Die wilden Zeiten sind vorbei, mit exzessiven Besäufnissen am Ballermann ist Schluss, Malle ist nicht mehr, was es einmal war. Seit im Frühsommer erstmals von Palmas neuer „Verordnung für zivilisiertes Zusammenleben" die Rede war, kriegt sich vor allem die deutsche Presse gar nicht wieder ein. Das 113 Artikel umfassende Regelwerk namens ordenanza cívica ist nun seit gut zwei Monaten in Kraft und nach einer knapp zweiwöchigen Informationskampagne wird an der Playa de Palma seit Anfang Juli auch ernst gemacht. Wird das legendäre Eimersaufen nun also grundsätzlich mit Geldstrafen von bis zu 200 Euro geahndet, wie es in einem Flyer heißt, der über die neuen Verbote aufklärt? Ja, sagen die Verantwortlichen im Rathaus und die Polizei, die für die Einhaltung der „Benimmregeln" sorgen soll.

Wir machen den Test. Am Sonntagnachmittag (17.8.) beschaffen wir uns zunächst einen handelsüblichen blauen Trinkeimer. „Kann man die überhaupt noch kaufen?", fragt sich der Kollege besorgt. Doch schon im Spar-Supermarkt schräg gegenüber des Balneario 6 werden wir fündig. Die vielfältigen, bereits fertig zusammengestellten Sauf-Pakete, etwa für 6,99 Euro klassisch mit Sangria oder für 14,50 Euro mit Wodka, Eis und Energy-Drink befüllt, warten gleich am Eingang auf durstige Kunden.

Wir entscheiden uns für Cola, lassen aber den harten Alkohol weg. Der junge Mann an der Kasse runzelt die Stirn. Die übrige Kundschaft ist offenbar trotz der strengen Verordnung nicht so vorsichtig. Auf die Frage, ob es denn keine Umsatzeinbrüche gegeben habe, schüttelt der Verkäufer nur mit dem Kopf und grinst vielsagend. „Ganz im Gegenteil." Dass an der Strandpromenade trotzdem kaum trinkende Urlaubergruppen zu sehen sind, habe einen anderen Grund: „Eimersaufen ist vor allem im Juli angesagt, jetzt geht es ja schon wieder vergleichsweise harmlos zu."

Insgesamt ist es zwischen ­Schinkenstraße, Ballermann-Bude und MegaPark ausgesprochen ruhig. Einige Halbstarke laufen mit einem Ghettoblaster unterm Arm Richtung Strand, Eltern schieben Kinderwagen an den immer gleichen Restaurants entlang, zwei ältere Mallorquinerinnen führen ihre Hunde Gassi.

Aber nicht alles geht mit rechten Dingen zu: Ein bärtiger Mann lässt ein rotes Plastikkügelchen unter Kartoffelhälften verschwinden, während ein Muskelprotz mit Goldkettchen Schmiere steht. Dabei wird das illegale Hütchenspiel der Verordnung zufolge mit 400 Euro belangt.

Der Stimmung tut das keinen Abbruch, die Geldscheine fliegen nur so. Und wenn nicht, dienen zwei Frauen mit dunklen Locken und Billig-Stöckelschuhen als Lock­vögel. Schon beim Versuch, ein Foto von dem Spektakel zu machen, wird eine von ihnen fuchsteufelswild. „Das löschst du sofort wieder, sonst passiert was", zischt sie, während die andere einen 20-Euro-Schein aus der Tasche zieht und vorgibt, spielen zu wollen. Doch dann wird der Tisch plötzlich eingeklappt, der Hütchenspieler verschwindet in Sekundenschnelle, zurück bleibt eine Traube irritierter Touristen. Die Polizei ist im Anflug, auf Motorrädern.

Präsent sind sie also schon mal, die Ordnungshüter. Wir lassen uns dennoch einige Meter weiter auf dem Mäuerchen vorm Strand nieder. Neben Cola gibt es Chips und Dosenbier. Wir kommen mit Burak aus Mannheim ins Gespräch, der zum ersten Mal an der Playa urlaubt. „Das ist alles Betrug", kommentiert er entrüstet das Treiben der Hütchenspieler. „Andererseits ist, wer darauf noch reinfällt, ja wohl selbst schuld." Viel nerviger seien die vielen fliegenden Händler, die einem ständig Sonnenbrillen und Uhren andrehen wollen. Ansonsten aber gehe es hier ganz gesittet zu, sein Kumpel Kay pflichtet ihm bei: „Das, was man in Deutschland immer im Fernsehen sieht, wo reihenweise Leute aus Eimern saufen und grölen, hab ich hier höchstens einmal erlebt, aber bei Weitem nicht so extrem. Die von RTL II und so bezahlen die Leute ja dafür, dass sie das machen."

