Es waren nur wenige Sätze, die Margalida Sotomayor, die ehemalige Pressesprecherin der früheren Inselrats-Präsidentin Maria Antònia Munar, in die Kamera des Regionalsenders IB3 sprach, aber sie lösten ein Donnerwetter aus: „Ich hätte nie gedacht, dass in Spanien die Menschenrechte so missachtet werden, wie es hier im Gefängnis geschieht", sagte sie am 28. September in der Sendung „Dues Voltes". „Man wird ständig beleidigt. Und ja, es gibt Misshandlungen."

Sotomayor sitzt zurzeit eine fünfjährige Haftstrafe wegen ­Korruption ab. Seit April ist sie Freigängerin, muss nur zum Schlafen ins Gefängnis. „In diesem Zusammenhang war ihre Aussage sehr mutig", sagt David Barón von der Initiative „Equipo 25.2". Die Gruppe aus Anwälten setzt sich für die Rechte von Häftlingen ein. Sotomayor musste mit Repressalien rechnen. Und tatsächlich: Gleich nach der Ausstrahlung des Interviews wurden ihr Privile­gien gestrichen, ein Verfahren wegen übler Nachrede wurde angestrengt.

Sotomayor sagt, sie sei selbst nicht körperlich misshandelt worden. In der darauffolgenden „Dues Voltes"-Sendung, am 5. Oktober, meldeten sich jedoch gleich mehrere Frauen zu Wort, die in ihrer Zeit im Gefängnis körperlich angegriffen worden seien.

Und es gibt noch weitere Fälle: Im Juli beklagte der Brite James A. Langfeld, er sei vom Wachpersonal ausgezogen, an den Haaren gezogen und verprügelt worden. Der Anwalt David Barón zeigt Fotos des Häftlings, die sechs Tage nach dem gemeldeten Vorfall aufgenommen wurden. Sie zeigen schwere Hämatome im Gesicht und am Rücken. Am 19. August sollen Beamte zudem einen Kolumbianer rassistisch beleidigt, ausgezogen und ins Gesicht geschlagen haben.

Die Vorfälle zu beweisen sei schwierig, sagen die Anwälte von „Equipo 25.2". Oft seien die Verletzungen verheilt, bevor ein Arzt sie sich ansehen kann, und der Korpsgeist unter den Wärtern mache es schwierig, die Täter ausfindig zu machen - zumal solche Fälle in erster Instanz intern untersucht werden. „Zudem ist es für Häftlinge in Spanien sehr schwierig, einen Anwalt zu

bekommen. Das Recht auf einen Pflichtverteidiger verfällt in der Haft", sagt Vicente Campaner, ein weiteres Mitglied der Initiative.

Das führe häufig dazu, dass die Vorwürfe gar nicht erst erhoben werden. Denn die Aussagen der Frauen in der zweiten „Dues Voltes"-Sendung vom 5.10. sind in einem Punkt identisch: Alle ehemaligen Insassinnen sagen, sie hätten Angst vor Repressalien vonseiten der Gefängnisleitung oder den Wärtern gehabt. Keine von ihnen hatte den Fall zur Anzeige gebracht. „Hinzu kommt, dass die Gesellschaft die Häftlinge für weniger glaubwürdig als die Wärter hält", so Barón.

Wenige Tage nach der Ausstrahlung des Interviews von Sotomayor wurde der bisherige Gefängnisleiter Gustavo Villas in eine andere

Haftanstalt versetzt. Das sei allerdings Zufall und habe nichts mit den Vorwürfen zu tun, so Gustavo Villas selbst.

Für Gerd Kemper sind die Anschuldigungen schwer nachvollziehbar. Im Auftrag des deutschen Konsulats, sowie der katholischen und evangelischen Gemeinden auf Mallorca, besucht er regelmäßig deutsche Gefangene: „Ich habe in sieben Jahren nicht ein-

mal von solchen Fällen gehört", sagt Kemper und betont: „Man muss bei diesen Aussagen sehr vorsichtig sein. Sehr oft gibt es andere Motivationen hinter solchen Beschuldigungen."

Im Fall Sotomayor hatte die Gefangene, bevor sie mit ihrem Fernsehinterview in die Öffentlichkeit ging, mehrere Briefe verschickt. Einen an die ­Balearen-Regierung, einen an den Inselrat, einen an „Equipo 25.2". „Von der Politik gab es keine Reaktion", sagt Vicente Campaner, der Sotomayor in diesem Fall juristisch berät.

Die Anwälte gehen davon aus, dass die Untersuchungen in den angezeigten Fällen sich über Monate oder sogar länger hinziehen könnten. Im Fall Sotomayor hat das Gefängnisleitung beschlossen, den Vorwürfen nicht nachzugehen. Campaner will mit allen recht­lichen Mitteln für eine Untersuchung kämpfen. Das Disziplinarverfahren gegen Sotomayor wegen übler Nachrede bleibt bestehen. Eine Anfrage der MZ nach einer Stellungnahme der zentralen Gefängnisverwaltung in Madrid blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.