurde bei der Übersetzung leicht gekürzt.

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