Vor dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien an diesem Sonntag (1.10.) wächst die Sorge über mögliche Tumulte und Ausschreitungen. Die nationalistischen Parteien, die mit knapper Mehrheit in Katalonien an der Macht sind, wollen um jeden Preis über die Abspaltung von Spanien abstimmen lassen, obwohl das spanische Verfassungsgericht die Volksbefragung für unrechtmäßig erklärt und verboten hat. Am Samstag (30.9.) durchsuchten Beamte der Guardia Civil das Telekommunikations- und IT-Zentrum der Regionalregierung. Dabei zerstörten sie wichtige Infrastruktur, die die Wahl hätte möglich machen sollen. Am Nachmittag erklärte die spanische Zentralregierung das Referendum daher für annuliert.

Mit der Verkündung der Abstimmungsdetails hatte die Regionalregierung ersta am Tag zuvor Freitag (29.9.) der Zentralregierung die Stirn geboten. Am Sonntag würden 2315 Wahllokale öffnen, hieß es. Die Abstimmung finde zwischen 9 und 20 Uhr statt. Auch die Wahlurnen aus Kunststoff wurden erstmals öffentlich präsentiert. Insgesamt sind mehr als 5,3 Millionen Katalanen aufgerufen, über die Abspaltung der wirtschaftsstarken Region von Spanien abzustimmen.

Was genau am Wahltag geschehen wird, wagt deshalb niemand vorherzusagen. Das harte Vorgehen von Justiz und Polizei gegen die Organisation und die politisch Verantwortlichen des Referendums hat offenbar auch viele Katalanen, die eigentlich nicht für die Unabhängigkeit sind, davon überzeugt, an der Abstimmung teilzunehmen. Den Nationalisten ist es gelungen, die Debatte auf das vermeintliche Recht auf Selbstbestimmung zu lenken, bei dem es um demokratische Grundwerte gehen soll. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die spanische Verfassung, wie die der allermeisten Staaten der Welt, eine einseitig von einer Region angeschobene Abspaltung nicht vorsieht.

In den vergangenen Tagen hatten sich die katalanische Regierung und Pro-Unabhängigkeits-Organisationen mit den Sicherheitskräften und der Justiz ein Katz-und-Maus-Spiel um die Logistik des Referendums geliefert. Die Polizei hatte fast zehn Millionen Stimmzettel beschlagnahmt, doch auf einer Veranstaltung wurden viele solcher Zettel unter die Menge gebracht. Ebenso wurden Briefe zur ­Benachrichtigung von rund 45.000 Wahlhelfern konfisziert, und dennoch erreichten am Mittwoch entsprechende Schreiben viele Bürger.

Das Innenministerium ließ da­rüber hinaus etwa hundert Websites, die über das Referendum auf die ein oder andere Weise informierten, sperren, woraufhin Puigdemont auf seinem persönlichen Twitterkonto Tipps gab, wie man mit Tricks im Internet das Verbot umschiffen kann. Mit diesem Affront gegen die Staatsmacht riskiert der katalanische Regierungschef einmal mehr eine mögliche Festnahme. Einige Politiker glauben, dass es Puigdemont bewusst darauf anlegen könnte, um über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen zu machen.

Den Sicherheitskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. In den vergangenen Tagen wurden Tausende Beamte der Guardia Civil und der Nationalpolizei nach Katalonien verlegt, wo sie zum Teil auf Schiffen im Hafen von Barcelona untergebracht sind. Bei der Abfahrt einiger Einheiten in Südspanien wurden die Polizisten von Familien und Nachbarn mit Applaus verabschiedet, als würden sie in einen Krieg ziehen.

Die Videos haben die Gemüter noch zusätzlich erhitzt. Das Innenministerium kündigte eine Untersuchung an. Auf der anderen Seite behauptete der katalanische Innenminister Joaquim Forn, dass die auswärtigen Sicherheitsbeamten nach Katalonien kämen, „um uns gegeneinander aufzubringen". Diese Vorwürfe wurden von Polizei und Innenministerium zurückgewiesen. Es läge vielmehr im Interesse der Separatisten, dass es am Sonntag zu Zusammenstößen kommt, heißt es.

Entscheidend für den Ablauf des geplanten Wahltags ist die Rolle der Mossos d'Esquadra, der autonomen Polizei Kataloniens, welche die Mehrheit der Sicherheits­kräfte stellt. Die Mossos wurden für diese Tage unter ein einheitliches Kommando unter Führung der Guardia Civil gestellt, was die Nationalisten als weiteren Beweis dafür anführten, dass die Zentralregierung in Katalonien den „Ausnahmezustand" verhängt habe.

Die katalanische Polizei soll dafür sorgen, dass am Sonntag keine Wahllokale öffnen und daher bereits am ­Freitag Schulen und andere öffentliche Gebäude absperren. Ob die Mossos dieser Anweisung letztlich folgen werden, war zunächst noch unklar. Unklar ist vor allem auch, was am Tag nach dem geplanten Referendum geschieht. Die konservativ-nationalistische PDeCAT von Puigdemont vollzog Anfang der Woche einen überraschenden Kurswechsel. Anders als im ursprünglichen Fahrplan vorgesehen, soll jetzt für den Fall, dass die Separatisten am Sonntag einen Sieg verkünden können, doch nicht automatisch zwei Tage später die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen werden. Man wolle darüber dann erst einmal mit der Zentralregierung verhandeln. Das kam bei den beiden linken Partnern, auf die Puigdemont

angewiesen ist, nicht gut an.

Der Konflikt mit den Separatisten hat derweil die spanische Regierung von Premier Mariano Rajoy in die Enge getrieben. Die Opposition, ein Großteil der Medien und selbst Stimmen im Ausland werfen den Konservativen vor, mit ihrer starren Haltung die Konfrontation angetrieben zu haben. Rajoy verstecke sich hinter der Staatsanwaltschaft, den Richtern und der Polizei, anstatt auch politisch zu reagieren, ist die viel geübte

Kritik dieser Tage. „Das Schlimmste ist, dass wir alle allmählich vermuten, dass es so etwas (einen politischen Plan) gar nicht gibt, und dass allein darauf vertraut wird, dass die Guardia Civil das Referendum vereitelt und sich das Problem danach von selbst auflösen wird", kommentierte die Zeitung „El País" in einem Leitartikel.

Auch Oppositionsführer Pedro Sánchez von der sozialistischen PSOE wirft Rajoy vor, dass er den Katalanen absolut nichts anzubieten habe. Doch Sánchez steckt in der Zwickmühle. Die Linkspartei Podemos fordert ihn dazu auf, Rajoy wegen der Katalonien-Krise über ein Misstrauensvotum zu stürzen, was mit den Stimmen der Nationalisten auch möglich wäre. Doch die PSOE ist über das Thema selbst uneinig und zieht es vor, sich staatsmännisch an die Seite der Regierung zu stellen.

Eine erste Konsequenz für die Stabilität der Minderheitsregierung von Rajoy gibt es aber schon. Der Haushalt für 2018 musste aufgeschoben werden, da die baskischen Nationalisten (PNV) wegen Katalonien ihre Zustimmung verweigern. Allerdings dürfte das angesichts der größten Staatskrise der jüngsten Zeit das geringste Problem sein.

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