Chroniken wie die der Eroberung Mallorcas aus arabischer Sicht sind nicht nur wertvoll, weil sie das Wissen der Historiker vervollständigen, sondern auch, weil sie allzu romantische Vorstellungen von der Geschichte relativieren. Al-Andalus, das Spanien der Mauren, ist heute ein Mythos, den mancher Zivilisationskritiker im Westen als Beispiel für die moralische Überlegenheit anderer Kulturen anführt.

Natürlich gibt es vieles, auf das der Europäer christlicher Tradition lieber nicht stolz ist. Doch weder hat Mohammed die Ungläubigen nur mit freundlichen Worten bekehrt, noch spiegelte die prächtige Architektur von Medina Mayurqa, wie das arabische Palma hieß, den wahren Zustand der Gesellschaft wider. Die Chronik eines maurischen Autors holt uns auf den Boden der Realitäten zurück: Der Gouverneur war ebenso inkompetent wie raffgierig, er tyrannisierte seine Untertanen und provozierte eine Rebellion seiner Militärs. Das in der Chronik beschriebene Trinkgelage muslimischer Soldaten im Angesicht der feindlichen Flotte liefert einen weiteren Hinweis darauf, wie es um die Moral bestellt war.

Umgekehrt steht allerdings auch die Glorifizierung der Mallorca-Eroberer auf wackeligen Beinen. Aus moderner Perspektive waren sie religiöse Fanatiker, die nach dem Triumph – und dem damit verbundenen Massaker an der Zivilbevölkerung – darangingen, alle Spuren der maurischen Zivilisation auszumerzen. Man fühlt sich unwillkürlich an die Vernichtung historischer Baudenkmäler durch die Talibane in Afghanistan erinnert.

Und der damals 21-jährige König Jaume I. hatte wohl keine Bibel in der Hand, als er unter den Töchtern des arabischen Wali „jene wählte, die ihm gefielen". Fazit: Nur wenige Mythen halten einer näheren Betrachtung stand. Ein Mythos freilich wird im Bericht des arabischen Chronisten gestärkt: Mallorcas Küste hat offenbar schon vor acht Jahrhunderten zu Alkoholexzessen eingeladen...