Bei den EU-Wahlen geht es bekanntlich weniger um Europa, als um einen nationalen Stimmungstest, mit dessen Hilfe die Parteien dem Land den Puls fühlen können. Auf den Balearen wie in ganz Spanien ist dieser Test zu einer Abrechnung geworden. Sichtbarster Ausdruck dieser politischen Krise ist die neue Formation Podemos. Sie symbolisiert den Wunsch vieler Wähler nach einem echten Neuanfang und grundlegender Erneuerung: Die Protestbewegung des 15. Mai ist damit nach drei Jahren in der Parteienlandschaft angekommen. Aber auch andere kleine Parteien haben im Zuge der breiten Unzufriedenheit kräftig gewonnen.

Die beiden Volksparteien, die sich bislang die Macht in Spanien im Rhythmus der Legislaturperioden teilten, sind zunächst einmal Opfer ihrer Krisenpolitik. Die massiven Kürzungen, die der sozialistische Premier Zapatero in einer dramatischen Kehrtwende einleitete, hat Premier Rajoy unter konservativen Vorzeichen fortgeführt. Dass die Last einseitig die sozial Schwachen tragen mussten, können viele Wähler insbesondere den Sozialisten nicht verzeihen - und nehmen sie schlichtweg nicht mehr ernst.

Verfestigt hat sich zudem der Eindruck, dass viele in den Volksparteien ihre Macht missbrauchten, um Pöstchen zu verteilen, Gehälter zu summieren oder sogar korrupte Netzwerke aufzubauen. Die Fälle beschäftigen weiter die Justiz - und verschaffen Parteien Zulauf, die für Transparenz und Reformen eintreten, die den Missbrauch erschweren sollen.

Vor allem aber haben viele Wähler klargestellt, dass ihnen das Modell des Politikmachens missfällt. Sie ließen sich weniger von leeren Phrasen, Parteitagsinszenierungen oder den ewigen Schuldzuweisungen überzeugen als von Initiativen, die nicht dieser abgedroschenen Dramaturgie folgen. Dieser frische Wind ist eine gute Nachricht - und wenn die Parteien daraus gelernt haben, können wir uns hoffentlich auch wieder dem Thema Europa zuwenden.