Der neueste Aufreger dauert mehrere Minuten. Es werden Fausthiebe und Tritte ausgeteilt, ein junger Mann blutet im Gesicht, ein anderer liegt am Ende offenbar bewusstlos am Boden. Das Video der Schlägerei zwischen Urlaubern und Promotern an der Playa de Palma, zu der es am Montagmittag (3.7.) an der Strandpromenade kam, ließ gleichermaßen die sozialen Netzwerke wie auch die Insel-Politik heiß laufen und ist der jüngste Hinweis da­rauf, dass die Zustände an der Playa de Palma offenbar außer Kontrolle geraten sind.

Was war passiert? Eine angebliche Augenzeugin schreibt auf Facebook, dass zwei Koblenzer Urlauber sie und ihre Freundinnen belästigt hätten. Die Promoter hätten sie beschützen wollen. Ein Verwandter des bewusstlos geschlagenen Urlaubers erklärte der MZ dagegen am Telefon, dass die Promoter einen Streit angefangen hätten, weil sie ein Nein für angebotene Eintrittskarten nicht akzeptieren wollten.

Es werde schlimmer an der Playa de Palma, sagen Wirte, Angestellte und Anwohner praktisch unisono. Palmas neuer Bürgermeister Antoni Noguera sprach am Dienstag sogar von „Abschaum", den Deutschland bitte nicht länger nach Mallorca schicken möge - das wolle er auch der deutschen Konsulin in Palma, Sabine Lammers, in einem Gespräch erklären. Im Konsulat bestätigte man auf MZ-Nachfrage diplomatisch einen Termin mit dem Bürgermeister: „Dabei wird es sicherlich auch um diese Thematik gehen."

Am Mittwoch kamen zudem Vertreter von Gemeinden, Polizei und Tourismuswirtschaft zu einem eiligst einberufenen Treffen mit Vizepremier Biel Barceló zusammen. Verabredet wurde wieder einmal eine bessere Koordination. Tourismus-Generaldirektorin Pilar Carbonell kündigte zudem schärfere Gesetze gegen Alkoholkonsum in All-inclusive-Einrichtungen an.

„Aggressives Publikum"

Besonders die Stimmung rund um Bierkönig und Megapark sei aggressiver geworden, berichten viele, die an der Playa arbeiten - nicht erst, seit NDR-Moderator Hinnerk Baumgarten im April bewusstlos geschlagen wurde, nachdem er betrunkene Wildpinkler zur Rede gestellt hatte, oder Skins im Bierkönig eine Kriegsflagge entrollten (MZ berichtete). Ein Restaurantmitarbeiter erzählt, dass es wesentlich mehr Gewalttaten gebe. Das Verhalten sei asozial, Betrunkene torkelten zu den Tischen und nähmen Essen von den Tellern. Als sich eine Frau beschwerte, habe einer sein Geschlechtsteil aus der Hose geholt.

Michael Bohrmann, der seit 2004 das „Deutsche Eck" betreibt, beobachtet mit der Zunahme der Touristenzahl auch eine Zunahme der Probleme. „Das Publikum hat sich verändert", sagt er. Es sei „komisch" geworden. Eine Rolle spiele auch die aggressive Musik, wie sie im Bierkönig oder Mega­park gespielt werde. Die Polizei sei zwar präsent. „Aber in den Griff kriegen die das nicht. Die stehen lieber mit 20 Mann am Kreisverkehr und kontrollieren den Verkehr."

Und wo ist die Polizei?

Noch schärfer kritisiert die Polizei Juan Miguel Ferrer von der Qualitäts­offensive Palma Beach. Er hat ebenfalls eine Zunahme der Zwischenfälle beobachtet: Die Polizisten kontrollierten vorwiegend leichte Verstöße und schauten bei den wirklichen Problemen weg. Ihr Verhalten gleiche schon fast einem Bummelstreik - wohl auch, weil die Policía Local infolge des Korrup­tionsskandals verunsichert sei.

Im Zuge der Ermittlungen gegen Erpressung und Bestechung im Nachtleben an der Playa de Palma sitzt ein Dutzend Beamte in Haft, gegen weitere wird ermittelt. Viele Ortspolizisten wiederum fühlen sich bei den derzeitigen Reformen übergangen, wie bei einer Protestaktion zur Stadtratssitzung vergangene Woche klar wurde.

Die Kritik an seiner Truppe will der Chef der Ortspolizei, Josep Palouzié, nicht auf sich sitzen lassen. Die Beamten machten ihren Job so gut wie möglich, könnten aber nicht überall sein, so Palouzié im Gespräch mit der MZ - zumal die Zahl der Einsatzkräfte nicht in gleichem Maße wie die der Urlauber steige. „Wir können nicht jedem Urlauber einen Polizisten zur Seite stellen." Die Playa de Palma habe kein festes Kontingent an Ortspolizisten, vielmehr werden die 870 Beamten - abzüglich rund 100 Krankheitsfälle - im gesamten Stadtbezirk verteilt. Die Stadt hält sich zugute, dass das Modell dieses Jahr flexibler sei und zudem Anreize für bezahlte Überstunden geschaffen worden seien. Hinzu kommen im Sommer zehn Beamte der Nationalpolizei an der Playa - zu wenige nach Ansicht von Bürgermeister Noguera.

Alles landet im Netz

Auch die weitere Kritik weist der Polizeichef zurück. Die Ortspolizisten blieben alles andere als tatenlos, seien aber infolge des Skandals nun vielleicht besonders akkurat, um sich nicht angreifbar zu machen. Palouzié sieht zudem ein Wahrnehmungsproblem: Immer mehr Exzesse landeten über das Smartphone sofort in den sozialen Netzwerken und würden dann auch ausführlich von den traditionellen Medien aufgegriffen.

Doch auch laut den offiziellen Zahlen der Stadt ist die Zahl der registrierten Prügeleien und Übergriffe an der Playa gestiegen: 20 Fälle im Juni 2015, 26 im Juni 2016 und 29 im Juni 2017.

Die Erklärung mit den Handy-Videos lässt Anwohner-Sprecher Biel Barceló - ein Namensvetter des Vizepremiers - denn auch nicht gelten. Die Zustände würden schlimmer: „Hier zu leben, wird immer mehr zur Zumutung." Barceló macht noch eine weitere Beobachtung: Immer öfter sorgten Türstehern, Wachpersonal und Promoter der Vergnügungstempel für Probleme. „Da wird schnell Personal angeworben, das nicht qualifiziert ist."

Einigkeit herrscht dagegen über ein verfehltes Tourismusmodell. Der Zielgruppe der beiden großen „Sauftempel" an der Playa werde suggeriert, dass alles erlaubt sei, so der Anwohner-Sprecher. Hier müssten endlich die zuständigen Gemeinden Palma und Llucmajor ihrer Verantwortung gerecht werden. Auch der Polizeichef verweist auf das bestehende Tourismusmodell. Wenn trink- und radaufreudige Urlauber angelockt würden, dann könne man eben nur noch Feuerwehr spielen. „Wir löschen die Brände, aber wenn der Bauherr das falsche Material verwendet, können wir wenig tun."

Kurzfristige Maßnahme nach der neuesten Prügelei: Die Ortspolizei will die Patrouillen am Mittag verstärken. Bislang habe es um diese Zeit kaum Probleme gegeben, heißt es. Als man am Montag um 14.38 Uhr eingetroffen sei - zehn Minuten nach der Information durch die Notrufzentrale -, habe man niemanden mehr vor Ort angetroffen.