In Spanien klafft stärker als in anderen europäischen Ländern eine Lücke zwischen moderner Gesetzgebung und deren Anhängern auf der einen Seite und den hartnäckigen Überresten einer Macho-Dinosaurier-Gesellschaft auf der anderen Seite. Die Franco-Diktatur hatte über Jahrzehnte eine repressive konservativ-katholische Moral installiert, die auch nach dem Übergang in die Demokratie nicht plötzlich verschwand. Frauen waren vor allem für Kinder und den Haushalt da, das Zusammenleben ohne Trauschein unmöglich. Express-Scheidung, Homo-Ehe, der freie Verkauf der „Pille danach" und die geplante generelle Freigabe der Abtreibung waren damals undenkbar.

Auch heute ist es für viele Familien keineswegs selbstverständlich, dass ihre bei ihnen lebende erwachsenen Kinder ihre jeweiligen Partner zum Schäferstündchen in die elterliche Wohnung bitten. Einen Freund oder eine Freundin zu haben ist eine Sache, aber was die so genau machen, will man lieber nicht wissen. Und darüber sprechen erst recht nicht. Scham bedeutet Schweigen. Wenn dann eine 16-Jährige abtreiben will, ist sie vermutlich froh, dass sie die Schwangerschaft abbrechen kann, ohne das Thema mit ihren Eltern erörtern zu müssen.

Gleichzeitig verwundert angesichts des missionarischen Eifers, den das Zapatero-Kabinett in Sachen Liberalisierung an den Tag legt, die Vernachlässigung der Sexualerziehung in den Schulen. Vorschriften sind leichter zu ändern, als Einstellungen und fest zementierte Tabus. Im Internet-Zeitalter mangelt es nicht an Information über Stellungen und Verführungstricks, aber sehr wohl weiterhin an einer Erziehung zu einem selbstbewussten, entspannten und verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität.

Umso wichtiger wäre dies auch angesichts eines als große Behörde organisierten Gesundheitssystems, in dem vertrauensvolle Gespräche mit Hausarzt oder Gynäkologe Fehlanzeige sind.