Die Geschichte der kleinen Nadia Nerea rührte Spanien zu Tränen. Die inzwischen Elfjährige, die mit ihren Eltern mehrere Jahre auf Mallorca lebte und inzwischen in einem katalanischen Bergdorf in den Pyrenäen wohnt, leidet nach Aussagen ihres Vaters Fernando Blanco an einer ex­trem seltenen Krankheit, der Trichothiodystrophie - eine Erbkrankheit, die die Kleine rasend schnell altern lässt. Weltweit komme die Krankheit angeblich nur 36-mal vor und soll im Falle von Nadia in einen frühen Tod münden, wenn sie nicht operiert wird. Angeblich. Jahrelang verließen sich Medien und die Bevölkerung auf die Angaben der Familie und spendeten seit 2008 einen beträchtlichen Betrag. Der Vater spricht von 325.000 Euro, andere der Familie nahestehende Quellen berichten sogar von bis zu zwei Millionen Euro. Alles, damit die kleine Nadia angeblich von den besten Ärzten der Welt behandelt werden kann.

Doch die Version des Vaters, die unter anderem auch die MZ in mehreren Artikeln vor sechs Jahren wiedergab, stürzte in der vergangenen Woche zusammen. Zunächst waren es mehrere Blogs im Internet, die die Ausführungen von Fernando Blanco anzweifelten, nachdem er sich erneut mit der Geschichte seiner Tochter an „El Mundo" gewandt hatte - allein nach dieser Veröffentlichung kamen rund 150.000 Euro in vier Tagen für eine Operation zusammen. Die Website „Hipertextual" und die Zeitung „El País" konnten belegen, dass ein Großteil der Ausführungen des Vaters maßlos dramatisiert oder schlicht gelogen sind. Der Vater gab inzwischen zu, „Teile seiner Erzählungen übertrieben" zu haben, aus Angst, seine Tochter zu verlieren. Die Polizei nahm ihn am Mittwoch (7.12.) wegen Betrugsverdacht fest, kurz darauf folgte auch die Festnahme der Mutter. Es wird geprüft, ob den Eltern das Sorgerecht entzogen werden soll.

Fernando Blanco hatte unter anderem berichtet, dass er mit Nadia in Kriegsgebieten in Afghanistan unterwegs gewesen sei, um einen auf die Erbkrankheit spezialisierten Arzt ausfindig zu machen. Außerdem sei er mit seiner Tochter nach Houston geflogen, um einen gewissen Dr. Edward Brown zu treffen. Um diesen „besten Genetiker der Welt" herum gebe es ein Team aus renommierten Medizinern aus aller Welt. Nach den Recherchen verschiedener Medien existiert in den USA kein Edward Brown, auf den diese Beschreibung zutrifft. Der Vater räumte inzwischen ein, nicht in Texas gewesen zu sein. Nach Afghanistan will er aber mit Nadia gereist sein, um nicht näher genannte „Heiler" aufzusuchen. Außerdem habe er sogar mit dem US-Politiker Al Gore Kontakt aufgenommen - eine Behauptung, die bisher nicht bestätigt werden konnte.

Auch die angeblichen Operatio­nen dürften erfunden sein. Laut ihrem Vater braucht Nadia alle paar Jahre eine in Spanien nicht zugelassene Operation, bei der ihr Gen­material entnommen, dieses manipuliert und wieder eingesetzt wird. So lasse sich ihre Lebenserwartung jeweils um vier Jahre verlängern. Mehrere von „Hipertextual" befragte Spezialisten versichern, dass bei den weltweit etwa 120 Patienten keine erhöhte Mortalität festgestellt worden sei. Außerdem sei eine wirksame Behandlung der Trichothiodystrophie bis heute nicht bekannt.

Die Version von Fernando Blanco über die Krankheit seiner Tochter könnte man vielleicht noch als verzweifelte Vaterliebe bezeichnen. Wenn da nicht schon frühere ähnlich gelagerte Fälle in seinem Leben aufgetaucht wären. Blanco saß bereits im Gefängnis wegen Betrugs. Zwischen 1994 und 1997 war er für eine Getränkefirma auf Menorca als Gebietsleiter tätig. Diesen Posten missbrauchte er, um mithilfe fingierter Rechnungen und Provisionen rund 120.000 Euro zu erschleichen. Dafür wurde er zu vier Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Und auch auf Mallorca hinterließ der Vater offenbar verbrannte Erde. Das Haus in Biniali, in dem die Familie zwei Jahre lang wohnte, soll heruntergekommen hinterlassen worden sein. Außerdem soll die Familie die Miete schuldig geblieben sein.

Am Mittwoch (7.12.) hat sich die Mutter von Nadia zu Wort gemeldet. Gegenüber Europa Press beteuerte sie, nichts darüber gewusst zu haben, dass ihr Mann nicht in Houston, sondern bei Heilern in Afghanistan war. Sie entschuldigte sich bei den Spendern und erklärte, das Geld sei nach wie vor auf dem Konto. Auch Fernando Blanco hatte angekündigt, allen, die sich betrogen fühlen, die jüngsten Spendengelder zurückzuüberweisen. Ein Richter in Katalonien, der die Untersuchung des Falls angeordnet hat, hat das Konto eingefroren, sodass daraus erst einmal nichts wird.