Die vorgezogenen Neuwahlen in Katalonien am Donnerstag (21.12.) sind richtungsweisend für die unmittelbare Zukunft der Region und ganz Spaniens. Die Separatisten hoffen darauf, ihre absolute Mehrheit der Sitze zu verteidigen, um den Unabhängigkeitsprozess am Leben zu erhalten. Die Unionisten versuchen, dies zu verhindern. Doch egal, wer bei der Wahl als Sieger hervorgeht, es besteht kein Zweifel daran, dass sich die separatistischen Strömungen in Katalonien nicht von heute auf morgen in Luft auflösen werden. Die meisten politischen Akteure, auch die Verfechter der Einheit Spaniens, sind sich dessen bewusst.

Katalonien und der Status quo

Inés Arrimadas, die aussichtsreiche Spitzenkandidatin der liberalen Ciudadanos, machte im Wahlkampf der konservativen Zentralregierung von Mariano Rajoy den Vorwurf, kein „Projekt" zu haben und keine „Illusion" in Katalonien zu verbreiten. „Die reden wie eine Anwaltskanzlei", so die 36-Jährige. In der Tat ist Rajoys Volkspartei (PP) die Einzige, die lieber am Status quo festhält und keine weitreichenden Reformen anbietet. Diese Unbeweglichkeit könnte sich am Wahltag rächen, denn die Umfragen sehen die spanische Regierungspartei in Katalonien bei gerade einmal fünf Prozent der Stimmen.

Seit einiger Zeit schon wird in Spanien von der Notwendigkeit einer Reform der Verfassung von 1978 gesprochen. Vor Wochen meldeten sich zehn bekannte Verfassungsrechtler, davon fünf Katalanen, mit einem Dokument zu Wort, in dem sie der Politik den Weg weisen - bei aller gebotenen Vorsicht. „Wir sind uns der Schwierigkeiten eines solchen Reformprozesses bewusst, vor allem angesichts der bisherigen Politik, die die notwendigen Reformen verhindert hat", heißt es in dem 16-seitigen Manifest.

Rajoy änderte seinen Kurs

Die eifrigsten Verfechter einer Verfassungsreform sind die Sozia­listen (PSOE). Oppositionsführer Pedro Sánchez rief im Oktober einen Parlamentsausschuss ins Leben, der binnen sechs Monaten Vorschläge für eine Überholung der Verfassung ausarbeiten soll. ­Ciudadanos ist mit von der Partie, und auch Rajoy stimmte am absoluten Siedepunkt der Krise in Katalonien zu. Doch mittlerweile ist die PP, die sich nie für eine Reform erwärmen konnte, wieder gehörig zurückgerudert. „Das gehört nicht zu meinen Prioritäten, stand nicht in meinem Programm, und ich glaube, es gibt Wichtigeres zu tun in Spanien", erklärte Rajoy unlängst.

Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass die Linkspartei Unidos Podemos und die baskischen und katalanischen Nationalisten bislang nicht an dem Parlamentsausschuss teilnehmen wollen. Die PP warnt denn auch vor der Gefahr, dass ein überarbeiteter Gesetzestext nicht die außergewöhnlich breite politische und gesellschaftliche Zustimmung erhalten könnte, die der bestehenden Verfassung mit dem Referendum von 1978 zukam (90 Prozent).

Klare Aufteilung der Kompetenzen gefordert

Dabei sind die Defizite der Constitución nur allzu offensichtlich, besonders bezüglich der unausgereiften föderalen Strukturen des Landes, die letztlich auch ein Faktor der Krise in Katalonien sind. Die Verfassungsrechtler fordern in dem erwähnten Dokument eine klare Aufteilung der Kompetenzen zwischen Zentralstaat und den 17 auto­nomen Regionen Spaniens. Diese müssten zudem Mitspracherecht bei einigen nationalen Gesetzgebungsinitiativen haben. Dafür schlagen die Experten eine Reform des Senats vor, der in eine Länderkammer ähnlich dem deutschen Bundesrat verwandelt werden soll.

Das ist auch die Kernidee der Reformvorhaben von Sozialisten und Ciudadanos. Unter dem bisherigen System ist der „Senado" ein zahnloser Tiger. Die in den 50 Provinzen direkt gewählten Senatoren sind in der Praxis keine Repräsentanten ihrer Regionen, sondern stimmen so gut wie immer entlang der Parteilinien ab. In einer Länderkammer würden dann die 17 Regionalregierungen unterei­nander und mit der Zentralregierung debattieren, was ihnen mehr Einfluss auf die Landespolitik und somit auch mehr Sichtbarkeit gegenüber den Bürgern gäbe.

Statt Reformen Geldgeschenke

Doch Rajoys Konservative wollen lieber die Finger davon lassen. Stattdessen stellt die Regierung eine gründliche Überarbeitung der Regionalfinanzierung in Aussicht. Die Verteilung der Mittel zwischen Madrid und den Landesteilen ist ebenso unüberschaubar wie ungerecht, was auch Proteste in anderen Regionen als Katalonien ausgelöst hat, etwa auf den Balearen. Rajoy denkt, dass man den Katalanen finanziell entgegenkommen und so dem Separatismus den Stachel ziehen könnte. Doch eine Neuordnung des Finanzausgleichs ist kein leichtes Spiel, weil selbstverständlich die Interessen der Nettozahler und die der Empfänger weit auseinandergehen. Hinzu kommt, dass Ciudadanos bei dieser Gelegenheit gern mit den Sonderrechten des Baskenlandes aufräumen würde, das über ein eigenes Steuersystem verfügt. Das wiederum ist mit den baskischen Nationalisten auf keinen Fall zu machen.

Bei allen Differenzen halten es Experten für möglich, dass sich PP, PSOE und Ciudadanos letztlich auf einen Reformkatalog einigen könnten. Schwieriger steht es um Podemos und die Nationalisten. Denn diese Parteien beharren auf einer Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, was legalen Referenden zur Unabhängigkeit eines Landesteils ermöglichen würde. Das ist für die übrigen Parteien ein rotes Tuch.

Die zehn Verfassungsrechtler geben sich in ihrem Dokument zum Denkanstoß immerhin optimistisch: „Alle Staaten haben schon Verfassungskrisen durchlaufen, die sie mit Entschlossenheit angingen. Spanien kann das auch."