Als Jan Coenen der Kragen platzte, setzte er sich an seinen Computer und veröffentlichte einen Beitrag auf seiner Facebook-Seite, der mit dem Satz „Bitte löscht mich!" beginnt. Zu oft habe er von Bekannten gehört, dass man ja nichts gegen Flüchtlinge habe, aber dass das Boot voll sei, die Stimmung kippen würde oder Deutschland überfordert wäre. „´Freunde´, hier endet unser Wertekonsens", schreibt der Insel-Deutsche, der als IT-Berater arbeitet. „Meine Werte zu teilen, bedeutet, sofort und ohne Umschweife bereit zu sein, einem Flüchtling, der Assads syrischer Giftgas-Hölle und IS-Kopfabschneidern entkommen ist und dabei alles außer dem nackten Leben verloren hat, persönlich und unter Opfern jede erdenkliche Hilfe zu gewähren." Wer diesen Konsens nicht teilen könne, möge ihn umgehend als Facebook-Freund löschen, da dann eine Basis für eine Bekannt- oder Freundschaft nicht mehr gegeben sei.

Auch die Insel-Deutschen diskutieren über die „größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung", wie es Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel formulierte. Pauschale Verurteilungen und „Das-Boot-ist-voll"-Kommentare bekomme man gerade von solchen Leuten zu hören, die sorgenfrei in ihrem Zweithaus auf Mallorca wohnten, meint Coenen. Er sei auch kein Heiliger, aber es müsse möglich sein, sich solidarisch zu erklären, ohne als naiver Gutmensch diskreditiert zu werden.

Die Debatte überlagert in den sozialen Netzwerken auch Themen, die erst einmal nichts damit zu tun haben. „Wie viele Flüchtlinge hat diese Yachten aufgenommen?" fragt ein Nutzer der MZ-Facebook-Seite unter dem Bild der Superyacht „ACE". Die Antwort kommt prompt: „Die Boote fahren von Bucht zu Bucht, die Flüchtlingsrouten führen nicht über Mallorca. Wie viele Flüchtlinge hast du aufgenommen? Ich hasse den typisch deutschen Neid."

In den sozialen Netzwerken, wo bekanntlich viele Nutzer Meinungen posten, zu denen sie im echten Leben nicht stehen, haben rechtspopulistische Parolen und Pauschalurteile Hochkonjunktur. Das muss auch die MZ bei allen Beiträgen auf Facebook feststellen, die sich um Immigranten drehen. Unter Hinweis auf die Verletzung der Netiquette-Regeln wird dabei immer wieder die Löschung von zum Teil offen rassistischen Kommentaren notwendig.

Wer aber deutlich gegen solche Parolen Stellung bezieht, erfährt auch viel Unterstützung. Das konnte der in Deutschland aufgewachsene Italiener Carmelo Caporale feststellen, der die Facebook-Gruppe „Mallorca Börse" betreibt. „Ich habe mir heute früh einen café con leche gemacht, und als ich mich auf den Weg zum Bäcker machte, ist keine Rakete neben mir eingeschlagen", beginnt sein Statement zur Flüchtlingsfrage, in dem er die Gastfreundschaft Deutschlands gegenüber seiner Familie lobt, zur Solidarität aufruft und die „Meinungsterroristen" zum Teufel schickt. Statt wie befürchtet einen Sturm der Entrüstung zu ernten, wurde der Beitrag im großen Stil weiterverbreitet und geliked.

Auch Coenens Worte haben ihn letztendlich so gut wie keine Facebook-Freundschaften gekostet. Noch kein Beitrag sei so oft geteilt worden. Er habe sogar einige Freunde hinzugewonnen.