Von Frank Feldmeier Trotz der geografischen Nähe und der politischen Einheit von Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera ist jede Insel eine Welt für sich. Und auch wenn die Bewohner des Archipels am 22. Februar auf die 25-jährige Geschichte ihrer gemeinsamen Landesverfassung zurückblicken können, wissen viele Inselbewohner nur wenig von ihren unmittelbaren Nachbarn im Mittelmeer. Mallorquinische Lokalzeitungen berichten nur bei spektakulären Ereignissen von den kleineren Nachbarinseln. Flüge und Fähren zwischen den Inseln sind staatlich subventioniert - gewährt werden 45 Prozent Rabatt - und doch zieht es viele Balearen-Bewohner nicht auf die Nachbarinseln.

„Das liegt daran, dass Palma de Mallorca nie eine starke Hauptstadt und ein Anziehungspunkt für alle Inseln war", sagt Roger Friedlein vom Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin. So gingen viele Bewohner der kleineren Inseln etwa zum Universitätsstudium traditionell nach Barcelona oder Madrid, nicht aber an die vergleichsweise junge Balearen-Universität in Palma.

Ausschlaggebend für die gemeinsame Identität war vor allem die christliche Eroberung im Mittelalter. Wie Jaume I. im 13. Jahrhundert Mallorca eroberte und der islamisch-arabischen Welt entriss, ist heute ein viel strapazierter Stoff für Legenden, Volksfeste wie auch politische Feierstunden, mit denen die Schicksalsgemeinschaft der Balearen-Bewohner beschworen wird. Als identitätsstiftend erwies sich besonders die Bewegung der Renaixença im 19. Jahrhundert, als sich Gelehrte der Inseln der gemeinsamen katalanischen Sprache bewusst wurden - eine Sprache, eine Kultur, ein Volk.

Dabei gab es lange Phasen, in denen die Inseln ihre eigene Geschichte schrieben. Schon der Begriff der Balearen fasste ursprünglich nicht alle vier Inseln zusammen. Ibiza und Formentera gehörten zunächst nicht dazu - sie bildeten die Inselgruppe der Pityusen.

Auch waren Teile des Archipels zeitweise unter fremder Herrschaft. So wehte seit dem Jahr 1712 im menorquinischen Maó die britische Flagge. Der Frieden von Utrecht, der 1713 den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, sprach die Insel auch offiziell dem britischen Empire zu. Dies machte Menorca für ein Jahrhundert zu einem „Sonderfall des Archipels", wie der Historiker José Luís Terrón urteilt. Die Insel war zwischendurch zwar spanisch verwaltet, wurde aber nicht vollkommen in die Monarchie integriert: Spanien „behandelte Menorca stets wie eine Trumpfkarte, die jederzeit gegen England ausgespielt werden konnte", so Terrón. Das Ziel: der Austausch gegen Gibraltar.

Die Folgen der Besatzung sind noch heute auf Menorca sichtbar - die Engländer bauten den Hafen von Maó aus. Spuren auch in der Sprache: Philologe Friedlein spricht zwar von einer „überraschenden Einheitlichkeit des Katalanischen auf den Inseln", doch gebe es Eigenheiten im Menorquinischen aus der britischen Zeit. So heißen Schuster xumàquer (Englisch: shoe-maker) oder Kreide xoc (chalk).

Im spanischen Bürgerkrieg verfeindet

Im Spanischen Bürgerkrieg standen sich die Inseln sogar in feindlichen Lagern gegenüber: Während die Putschisten 1936 auf Mallorca eine strategisch wichtige Bastion im Kampf gegen die spanische Republik errichteten, blieben viele Offiziere auf Menorca der gewählten Madrider Regierung treu. Die Insel fiel erst im Januar 1939, fast gegen Ende des Kriegs.

Unterschiedliche politische Lager sind noch heute erkennbar: Während Mallorca als eher konservativ gilt, ist Menorca eine Hochburg der Sozialisten. Das zeigte sich auch bei den Wahlen zum Balearen-Parlament im vergangenen Jahr: Kam die PSOE auf Mallorca nicht über die 30-Prozent-Hürde, so errang sie auf Menorca fast 40 Prozent.

Ob unter der Franco-Diktatur oder im Jahrhunderte währenden Zentralstaat der Bourbonen - der Blick ging eher nach Madrid als zu den Nachbarinseln - auch nach der Verwaltungsreform von Staatssekretär Javier de Burgos 1833, der die Balearen zu einer von 49 Provinzen machte. Bis zur Demokratisierung Spaniens Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war wenig Raum für regionale Selbstbestimmung - und auch mit dem neuen Autonomie-Statut von 2007 haben die Balearen weniger Handlungsspielraum als ein deutsches Bundesland.

Die jetzigen Versuche, die gemeinsame Identität zu stärken, wirken wie eine Aufholjagd - was an gemeinsamen Symbolen und Traditionen zu finden ist, wird aufpoliert. Balearen-Premier Francesc Antich gab eigens eine Hymne in Auftrag, die nun bei allen offiziellen Feierakten erklingen soll: Der Mallorquiner Joan Valent komponierte ein feierlich-episches Stück, in dem typische Instrumente aller Inseln erklingen. In Auftrag gegeben wurde auch ein neues Logo für die Balearen-Regierung: Miquel Barceló, Vorzeige-Künstler der Balearen, verpasste den Inseln einen modernen, mediterranen Anstrich. Die gemeinsame Identität der Inseln reduziert sich eben nicht auf das ferne Mittelalter.

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