Es ist 3 Uhr morgens, als die Punta Ballena, die zentrale Partymeile von Magaluf, richtig voll wird. Die Familien mit Kindern sind im Bett, die Jugendlichen erobern die Straßen. Mit Billigfusel in der Hand stehen sie herum, machen Lärm, sind fröhlich. Sie saufen, sie rauchen, sie graben sich an. Viele von ihnen sind minderjährig. Hier ist sie also, die „Schande der Engländer".

Magaluf wird gerne als ewige Party verkauft, als ein wundervolles proletarisches Festival aus Techno, Alkohol und Blowjobs. Eine Facebook-Seite wirbt für die diesjährige Saison mit dem elektrisierenden Spruch: „I can´t wait to be ashamed of all the things I do in Magaluf 2015". Man kann es also gar nicht abwarten, sich für all die Dinge zu schämen, die man dieses Jahr in Magaluf so anstellen wird.

Die Behörden haben jetzt darauf reagiert: Nachdem an der Playa de Palma bereits im vergangenen Jahr dem ausgelassenen Trubel der Deutschen ein Riegel vorgeschoben werden sollte, zieht die Gemeinde Calvià, zu der Magaluf gehört, in diesem Jahr nach. Die Bestimmungen reichen vom Verbot, nackt oder halbnackt durch die Straßen zu laufen, bis zu saftigen Strafen für das Herumklettern auf Balkonen. Alkohol darf nicht auf offener Straße getrunken werden. Sex in der Öffentlichkeit ist auch untersagt.

Magaluf ist nicht immer laut. Von Sonntag bis Mittwoch kann man zwar saufen und bestimmt auch vom Balkon fallen - aber wild ist was anderes. Das Publikum ist eine Mischung aus Schweden, Iren, Engländern und Spaniern. Deutsche sind keine hier. An diesem Donnerstag (18.6.) sollte es kein Problem sein, etwas von dieser alkoholisierten Völkerverständigung mitzubekommen.

Der MZ-Reporter ist in einem englischen Pub auf der Punta Ballena. Es ist die einzige Kneipe, in der es um eins schon halbwegs voll ist. Der DJ spielt Rudimental und The Fratellis, die Bedienungen laufen in schwarzen Unterhosen und Spaghettiträger-Shirts herum. Sie tragen Tabletts mit allerlei bunten Scheußlichkeiten. Wodka-Cranberry-Jelly, Apfelkuchenlikör, Jägerbombs.

Ein Ire fragt nach Feuer. Er ist Anfang 30 und stellt sich als Richard vor. Er ist zum ersten Mal auf Mallorca. Zwei Tage Magaluf, Junggesellenabschied. Er ist nett, lädt gleich auf einen Schnaps ein. Wie soll man mit ihm jetzt darüber reden, dass er sein T-Shirt nicht ausziehen oder drei Meter weiter auf der Straße nicht mehr trinken darf? Für zwei Tage Aufenthalt? Kann ihn das interessieren?

„Die Mallorquiner müssen denken, dass wir verdammte Höhlenmenschen sind", sagt Richard, kippt seinen kleinen bunten Schnaps und nimmt mein Bier in die Hand. Seine Kumpels rufen ihn. „Hey, ich muss weiter", sagt er und haut mit dem Bier des Reporters ab. Eine Kellnerin nimmt derweil einen Schluck aus Richards Bierflasche, die er ebenso stehengelassen hat wie seine Kippen. Die junge Frau fängt an, sie großzügig unter den anderen Touristen zu verteilen.

Sie ist Anfang 20 und drall, ein freundliches Lächeln strahlt aus ihrem auf Plastik geschminkten Gesicht. Wie ist das hier mit den neuen Regeln? „Ja, ich hab davon gehört", sagt sie mit breitem englischen Slang. „Aber hier passiert nix. Kannst machen was du willst."

Der Rundgang führt weiter über diese hügelige Straße, dieses bunte Punta Ballena. An jeder Ecke stehen junge Menschen und warten auf Touristen. Man merkt, dass sie unter Druck stehen, Leute in die Bars zu locken. Die Angebote klingen nach ökonomischen Selbstmord: „Okay, my friend. Zwei Bier und vier Kurze für 4 Euro." Ein Stück weiter: „28 Euro inklusive Konzert und Alkohol­Flatrate."

Ein Stück abseits des Trubels, Nachfrage beim Nachtrezeptionisten eines Drei-Sterne-Hotels, vor dem ein junger Mann auf Knien versucht zu kotzen: Wie geht ihr mit den neuen Bestimmungen um? Informiert ihr eure Gäste darüber? Der Rezeptionist schüttelt den Kopf: „Ich habe im Fernsehen gesehen, dass da jetzt was beschlossen wurde. Aber uns hat man nichts gesagt. Ich denke mal, das ist Sache der Polizei."

Ganz am Anfang des Abends, beim Kauf eines Biers in einem der Supermärkte, fiel die Antwort auf diese Frage praktisch identisch aus. „Ich glaube, die Polizei verwarnt einen höchstens", sagte die junge Frau im Laden. Es sollte noch lange dauern, bis an diesem Abend eine Art von Polizeistreife auftaucht.

Je später der Abend, desto voller die Straßen. Und abgesehen von den betrunkenen Minderjährigen ist Magaluf an diesem Abend harmlos. Junge Menschen, für die genau das die Vorstellung von Urlaub ist. Die Stimmung ist entspannt. Es ist vielleicht nicht schön. Aber schlimm ist was anderes.

Gegen halb vier sind ein paar Jugendliche am Strand. Hauptsächlich Jungs. Mäßig interessante, vom Alkohol eingeschränkte Gespräche über Fußball und wo es noch hingehen soll. Komatöses Rumliegen und In-den-Sand-Pinkeln. Ein Stück weiter hinten laufen drei Mädels in Unterwäsche ins Wasser. Erst am Vortag war die Leiche eines 20-jährigen Briten hier angespült worden. Er war auf der Punta Ballena unterwegs gewesen. Wahrscheinlich ist er ertrunken. Die drei Mädchen versuchen trotzdem ihr Glück. Irgendwann kommt die Guardia Civil vorbei. Die zwei Beamten schauen sich die pinkelnden Jugendlichen an, gehen zwischen den Strandliegen durch. Es wird still unter den kleinen Grüppchen. Die Beamten bleiben eine Weile stehen. Dann gehen sie wieder.

Es könnte einer der letzten Abende gewesen sein, an denen es noch so lax zugeht. Am gleichen Wochenende kündigt die Gemeindeverwaltung Calvià an, die Kontrollen zu verstärken. Und auch Geldstrafen sollen ab dieser Woche verhängt werden. Es könnte sein, dass sich doch was ändert in diesem kleinen, kaputten Paradies.