Der von der spanischen Zentralregierung abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont hat die Fortsetzung der Unabhängigkeitsbestrebungen verkündet. In einer vom staatlichen Regionalsender TV3 übertragenen Rede rief er am Samstag (28.10.) in Girona die Bürger der Region zum friedlichen Widerstand gegen die von Madrid beschlossenen Zwangsmaßnahmen und zur "Gründung eines freien Landes" auf.

Die Regionalregierung, die sich ausdrücklich nicht als abgesetzt versteht, sollte noch am Samstag zusammentreten, um nach der Unabhängigkeitserklärung durch das Parlament über "verfassungsgebende Wahlen" zu beraten.

Das katalanische Parlament hatte am Freitagnachmittag mit den Stimmen der separatistischen Regierungskoalition die Unabhängigkeit ausgerufen. Aus Protest dagegen verließ ein Großteil der Opposition noch vor der geheimen Abstimmung den Saal.

Für die Resolution stimmten 70 Abgeordnete, dagegen 10, zwei Abgeordnete enthielten sich. Das Parlament in Katalonien hat 135 Sitze.

Nach Bekanntgabe des Ergebnisses durch Parlamentspräsidentin Carme Forcadell erhoben sich die Abgeordneten und sangen die katalanische Hymne "Els Segadors", die mit einem "Visca Catalunya!" beschlossen wurden (Es lebe Katalonien).

"Wir haben die Freiheit gewonnen, ein neues Land zu schaffen", jubelte der stellvertretende katalanische Regierungschef Oriol Junqueras per Twitter.

Vor dem Regierungsgebäude in Barcelona versammelten sich im Laufe des Nachmittags Tausende Menschen zur "Ersten Feier der Republik". In ersten Rathäusern, etwa in Girona, ist die spanische Fahne eingeholt worden. An die 200 Bürgermeister der Region waren zudem nach Barcelona gereist, um dort der Unabhängigkeitserklärung beizuwohnen.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy twitterte: "Ich bitte alle Spanier um Ruhe. Der Rechtsstaat wird die Legalität in Katalonien wiederherstellen." Rajoy hatte zuvor vor dem Senat in Madrid eine Intervention des Zentralstaats als "alternativlos" bezeichnet. Die Aussetzung der Autonomie über den Verfassungsartikel 155, die praktisch zeitgleich vom Senat in Madrid genehmigt worden ist, steht nun unmittelbar bevor.

Katalonien steuert somit auf eine ungewisse Zukunft entgegen.

Welche konkreten Auswirkungen die Anwendung des Artikels 155 haben wird

Die katalanische Regierungskoalition hatte im Parlament in Barcelona einen Antrag eingebracht, um einen verfassungsgebenden Prozess zur Ausrufung eines "unabhängigen, souveränen, demokratischen und sozialen Staates" einzuleiten. Sie berief sich dabei auf das von der Zentralregierung und dem Verfassungsgericht für illegal erklärte Referendum vom 1. Oktober.

Madrid hatte diese Abstimmung mit aller Kraft und massiven Polizeieinsätzen behindert, die Aussagekraft des von keiner unabhängigen Wahlkommission bestätigten Ergebnisses - ein überwältigendes Ja zur Unabhängigkeit - ist mehr als fraglich.

Die Stimmung unter denen, die gehofft hatten, dass der Bruch noch einmal abgewendet werden könnte, hatte sich im Verlauf der Parlamentsdebatte, bei der nur die Fraktionsführer und nicht die Parteivorsitzende sprachen, zusehends verdüstert. Ministerpräsident Carles Puigdemont ergriff nicht das Wort. Er hatte sich Tags zuvor gegen Neuwahlen entschieden, womit die Intervention der Zentralregierung womöglich hätte verhindert werden können, und die Entscheidung über die Unabhängigkeit dem Parlament überlassen.

Der Artikel 155 der spanischen Verfassung ermöglicht unter anderem die Entmachtung der Regionalregierung und die Intervention der öffentlichen Finanzen. Unabhängig davon ermittelt auch die Staatsanwaltschaft gegen die Regierungsmitglieder sowie die Parlamentsvorsitzende, die die illegale Abstimmung zuließ. Wegen dem Strafbestand der "Rebellion" drohen langjährige Haftstrafen.

Sowohl die katalanische Politik als auch die Gesellschaft sind zu etwa gleichen Teilen in der Unabhängigkeitsfrage gespalten. Der Riss geht quer durch Katalonien. Aus Furcht vor Auswirkungen auf die Wirtschaft haben bereits über 1.500 katalanische Unternehmen ihren Gesellschaftssitz außerhalb der Region verlegt.

Auch unter vielen Separatisten kam denn auch am Freitag zu der Freude über die lang erstrebte Unabhängigkeitserklärung die Sorge um die Zukunft hinzu. Zu ihnen gehörte etwa der bekannte Liedermacher und Parlamentarier Lluís Llach. Im Gespräch mit dem Fernsehsender "La Sexta" sagte er, dass man eigentlich eine Trennung im Konsens angestrebt habe. Jetzt aber ist das Gegenteil der Fall. Die Separatisten haben mit Spanien gebrochen. it/ck