Von S. Droll und M. Ferrer In Spanien treiben immer mehr Frauen ungewollte Kinder ab. Die Zahl der Abbrüche kletterte von 49.578 im Jahr 1997 auf 101.592 im Jahr 2006. In einem spanienweiten Vergleich liegen die Balearen somit nach Angaben des balearischen Gesundheitsministeriums gleich hinter der Region Madrid auf Rang zwei. Statistisch gesehen ließen 14 von 1.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 44 ihre Schwangerschaft beenden. Im Jahr 2006 waren es insgesamt 2.761 Fälle. Nur eine Minderheit ließ den Eingriff in Einrichtungen des staatlichen Gesundheitssystems vornehmen. 96 Prozent suchten hingegen private Ärzte auf, vor allem in den beiden speziellen Abtreibungskliniken in Palma, Centro Médico Aragón und EMECE. Mehr als die Hälfte von ihnen ließ sich vorher nicht beraten. Jede Vierte hatte bereits einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich, fast jede Zweite (44 Prozent) war Ausländerin. Der Anteil der Immigrantinnen unter den Frauen stieg 2006 um 31 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele kamen aus Ecuador, Bolivien, Kolumbien, Rumänien oder Marokko, gehören also einer derzeit stark wachsenden Bevölkerungsgruppe an. Auf die alarmierenden Zahlen reagierte das balearische Gesundheitsministerium Anfang Februar mit der Gründung einer speziellen Arbeitsgruppe zur Sexualerziehung. Die Abteilung soll Strategien zu dem Thema entwickeln und insbesondere eine spezielle Aufklärungskampagne für Immigrantinnen starten. Die Maßnahmen, die seitens der Zentralregierung ergriffen wurden, seien zu allgemein gehalten gewesen. „Wir müssen den Ausländerinnen genau erklären, mit welchen Mitteln sie eine Abtreibung vermeiden können", sagt Margalida Buades, Sprecherin des Gesundheitsministeriums der Balearen-Regierung. Dafür sei es notwendig, die Kultur und Sprache der Frauen zu berücksichtigen. Bei den neuen Maßnahmen müsse weniger die Aufklärung an sich, sondern eher der Umgang mit Sexualität thematisiert werden. „Abtreibungsparadies"

Während das balearische Gesundheitsministerium nun eine neue Sexualpädagogik für Erwachsene entwirft, wird das Thema Abtreibungen in ganz Spanien heiß diskutiert. Im Kern geht es um die unzulänglichen gesetzlichen Regelungen. Das bestehende Gesetz aus dem Jahr 1985 wird unterschiedlich interpretiert. Nach dem Gesetz sind nur Abbrüche von Schwangerschaften nach Vergewaltigungen (bis zu 12 Wochen) und bei einer Missbildung des Fötus (bis zu 22 Wochen) eindeutig erlaubt. Ansonsten bleibt die Gesetzeslage schwammig: „Wenn eine große Gefahr für die physische oder psychische Gesundheit der Schwangeren besteht", kann ebenfalls abgetrieben werden. Eine zeitliche Beschränkung wird nicht genannt. Kirche und Konservative kritisieren, dass diese Formulierung als Vorwand benutzt wird, um ohne Einschränkungen Abtreibungen vornehmen zu können. Politiker der konservativen Volkspartei (PP) bezeichnen Spanien sogar zynisch als „Abtreibungsparadies". Einen Erfolg feierten die Abtreibungsgegner, als Ende vergangenen Jahres Carlos Morín, der in Barcelona lebende Besitzer mehrerer Kliniken, festgenommen wurde und seine Einrichtungen geschlossen wurden. Der Vorwurf: Der Gynäkologe soll dort Schwangerschaftsabbrüche zum Teil noch im sechsten oder sogar achten Monat vorgenommen haben. Bei ihm angestellte Ärzte werden verdächtigt, psychologische Gutachten ausgestellt zu haben, ohne die Patientinnen vorher gesehen zu haben. Kurz darauf bekamen Frauen in Madrid Besuch von der Guardia Civil. Vor Gericht müssen sie sich nun des Vorwurfs erwehren, sie hätten noch nach der maximalen Frist von 22 Wochen abgetrieben. Aus Protest gegen das Vorgehen der Behörden traten schließlich im Januar insgesamt 32 Abtreibungskliniken in Spanien in einen bisher beispiellosen eine Woche andauernden Streik. Von schikanösen Kontrollen war die Rede, mehr rechtliche Sicherheit und Eindeutigkeit wurde gefordert. In die gleiche Kerbe schlägt auf Mallorca die regionale Frauenbewegung Plataforma por la Igualdad (Bewegung für die Gleichberechtigung). Der Zusammenschluss von links-orientierten Parteien, Feministinnen, Vereinen und Gewerkschaften kämpft unter dem Motto „Die Frauen gebären, die Frauen entscheiden" für eine Reform. „Wir wollen ein Gesetz, das die Frau schützt, eine Fristenlösung von zwölf Wochen, und dass der Abbruch in staatlichen Einrichtungen vereinfacht wird", sagt die Sprecherin der Gruppe, Francisca Mas Busquets. Das aktuelle Gesetz bedeute juristische Unsicherheit und müsse dringend geändert werden. Als Zeichen ihres Protests sammelte die Gruppe 196 Unterschriften von Frauen, die abgetrieben haben, oder Männern, die ihre Partnerin zu einem Abbruch begleitet haben. Auch befanden sich einige Personen darunter, die nur symbolisch ihre Unterschrift unter die Selbstanklage setzten. Die Liste reichten die Aktivisten am Mittwoch vergangener Woche öffentlichkeitswirksam bei Palmas Gericht ein. Viele der Frauen sind Kämpferinnen für die Legalisierung von Abtreibungen innerhalb eindeutig definierter Zeiträume. Anfang der 80er Jahre war das Thema in Spanien schon einmal hochgekocht. „Damals veranstalteten wir Sitzblockaden im Gericht und im Rathaus von Madrid", erinnert sich Nina Parrón, ein Mitglied der Frauenbewegung. „Ich klage mich mittlerweile schon zum dritten Mal selber an, ich fühle mich wie mit in einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt." Auf eine Gesetzesänderung - wie auch immer diese ausfallen mag - müssen Spaniens Frauen wohl noch länger warten. Die regierenden Sozialisten hatten zwar eine Reform des Abtreibungsgesetzes versprochen. Doch bei der Ankündigung ist es bisher geblieben. Im Wahlkampf versucht Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, das Thema so gut wie möglich auszuklammern.

In der Druckausgabe lesen Sie außerdem:

Interview mit Der Gynäkologe Santiago Barambio: Die Frau muss entscheiden

Statistik: Schwangerschaftsabbrüche auf den Balearen

Abtreibung in Deutschland: Konfliktberatung Pflicht