Traudl Gutwein bläst scharfer Seewind ins Gesicht, erhebende New-Age-Musik setzt an, die "Aidaluna" tutet, Enyas Lied "Orinoco Flow" klingt aus den Lautsprechern, "sail away, sail away, sail away" tönt es über das Top-Deck, die "Aidaluna" bewegt sich langsam aus dem Hafenbecken in Lissabon, unter dem beeindruckenden Wahrzeichen der Stadt, der mehr als drei Kilometer langen Hängebrücke des 25. April hindurch, aufs offene Meer hinaus. Die Frau aus Rosenheim blickt lang auf die immer kleiner werdende Stadt zurück. "Das sind die Momente, wegen denen man auf dem Schiff ist, da kribbelt es bei mir. Wenn ich das Lied später wieder höre, denke ich daran zurück", sagt sie.

Traudl Gutwein und ihr Mann Peter sind seit ihrer ersten Kreuzfahrt vor fünf Jahren Aida-Fans, das Ritual des Enya-Lieds beim Auslaufen aus dem Hafen hat das Ehepaar schon einige Male auf anderen Aida-Schiffen erlebt. Damit zählen sie zu den vielen Wiederholungstätern auf der Jungfernfahrt der "Aidaluna", dem sechsten und funkelnagelneuen Schiff des Kreuzschifffahrtunternehmens Aida aus Rostock. Gemeinsam mit rund 1.500 weiteren Passagieren sind sie auf dem 252 Meter langen schwimmenden Club-Hotel mit dem auffälligen Kussmund zur Schiffstaufe am Samstag (4.4.) in Palma unterwegs.

Für die Fahrt über Le Havre, entlang der Iberischen Halbinsel über Santander, La Coruña, Lissabon, Cádiz und Tanger, durch die Straße von Gibraltar weiter nach Valencia und Barcelona haben sie pro Person mindestens 2.065 Euro bezahlt - Taufparty mit Star-Aufgebot, Feuerwerk und Gala-Buffet inklusive. Für die Feierlichkeiten im Hafen von Palma holt Aida die Pop-Gruppen Pur und Marquess, Sängerin Loona, Geiger David Garret und Comedian Kaya Yanar auf die Bühne. TV-Lady Barbara Schöneberger soll mit Moderator Pierre Geisensetter durchs Programm führen. Als Schiffspatin ist Top-Model Franziska Knuppe auserkoren. Eigens für das Ereignis steigen insgesamt noch fast 500 Künstler mit Begleitern und Journalisten auf die ?Aidaluna" zu.

Während der Reise ist noch nichts von dem zu erwartenden Tauftrubel zu spüren. Club-Direktor Harald Bernberger ist zufrieden. ?Es fühlt sich eher so an, als ob das Schiff schon seit vier Monaten unterwegs ist", sagt der gebürtige Salzburger. Das mag auch daran liegen, dass der Großteil der Köche, Kellner und ­Kabinenmädchen vorher schon auf anderen Aida-Schiffen gearbeitet hat. Insgesamt kümmern sich um die Gäste 646 Besatzungsmitglieder auf der zweiwöchigen Westeuropareise von Hamburg nach Mallorca, viele von ihnen stammen von den Philippinen, aus Indonesien und Indien.

Nicht nur auf ihren Gesichtern ist das berühmte Aida-Lächeln allgegenwärtig. Die gute Laune passt zum poppig-bunten Design. Mit Farben wird auf dem Schiff ordentlich geklotzt, zum Beispiel auf Deck 4: Dort sind an einem langen Gang entlang Gästekabinen untergebracht, in Hotels kann so ein Flur schon mal leicht deprimierend wirken. Auf der ?Aidaluna" wird eventuell aufkommende Tristesse mit einem Teppich mit breiten orange-braunen Streifen und quietschgrünen Türen der Kabinen im Keim erstickt. Geballte Farbenpracht auch in den Gemeinschaftsbereichen: Die Sitzpolster rund um den zentralen Show-Bereich, im Aida-Jargon: Theatrium, sind in kräftigem Rot und Lila gehalten, in der Aida-Bar ein paar Meter weiter prunken dicke, goldene Säulen. Im indisch gestylten, 2.300 Quadratmeter großen Wellness-Bereich herrschen Orange und Gelb vor.

In dieser bunten Welt, die noch dazu stets den Blick durchs Bullauge aufs blaue Meer freigibt, kann man den Alltag tatsächlich gut vergessen und sich nur noch den Sinnesfreuden hingeben: Essen, Entspannen, Entertainment und das Ganze vor wechselnder Hafenkulisse. Selbst den Landgang kann man sich komplett von Aida organisieren lassen, einen Reiseführer braucht man nicht. Die Kombination aus Abwechslung und Bequemlichkeit ist es, die die Gäste schätzen. Es gilt das Motto: Nichts muss, alles kann.

