Horst Opaschowski (Jahrgang 1941) erschien einen Tag zu früh zum MZ-Interview auf Mallorca. Kein Wunder: Opaschowski ist Zukunftsforscher. „Mr. Zukunft", „Zukunftspapst", „Quotenkönig der Wissenschaft" wurde er bereits in deutschen Medien genannt, die ihn immer wieder als Experten zitieren. Schließlich klappte das Treffen mit der MZ dann doch, in Port de Sóller, wo Opaschowski regelmäßig seinen Urlaub verbringt.

Herr Opaschowski, ist es nicht frustrierend, die Zukunft zu erforschen? Etwas, was noch gar nicht da ist?

Ich wollte eigentlich Historiker werden - und nun bin ich Zukunftsforscher. Aber ich kann es erklären: Wer nicht zurückschaut, kann auch nicht nach vorne ­blicken. Meine Zukunftsforschung besteht aus der Auswertung von Zeitreihen. Also ich schaue, was die Menschen in den vergangenen 10, 20, 30 Jahren getan haben und was sich in der Zeit verändert hat. Der Mensch macht keine Sprünge, er ist ein Gewohnheitstier, und manche Gewohnheiten behält er ein Leben lang bei. Meine Untersuchungen sind also sehr stabil. Und aus den Trends kann man dann schließen, wie es in den kommenden fünf oder zehn Jahren weitergehen wird.

Aber es passieren doch auch unvorhersehbare Dinge. Krisen oder Terror zum Beispiel.

Touristen haben ein chronisches Langzeitgedächtnis. Bei ihnen kommen die Terrordrohungen als Letztes an. Wenn heute etwas passiert und sie in sechs Wochen verreisen wollen, dann denken sie: „Ach, dann ist es ja schon wieder vorbei."

Aber in der Türkei und in Tunesien ist der Tourismus ja nachweisbar eingebrochen.

Ja. Aber wenn Sie sich die Tourismusanalysen in Deutschland ansehen, dann erkennen Sie, dass die Reiselust der Deutschen ungebrochen ist. Die Reiseströme haben sich einfach woandershin verlagert.

Nach Mallorca zum Beispiel. Glauben Sie, dass sich die Reise­ströme auch mal von Mallorca wegbewegen können?

Auf jeden Fall. Wenn man am Flughafen in Palma gefühlt genau so lange aufs Gepäck warten muss, wie der Flug gedauert hat, oder sich die Schlangen bei den Mietwagen endlos ziehen, dann kann das die Reiselust auf Mallorca negativ beeinflussen. Mallorca braucht eine neue Logistik der Massen. Man muss mit Extremen rechnen und sowohl völlige Überfüllung mit einkalkulieren als auch, dass es mal weniger werden kann. Also langfristig planen. Und auch über Kapazitätsbeschränkungen nachdenken.

Sie meinen, weil es selbst den Urlaubern schon zu viele Urlauber sind?

Nicht nur deshalb. Mallorcas Boom kann schnell zum Boomerang werden. Im vergangenen Jahr war ich hier, und das Wasser wurde knapp. Hätte es dann nicht doch noch heftige Regenfälle gegeben, dann gäbe es jetzt hier wirklich große Probleme. Der Urlauber selbst ist nicht bereit, sich umzustellen. Er erwartet, dass die Umweltpolitik entsprechend vorsorgt. Urlauber zeigen zwar ein relativ großes Umweltbewusstsein. Aber bitteschön: Es darf nicht wehtun!

Also muss die Politik eingreifen?

Ja, es muss von Außen kommen. Aber auch im Interesse der Urlauber selbst, damit das Angebot seine Qualität behält.

Qualitätstourismus ist ja momentan eines der Lieblingsworte der Politiker und Touristikunternehmer hier auf der Insel.

Das sagt man schon seit 20 Jahren. Teilweise ist ja auch eine Qualitätssteigerung auf Mallorca zu erkennen. Aber ich würde raten: Qualitätstourismus für jede Klasse und jede Kasse. Auch mit kleinem Portemonnaie muss man Urlaubsqualität erleben können. Ich nenne es Demokratisierung des Reisens, man kann es aber auch Massentourismus nennen. Aber davon profitieren ja schließlich auch die reichen Fincabesitzer, sonst könnten sie nicht fünf Mal pro Woche von Deutschland nach Mallorca fliegen, weil es ohne den Massentourismus gar nicht so viele Flugverbindungen gäbe.

