Wo sich bis vor Kurzem noch Menschen in der Sonne aalten, liefen am Sonntag (29.10.) etwa 200 Freiwillige mit Handschuhen und Taschen umher. Sie sammelten, was das Meer an Palmas Stadtstrand Can Pere Antoni so anspült: Feuchttücher, Ohrenstäbchen, Tampons, Strohhalme, Plastikdeckel. Der Strand ist 750 Meter lang und rund 15 Meter breit. Am Ende kamen 900 Kilo Müll zusammen. Dazwischen waren auffallende, schlecht verbrannte Plastikreste, dunkel, verschrumpelt, mit verschmorten Rändern.

Sie werden seit vergangenem Mai angespült, keiner weiß woher, viele vermuten, sie stammen aus der Müllverbrennungsanlage Son Reus. Die Betreiberfirma Tirme habe sie der Hafenbehörde zur Aufschüttung eines neuen Anlegestegs geschenkt, weil Tirme nicht mehr wisse, wohin mit den Verbrennungsresten aus 550.000 Tonnen Müll, die jährlich verbrannt werden. Beweisen konnte den Zusammenhang zwischen der Baustelle und dem Plastik am Strand bisher aber niemand.

Die Baustelle zur Verlängerung eines Stegs für Kreuzfahrtschiffe und Fähren liegt in der Bucht von Palma zweieinhalb Kilometer vom Strand entfernt, schräg gegenüber sozusagen. Und die Auffüllarbieten begannen Ende Mai, kurz bevor die ersten Plastikreste angespült wurden.

„Zufall", sagt der Generaldirektor für Müllwirtschaft der Balearen-Regierung, Sebastià Sansó, obwohl er Anfang Oktober ein Sanktionsverfahren eingeleitet hat. „Zufall" sagt auch die Umweltbeauftragte Sandra Espeja im Inselrat, obwohl sie die Aufschüttung im Juni stoppen ließ. Und „Zufall" sagen auch die Hafenbehörde und Tirme.

Schwer zu glauben ist das für Umweltgruppen wie Gob, Amics de la Terra, Terraferida und das Kollektiv Mallorca Blue, einer Vereinigung von rund 20 Apnoe-Tauchern, die immer wieder Unterwasservideos ins Netz hängen, in denen sie Umweltschäden anprangern. Der Gob hat im August bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Hafen und Müllverbrennungsanlage erstattet. Die Ermittlungen wurden vergangene Woche eingestellt. Die Staatsanwältin habe keine veränderte Wasserwerte feststellen können, und von ihr entsandte Taucher hätten keine auffälligen Müllreste im Hafenbecken entdeckt. Es liege daher kein Umweltdelikt vor.

Gob-Sprecherin Margalida Ramis bleibt misstrauisch, denn die Hafenbehörde hat ihrer Gruppe nicht erlaubt, selbst Wasserproben zu entnehmen. „Schlecht verbranntes Plastik enthält sehr viel Furan und Dioxin, von Schwermetall in Verbrennungsrückständen ganz zu schwiegen. Das muss Schadstoffe ins Meer abgeben!", sagt sie.

Eine Arbeitsgruppe der vier Gruppierungen will dran bleiben. Denn würde sich der Verdacht bestätigen, dass Tirme rund 61.000 Kubikmeter schlecht oder gar nicht aufbereitete Schlacke (auch Rost­asche genannt) der Hafenbehörde überlassen hat, damit diese sie ins Meer kippt, dann wäre das ein „Umwelt­skandal ohne Gleichen", so Ramis.

Die Hafenbehörde antwortet der MZ nur schriftlich: „Das zertifizierte Material wurde von Tirme kostenlos zur Verfügung gestellt und ist ein nachhaltiger Ersatz für Naturstein." Insgesamt werden für den Ausbau 570.000 Kubikmeter Füllmaterial benötigt. Seit dem Stopp wird mit Steinen aufgefüllt. Das Meer ist dort bis zu 16 Meter tief, und der Kai soll um 370 Meter verlängert werden. Kreuzfahrtschiffe und Fähren sollen mehr Anlegeplätze bekommen.

