Frédéric Chopin ist neben Joan Miró der bedeutendste Künstler, der je auf Mallorca gewirkt hat. Das 200-jährige Jubiläum seiner Geburt interessiert vor allem in Polen und Frankreich. Zufällig ist Polen auch jenes Land in Osteuropa, auf das die Touristikstrategen der Insel ihre Anstrengungen konzentrieren, und Frankreich wäre ein im doppelten Wortsinn nahe liegender Quellmarkt, den man nach Jahren der Rückgänge neu erobern sollte. Selbst wenn einem der Insel­aufenthalt von Frédéric Chopin und George Sand im Winter 1838/39 vollkommen egal ist, gibt es also handfeste wirtschaftliche und werbetechnische Gründe, das Chopin-Jahr 2010 zum Vehikel eines koordinierten Marketingprojekts auf Grundlage eines soliden Programms zu machen. Man könnte ja wenigstens so tun, als ob man Chopins Winter auf Mallorca für ähnlich interessant hält wie hunderttausende Musik- und Literaturbegeisterte auf der ganzen Welt. Zumal hier ein Feld beackert würde, das die Touristiker vor Jahren schon zum Schwerpunkt erklärt haben, um vom reinen Sonne-Strand-Image wegzukommen und Besucher auch in der Nebensaison anzulocken. Nämlich Kulturtourismus.

So weit die Theorie. In der Praxis starrt der Beobachter in einen Abgrund aus Desinteresse, Unwissen und Gerangel hinter den Kulissen. Die Organisatoren des Chopin-Festivals in Valldemossa haben sich mit ihren Vorschlägen frustriert zurückgezogen. Die eigens eingerichtete Website www.anychopin.es, an die das offizielle Touristikportal den Info-Suchenden weiterreicht, bietet eine müde Programmübersicht ohne Details, nur auf Katalanisch und ohne direkte Kontakt- oder Informationsmöglichkeit. Eine koordinierende Körperschaft mit eigenem Budget taucht nirgendwo auf. So geht Mallorca mit einer goldenen Gelegenheit um. Im Januar ist der internationale Tourismus auf den Balearen um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Wundert sich noch wer?