Sie haben also Angst, dass hier alles zu teuer werden könnte?

Man muss aufpassen, dass man das Preisniveau hält. Die Straßenbahnfahrt hier in Sóller hat vor ein paar Jahren zwei Euro gekostet, heute sind es sechs Euro. Man hat manchmal den Eindruck, es läuft hier wie in einer Gelddruckmaschine. Aber das kann nach hinten losgehen. Dann wird plötzlich verkündet: Kreta und Rhodos machen das Rennen. Wenn es hier boomt und die Kellner Sonderschichten einlegen müssen, weil so viele Tausend Touristen da sind, dann sollte man auch für eine entsprechende Infrastrukur sorgen, wenn es mal nicht so gut geht. In guten Zeiten für schlechte Zeiten vorsorgen.

Ihnen scheint Mallorca am Herzen zu liegen.

Meine Frau und ich haben unsere Hochzeitsreise nach Mallorca gemacht, in die Cala Romántica. Am 2. September sind es 50 Jahre her, seitdem sind wir Fans von Mallorca. Wenn ich mich hier äußere, dann ist das aus der Sorge heraus, dass es auch so bleibt.

Wie hat sich die Insel in den vergangenen 50 Jahren denn verändert?

Gewaltig. Man kann es natürlich nostalgisch betrachten und sagen, dass alles mal idyllisch und unberührt war, aber das ist eigentlich irreal. Ich bin der Meinung, gerade hier am Hafen von Sóller hat es auch viele Verbesserungen gegeben.

In Ihren Forschungen geht es auch viel um Tourismuspsychologie. Sie sagen: Urlaub ist die populärste Form des Glücks.

Es ist überraschend, dass Urlaub und Reisen einen sehr hohen Stellenwert für die Deutschen haben. Das Reisebedürfnis ist in den Deutschen angelegt und zwar je mehr, desto besser es den Menschen in ihren eigenen vier Wänden geht. Sie haben einfach Angst, etwas zu verpassen. Der Mensch ist nicht angelegt, ruhig zu sein.

Aber genau das will man doch im Urlaub?

Es ist ein Teufelskreis. Wenn man Stress hat, dann sehnt man sich nach Ruhe. Aber wenn man die Ruhe findet, dann kann man sie nicht ertragen und sehnt sich wieder nach Stress. Da muss man die richtige Balance finden.

Aus Expertensicht: Wie sieht denn der ideale Urlaub aus?

Das kann man nicht pauschal sagen, dafür sind die Charaktere zu verschieden. Aber generell: mal so und mal so. Das besondere an Mallorca ist, dass es eine Insel der Vielfalt ist. Hier zum ­Beispiel (zeigt um sich): Man ist am Wasser und trotzdem in den Bergen. Generell sollte man aber am dritten Urlaubstag keine großen Unternehmungen planen.

Warum? Ist der dritte Urlaubstag wie das verflixte siebte Ehejahr?

Nicht ganz. Das Problem ist, dass die Reise Stress mit sich bringt. Und so viel Neues strömt am Anfang auf die Menschen ein. Das ist wie das Geburtstagskind auf dem eigenen Kindergeburtstag, das weint, weil es einfach überfordert ist. Von da an bis zum Bergfest setzt dann Wohlbefinden ein. Und dann fangen die Menschen schon wieder an zu rechnen, wie viel Urlaub ihnen noch bleibt.

Gibt es auch psychologische Erklärungen dafür, warum Büroangestellte am Ballermann plötzlich auf den Tischen tanzen und die Sau rauslassen?

Im Alltag spielt man oft eine Rolle. Die Rolle des Partners, des Vaters, des verantwortungsvollen Angestellten. Urlaub kann man mit dem klassischen Drama vergleichen: Ort und Zeit wechseln, und auch Handlungen spielen eine andere Rolle. Jetzt bin ich in der Urlauberrolle. Vielleicht ist das die Urrolle. Wobei man sich aber etwas vormacht: Man kehrt aus dem Urlaub zurück, und die Sorgen sind wieder da.

Bald wird ohnehin der Weltraumtourismus den Sauftourismus ablösen, oder?

(lacht) So ein Trend zeichnet sich nicht ab. Die paar Millionäre, die mal mit einer Rakete hochgeflogen sind, ändern das nicht. Meine Prognose war vor 30 Jahren Spanien, Italien und Österreich und bleibt es auch für die nächsten 30 Jahre. Aber eben nur, wenn die Qualität vor Ort auch weiterhin stimmt.