Joan Mateu, Sprecher der Müllverbrennungsanlage Son Reus, ist etwas gereizt, wenn man ihn auf das Thema anspricht. Es verfolgt ihn seit fast sechs Monaten. Im Hafen habe man korrekt aufbereitete Schlacke als Sekundärbaustoff verwertet, er spricht von ecoáridos. Das sei erlaubt, wenn sich die Baustelle nicht in der Nähe von Grundwasser oder Fließgewässern befindet. So werden europaweit zum Beispiel beim Straßenbau verfahren. „Ecoáridos sind ein großer Schritt hin zur Kreislaufwirtschaft und weg von der Deponierung", sagt Mateu, „aber da fehlt Mallorca noch die Mentalität."

Derzeit habe Tirme mehr Material als angefragt wird. Wenn es gelänge, die jährlich anfallenden 60.000 Kubikmeter wieder zu verwenden - auch Privatleute können es sich für Bauarbeiten kostenlos abholen -, dann blieben nur noch die „knapp zwei Prozent" mit Giftstoffen belastete Kesselasche, die deponiert werden müsse, rechnet Mateu vor.

Er hat im Computer Fotos von dem Material, das die Hafenbehörde benutzt hat: Graue Schottermasse, aus der hier und da einige wenige bunte Fetzchen herausragen: Sie sind zerrissen, kaputt, aber nicht verbrannt. Sie sehen tatsächlich anders aus als das, was in der Bucht von Palma angespült wurde. „Kleine Abfallreste bleiben immer drin", sagt Mateu, „aber die sind nicht umweltschädlich." Tirme bereitet seit 1996 Sekundärmaterial auf, das meiste davon liegt unter den Straßen. Noch nie seien bei externen Prüfungen Schadstoffe gemessen worden.

Aber wie kann es sein, dass nach einer Verbrennung bei mindestens 850 Grad Celsius Plastik übrig bleibt? Das seien Reste, die von nicht verbrennbarem Restmüll wie

Töpfen, Boilern, Tellern, Steinen oder Blechen isoliert und deshalb während des nur ein paar Sekunden dauernden Verbrennungsprozesses nicht zu Schlacke würden, so Mateu.

Bleibt noch der Zweifel zur Nutzung im Meer: Spanienweit hat man das Material so noch nie verwendet, und auch in Europa ist die direkte Nutzung im Meer unbekannt. Einzig die Niederlanden benutzen Zementblöcke mit aufbereiteter Schlacke zur Uferbefestigung. Hierzulande gibt es deshalb dazu keine Richt­linie oder Autorisierung, weder beim spanischen Umweltministerium noch bei Mallorcas Sektorialplan für nicht gefährlichen Festmüll (Pla Director Sectorial de Residus Sólids no perillosos). An diesem Punkt hat Sebastià Sansó von der Landesregierung mit dem Sanktionsverfahren eingehakt: Tirme und die Hafenbehörde hätten ohne Autorisierung und ohne Umweltverträglichkeitsstudie gehandelt. Die Strafe kann bis zu 45.000 Euro hoch sein.

Joan Mateu hält dagegen, Tirme habe Mallorcas Umweltkommission am 20. April über das Projekt am Hafen informiert. Sansó kontert, dass er zwar informiert worden sei, aber nicht davon ausgehen konnte, „dass da Schlacke einfach so ins Meer gekippt wird." Die Vorstellung ist tatsächlich beunruhigend. Wenn es Grundwasser belasten kann, richtet es doch sicher auch im Meer Umweltschäden an. Auch hier hat Joan Mateu eine Antwort parat: Das Grundwasser könnte von aufbereiteter Rostasche mit Chloriden, also Salzen verschmutzt werden. „Im Meer ist das unbedeutend, da sind wir ja in einem salzhaltigen Medium."

Man müsste wohl Chemiker und Umwelttechnologe sein, um sich letztlich ein Urteil erlauben zu können. Fest steht: Der Stadtstrand von Palma ist extrem schmutzig. Viel Müll stammt aus den Röhren der Kläranlage, die 200 Meter draußen im Meer enden. Palmas Klärsystem ist überlastet, bei Regen läuft es über. Hygieneartikel, die manche Leute noch immer in die Toilette werfen, werden nicht zurückgehalten und direkt ins Meer geleitet.

Und woher kommen die schlecht verbrannten Plastikreste? Das weiß niemand. Sebastià Sansó hat kürzlich die Theorie aufgestellt, dass sie von Kreuzfahrtschiffen kommen, die im Hafen von Palma ihren Müll nicht ordungsgemäß entsorgen. „Viele haben eigene Verbrennungsanlagen an Bord", sagt er und

runzelt die Stirn.