Auf dem Foto in Anja und Christine Ehrhardts Reiseführer ist Palmas Plaça Major menschenleer. „Das Bild muss wohl im Dezember entstanden sein", schlussfolgern die beiden Frauen, die das erste Mal auf Mallorca Urlaub machen, und blicken auf das Gewusel, das am Samstagmittag (19.9.) auf dem Platz herrscht, den so gut wie jeder Palmabesucher früher oder später passieren dürfte.

„Wenn wir uns nicht mit Ihnen unterhalten würden, wären wir auch schon längst wieder in eine ruhigere Seitenstraße abgebogen", sagt Christine Ehrhardt dann. Dichtes Urlauber­gedränge sei nun mal so gar nicht ihr Fall. Deshalb hätten sie auch touristische Highlights wie die Sa Calobra-Bucht bewusst gemieden und sich in einer kleinen Finca in Sóller einquartiert. „Und selbst da haben wir uns gedacht: Zum Glück ist nicht mehr Hauptsaison, denn noch voller möchte man sich das ja gar nicht vorstellen", sagt Anja Ehrhardt. Und ihre Schwägerin fügt hinzu: „Für die Menschen, die hier leben, muss das Stress pur sein."

Laut Statistik war es keinen Sommer zuvor so voll auf Mallorca. 1,68 Millionen Touristen wurden im Juli gezählt. Im August verbuchte die Insel mit 1,75 Millionen Besuchern gar einen neuen Allzeit-Rekord - wobei alle möglichen Nationen zulegten, während die Zahl der deutschen Urlauber um fast elf Prozent sank - nach einem ebenso hohen Anstieg im Vorjahr. Wahrscheinlich war diesen Sommer einfach das Wetter in der Heimat zu gut, so der gelassene Kommentar aus dem Tourismus­ministerium.

Die Hoteliers jedenfalls froh­locken, schließlich waren ihre Betten in diesem Sommer laut Statistikamt zu 90 Prozent ausgebucht - so hoch waren die Belegungszahlen nirgendwo sonst im Land. Auch Mallorcas Gastronomen ziehen eine durchweg positive Bilanz. Gegenüber der Vorjahressaison gehen sie von einem Umsatzplus von 10 bis 15 Prozent aus. Und nicht zuletzt die Einzelhändler, die bisweilen über anhaltende Konsumflaute klagten, stimmen nach den ausgiebigen Regenfällen im August neue Töne an: Die Schlechtwetterphase habe in Palmas Fußgängerzonen und Shopping­meilen sowie in den klassischen Urlauberhochburgen die Kassen besonders kräftig klingeln lassen.

Doch wie viel Luft ist noch nach oben? Wie viel mehr Urlauber kann die Insel noch verkraften? Oder ist es jetzt schon zu voll? Hört man sich unter deutschen Urlaubern um, bekommt man immer wieder Sätze wie die von Anja und Christine Ehrhardt zu hören. „Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es an der Cala Mondragó im Juli aussieht", sagt etwa Andrea Veit aus Hamburg, die mit ihrem Mann Hendrik Gossel im Südosten der Insel Urlaub macht.

Inzwischen sei der große Ansturm dort vorüber - doch er habe Spuren hinterlassen. „Den Kellnern merkt man es an, dass sie das Ende der Saison herbeisehnen", ist das Paar überzeugt, „die zählen die Tage wie bei der Bundeswehr". Beim Samstagsausflug ließen die beiden den Markt in Santanyí außen vor - Begründung: „Da muss es extrem voll sein" - und steuerten stattdessen die Inselhauptstadt an, wo sie die vollen Straßen nur wenig stören. „Wir hatten nicht erwartet, dass wir hier alleine sind."

Diejenigen indes, die auf eine ruhige Nachsaison gehofft hatten, werden in diesem Jahr eines Besseren belehrt: Für September zeichnet sich bereits der nächste Spitzenwert ab, und die Prognosen für ein besonders spätes Saisonende scheinen sich zu bewahrheiten. „Dafür dass in Deutschland keine Schulferien mehr sind, finden wir es extrem voll", sagt Martina aus Hamburg, während ihr Mann zustimmend nickt. „Wir waren vor ein paar Jahren mal im Frühjahr zum Radfahren hier, das war deutlich angenehmer."

Der August sei an manchen Tagen der reinste Irrsinn, sagt Tone Adsero, Direktorin des Hotel Cort an Palmas Rathausplatz. Dann nämlich, wenn der Himmel über Mallorca bewölkt ist und Urlauber aus allen Ecken der Insel nach Palma strömen. Oder wenn gleichzeitig sechs oder gar sieben Kreuzfahrtschiffe im Hafen festmachen. Auf die Gäste des beschaulichen Boutiquehotels, die in der Regel Exklusivität suchten, könne das Gedränge durchaus abschreckend wirken, ist sich Adsero bewusst. Andererseits hätten sie sich in der Regel gezielt für eine Unterkunft mitten im Zentrum entschieden. „Die wollen es lebhaft." Sie wollten aber eher ins einheimische Leben eintauchen - und nicht in Touristenmassen.

Ein Hotelier aus der Gemeinde Campos hat bereits Maßnahmen ergriffen, um die Gästen seines kleinen Landhotels vor den Besuchermassen am nahen Es Trenc-Strand zu bewahren: Er weitete die Frühstückszeiten bis 12 Uhr aus. „Damit können die Leute am Morgen an den Strand. Und um 11 Uhr, wenn es dort unerträglich voll wird, kommen sie wieder ins Hotel zum Brunch."

Doch der Andrang in der Hauptsaison sei eben nur schwer zu stoppen - das ist Hoteliers wie Urlaubern klar. „Wegen der politischen Lage in vielen anderen Zielen bleibt uns Nordeuropäern ja nicht mehr viel Auswahl, wenn wir eine Woche in den Süden reisen möchten", sagt Tone Adsero, selbst Norwegerin. In den Augen von Hendrik Gossel und Andrea Veit könnte der Ansturm nur in einem Fall geringer ausfallen: „Wenn einige Touristen nicht mehr kommen, weil es ihnen zu voll ist."

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