Es braucht keine runden Jahreszahlen, um von der Vergangenheit eingeholt zu werden - so wie im Fall des Attentats von Sarajevo, das an diesem Samstag (28.6.) vor 100 Jahren den Ersten Weltkrieg ausgelöst hatte. War das deutsche Kaiserreich damals in den Krieg hineingeschlittert, war es praktisch alleine an ihm schuld? Mit jeder neuen Generation und jeder neuen Herangehensweise verändert sich der Blickwinkel, und die historischen Ereignisse erscheinen auch ein Jahrhundert später nicht in Stein gemeißelt.

Selbst wer den Blick nur nach vorne richtet, wird die Geister der Vergangenheit nicht los. Trotz aller juristischen Schwierigkeiten in Spanien und trotz der fehlenden politischen Unterstützung wurden in der vergangenen Woche auf Mallorca das erste Mal Franco-Opfer aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs exhumiert. Fast zeitgleich gab es einen weiteren historischen Präzedenzfall: Fast 80 Jahre nach der Ermordung ihrer Väter machten zwei Töchter von Franco-Opfern Zeugenaussagen in Manacor - auf Antrag der argentinischen Justiz, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt.

So unterschiedlich die Geschichte Spaniens und Deutschlands ist - beide Länder stehen vor der Herausforderung, den richtigen Umgang mit ihrer Vergangenheit zu finden. Es spielt keine Rolle, wie lange die Ereignisse zurückliegen. Sie müssen umfassend erforscht, debattiert und bewältigt werden. Es gibt keinen Schlussstrich, die Geschichte lässt sich nicht deckeln. Dass Spanien in dieser Hinsicht noch einen weiten Weg vor sich hat, ist offensichtlich: Das Schweigen der Franco-Diktatur und die pragmatischen Kompromisse der jungen Demokratie verzögerten diesen Prozess nur. Aber auch Deutschland wird die Geister der Vergangenheit nicht los: Bei der dominanten Rolle, die dem Land im Zuge der Schuldenkrise zugefallen ist, wächst bei manchen wieder die Angst vor einem deutschen Europa. Der Grat zwischen nötigem Gestaltungswillen und gefürchteter Dominanz ist schmal.