„Bis hierhin und nicht weiter", lautet das Motto der Kundgebung gegen den Massentourismus am Samstag (23.9.). Doch wie kam es so weit? Ein Stück Tourismusgeschichte.

„Wenn man es ganz genau nehmen will, dann waren schon die Phönizier in den Jahrhunderten vor Christi Geburt Touristen, allerdings eher geschäftlicher Natur", sagt Tolo Deyá. Er ist Dekan der Tourismusfakultät an der Balearen-Universität und hat sich intensiv mit der Geschichte des Inselurlaubs beschäftigt. Zumeist wird der österreichische Erzherzog Ludwig Salvator (1847-1915) als derjenige bezeichnet, der erstmals Gäste im größeren Stil nach Mallorca brachte. „Er lud Künstler und Intellektuelle in seine Anwesen in der Tramuntana ein. Mallorca machte sich so ­einen Namen, von Massentourismus konnte damals aber natürlich noch nicht die Rede sein", sagt Deyá.

Auch als sich die Kathedrale von Palma um 1900 als Kulturreiseziel etablierte, war die Besucherzahl noch überschaubar. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zog es die Gäste dann auch verstärkt nach Pollença oder Cala Ratjada, wo erste Hotels eröffnet wurden. Der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) unterbrach diese Entwicklung.

„Die Besucherzahlen zogen erst in den 50er- und 60er Jahren wieder an", sagt Deyá. Die Gründe: Durch den Zweiten Weltkrieg war es zu bedeutenden Fortschritten in der Luftfahrttechnik gekommen, der Marshall-Plan hatte Geld nach Europa gebracht und erstmals standen Nordeuropäern geregelte Urlaubstage zu. „Gerade in Deutschland sahen es viele Menschen als gesundheitsfördernd an, ihren Urlaub in der Sonne zu verbringen. Statt nach Baden-Baden reisten sie verstärkt nach Mallorca", so Deyá. Die Anzahl der Reiseveranstalter wuchs, als Pioniere des Pauschalurlaubsgelten die deutschen Unternehmen Dr. Tigges und später Neckermann. „Oft investierten sie selbst in den Bau von Hotels, denn Spanien war arm." Ein Bauboom auf der zuvor landwirtschaftlich geprägten Insel war in den 60er-Jahren die Folge. „Damals waren die Hotels eher schlicht. Die Gäste waren keine Urlaube gewohnt und erwarteten nicht viel. Buffet, ein Zimmer, der Strand in der Nähe, damit waren sie zufrieden", so Tolo Deyá.

Sol y playa pur also. Palmas Zentrum blieb damals vom Andrang weitgehend verschont. „Vor allem die Playa de Palma aber auch

Calvià und Alcúdia waren zu Beginn des Massentourismus sehr gefragt." Als eines der ersten großen Strandhotels gilt das San Francisco an der Playa de Palma. „Der Tourismus war damals bereits bedeutsam für die

Insel, noch aber existierte auch eine ausgeprägte Industrie: Schuhen, Schmuck und Leder."

Auf den Boom folgte die Rezession: Die Ölkrisen in den Jahren 1973 und 1979 ließen die Flugpreise drastisch ansteigen, die Urlauberzahlen gingen zurück. Als sich Anfang der 80er-Jahre eine Erholung andeutete, veränderte sich auch der Tourismus. „Mittlerweile hatten die Leute mehr Erfahrung mit Urlauben, und ihre Ansprüche stiegen. Bis in die 90er- Jahre hinein herrschte ein starker Wettbewerb in de Branche. Es kristallisierten sich große Ketten heraus, auch die Qualität der Angebote stieg. „Die Reiseveranstalter übten mehr Druck, die Differenzierung der

Angebote begann."

Auch zahlreiche Agroturismo-Unterkünfte kamen in den 90er-Jahren hinzu. „Schon damals gingen rund 20 bis 25 Prozent der Einnahmen durch die Touristen an Reise­veranstalter, etwa je 20 Prozent an die Fluggesellschaften und die

Hotels und der Rest an die Gastronomie und an Anbieter von Freizeitaktivitäten", weiß Deyá.

Das habe sich bis heute nicht geändert. „Nur, dass statt der Reiseveranstalter heute oft Buchungsportale im Internet das Rennen machen, und statt Hoteliers die Vermieter privater Ferienwohnungen." Anders als früher stelle sich für viele Deutsche nicht mehr die Frage, ob sie in den Urlaub fahren, sondern wie oft und wie lange. „Grundsätzlich kann man sagen, dass die Menschen früher, wenn überhaupt, nur einmal im Jahr flogen. Heute sind mehrmalige einwöchige oder Wochenend-Urlaube verbreitet." Gerade Palma profitiere davon. Zahlreiche Boutique-Hotels in der Innenstadt entstanden erst in den vergangenen acht Jahren. Auch die Saison sei heute ausgedehnter als noch vor einigen Jahren, als sich die Urlauber fast ausschließlich in den Sommermonaten blicken ließen. Von einer kontinuierlichen Verlängerung kann laut Deyá zwar nicht die Rede sein, wohl aber von einer langfristigen Tendenz.

„Heute wollen die Menschen einen möglichst individuellen Urlaub", so Deyá. Immer mehr setzten Reiseveranstalter deshalb auf den Urlaub als Erlebnis. „Das Produkt soll so einzigartig wie möglich sein, damit die Menschen ihre Erlebnisse für so spektakulär halten, dass sie sie in den sozialen Medien teilen." Thematische Reisen und Unterkünfte, die Trennung von Familien- und Erwachsenenhotels und private Ferienwohnungen seien die Folge. Und die Zukunft? „Das ist schwer zu sagen",so Deyá. Auf jeden Fall müsse weiter auf Kundenbindung, individuelle Angebote und Qualität gesetzt werden. „Das ist wichtig, denn beim Buhlen um die günstigsten Preise wird Mallorca nicht mehr mit anderen Mittelmeerzielen konkurrieren können."