Uns zahlt niemand, deswegen benehmen wir uns auch ganz normal - und zuzeln an den langen Strohhalmen. Die Polizei-Patrouille hat sich inzwischen einen Hütchenspieler, etwa Hundert Meter weiter vor der Diskothek Oberbayern, vorgeknöpft, der sich nicht schnell genug aus dem Staub gemacht hat. „Der bekommt jetzt ein Bußgeld", sagt einer der Beamten, während der Mann mit erhobenen Händen dasteht. „Und was bringt´s", raunt ein Verkäufer vom Souvenirshop nebenan. „Morgen spätestens sind die eh wieder da."

Für unseren Eimer interessiert sich weiterhin niemand. Die motorisierten Beamten fahren ein zweites und drittes Mal an uns vorbei. Im Gegensatz zu den senegalesischen Straßenverkäufern versuchen wir nicht einmal, das Corpus Delicti zu verstecken. Wobei an diesem Nachmittag auch die fliegenden Händler, die gemäß ordenanza cívica ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit begehen, ungeschoren davonkommen und ihre Ware, die sie beim Herannahen der Beamten flugs in schwarze Plastiktüten stecken, schnell wieder herausholen können.

Nichtsdestotrotz, das Arbeiten an der Playa sei in diesem Sommer angesichts der Verordnung mühsamer und die Zahl der Verkäufer deutlich kleiner geworden, erzählt Ali, ein Senegalese. Wenn die Polizei kommt - und das ist inzwischen mehrmals täglich der Fall - heiße es: laufen. „Deswegen", sagt der junge Mann und zeigt auf seine Brillen, Uhren und Hüte. Davon lebe er schließlich. Einige seiner Kollegen hätte es schon erwischt. „Denen hat man alles abgenommen." Um die Bußgelder sorgt man sich hingegen weniger. „Wenn du die nicht zahlst, passiert auch nichts."

Die Cola in unserem Eimer ist mittlerweile warm, als - endlich - ein Polizist mit seinem Motorrad auf den Fußweg am Strandmäuerchen einbiegt und direkt auf uns zufährt. Doch er schaut nicht einmal in unsere Richtung. Für gesittetes Eimer-Trinken scheinen sich die Beamten heute nicht zu interessieren. Dann nähert sich die Straßenkehrmaschine. „Kann das weg? Dann werft alles auf den Boden", ruft uns einer der Müllmänner freundlich zu. Wir nicken, die Besen verschlucken Colaflaschen und Bierdosen. Den Eimer nehmen wir als Andenken mit nach Hause - besser ihn als ein Knöllchen.

Vorläufige Bilanz: 6.858 Sonnenbrillen weniger

Im Juli wurden an der Playa de Palma zwei groß angelegte und 13 kleinere Polizeiaktionen durchgeführt, um die Einhaltung der ordenanza cívica zu kontrollieren. Dabei wurden laut Stadtverwaltung 215 Verstöße wegen Besitzes von Lebensmitteln und 85 wegen Besitzes von alkoholhaltigen Getränken an Orten, an denen dies nicht gestattet ist, 25 wegen Benutzens von Glasgefäßen am Strand, 9 wegen Benutzens von Musikanlagen und Lärmbelästigung sowie 7 wegen Urinieren auf öffentlichen Flächen geahndet. Bei öffentlichen Trinkgelagen haben die Beamten rund 2.000 Getränke einkassiert. Zudem wurden 40 Hütchenspieler und 165 illegale Masseurinnen gestellt, die insgesamt 2.438 Euro Bußgeld zahlen mussten. Bei der Jagd auf illegale Straßenhändler wurden unter anderem 6.858 Sonnenbrillen, 223 Uhren, 625 Sonnenhüte, 1.356 Armbänder, 280 Ringe sowie zahlreiche Taschen, Regenschirme und Halsketten beschlagnahmt. Polizeisprecher Ángel García zufolge ist die Zahl der Verstöße inzwischen rückläufig. „Die Leute wissen mittlerweile, was verboten ist", sagt er. Eine Gesamtbilanz wird zusammen mit der Stadtverwaltung erst am Ende des Sommers veröffentlicht.

Bisher gilt die Verordnung für zivilisiertes Zusammenleben nur an der Playa de Palma, ab 1. September soll sie in der ganzen Stadt angewandt werden. Doch dagegen regt sich Widerstand: Der Dachverband der Nachbarschaftsvereinigungen will vor dem Obersten Gerichtshof der Balearen klagen, weil die Benimmregeln Bürgerrechte verletzten und die PP-geführte Stadtregierung sie im

Alleingang durchgeboxt hätte.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 21. August (Nummer 746) lesen Sie außerdem:

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