Auf der Jungfernfahrt der ­?Aidaluna" lassen sich vor allem viele Senioren verwöhnen. Das übliche Durchschnittsalter von Aida-Passagieren, etwa 42 Jahre, wird auf der Tour, die außerhalb jeglicher Schulferien in Deutschland liegt, deutlich überschritten. ?Wir haben viel nachzuholen und lange Flugreisen können wir nicht mehr machen. Da kommt uns so eine Kreuzfahrt sehr entgegen", sagen etwa Margit und Gerhard Kiewel aus Berlin. Für die Rentner aus dem Ostteil der Stadt ist es schon die zehnte Kreuzfahrt. Sie sehen viele Länder und kehren doch jeden Tag auf deutsches Terrain zurück. ?Das gibt ein beruhigendes Gefühl." Dazu gehöre auch das ­Wissen um den Schiffsarzt. ?Wir sind beide um die 70, da kann immer was sein." Nähere Bekanntschaften haben sie dieses Mal noch kaum gemacht, obwohl sie schon einige nette Tischnachbarn hatten. ?Man ist da irgendwie so steif", gibt Margit Kiewel gerne zu.

Überhaupt, die Tischgespräche: Es geht etwa darum, was die Kinder oder die Enkel studieren, wie hoch die Windstärke am Vortag war und immer wieder auch darum, was die anderen Passagiere so machen, wie das eben so ist, wenn viele sich unbekannte Menschen zusammenkommen und intensiv Zeit miteinander verbringen. ?Na, geben Sie es doch zu, Sie sitzen doch auch hier, damit Sie sehen, wie viel die sich hier alle auf den Teller häufen", sagt etwa der gerade pensionierte, 65 Jahre alte Rüdiger Köppe, der sich im Restaurant ?Bella Vista" einen Randplatz mit guter Aussicht auf die Mitreisenden gegönnt hat. Dann lässt der frühere Manager den Blick noch mal zum reichhaltigen Buffet schweifen, aber nein, er isst heute nichts mehr. Nach den ersten Tagen des Schlemmens ist Köppe jetzt auch öfter im Sportbereich auf dem Laufband anzutreffen. Immerhin ist auch die optische Erscheinung großes Thema.

Aida gibt zwar zum Thema Garderobe Orientierung im Bord-ABC: ?Ganz ohne Zwang. Aber mit Stil: sportlich leger, etwas ausgefallen, vielleicht elegant." Dennoch ist mancher Passagier verunsichert. Auf der einen Seite ist man im Urlaub, auf der anderen auf einer Kreuzfahrt und dieser Art des Reisens haftet - zumindest für manche - auch in Zeiten des Booms der Club-Schiffe noch etwas Mondänes an. So stapeln sich etwa in der Kabine der Geratzkis aus Hamburg die Koffer. ?Wir sind ja so ­naiv", sagen sie und meinen damit ihre Überversorgung mit festlicher und klassischer Kleidung.

Denn tatsächlich sind die Leute auf der ?Aidaluna" recht lässig angezogen. ?Als wir angekommen sind, habe ich schnell den Schlips abgemacht", sagt Peter Geratzki. Der 68 Jahre alte frühere Güteprüfer bei Nivea zeigt seine Auswahl an insgesamt elf Krawatten, die er wohl umsonst mitgebracht hat, und lächelt. Jetzt tragen er und seine Frau Marianne, die am Tauftag der ?Aidaluna" ihren 69. Geburtstag feiert, hauptsächlich die weißen Bademäntel, die zur Grundausstattung jeder Kabine gehören, auf dem Weg in die Sauna. ?Das ist gut für die Bronchien." Im Wellness-Bereich sind die Geratzkis jeden Tag. Nach dem Aida-Aufenthalt - die Geratzkis bleiben sogar vier Wochen an Bord und fahren von Palma nach Hamburg zurück (?Bequemer geht es nicht") - wollen sie maximal ­erholt sein.

Das Gegenprogramm erlebt die Crew auf der ?Aidaluna". Die Besatzungsmitglieder arbeiten vier Monate durch, dann gibt es zwei Monate Urlaub. Kapitän Lutz Leitzsch, der auf der Kommando-Brücke zwei Sicherheitstüren hinter dem Sportbereich seinen Dienst tut, fasst das so zusammen: ?Wenn man 30 Jahre verheiratet ist, ist die Frau 20 Jahre lang alleine zu Hause." Leitzsch selbst bewegt sich in dieser Zeit kaum vom Schiff. ?Der Kapitän hat immer Dienst." So war er etwa schon an die 70 Mal im Hafen von Palma, ist aber erst einmal um die Insel gefahren. Hotel-­Manager Michael Strauss erzählt, dass er nach so einem Hochdruck-Einsatz immer zunächst ein paar Tage braucht, um runterzukommen. Dann fährt der 38-Jährige heim nach Wien oder besucht Freunde, die er in seinen mittlerweile zehn Jahren auf See kennengelernt hat. Wie Club-Direktor Bernberger stammt Strauss aus Österreich. Falls ein Gast mal verärgert ist, setzt er gern den besänftigenden Sprachklang von jenseits der Alpen ein. ?So ein ?Ah, gehns gnä Frau´ oder eine Verkleinerungsform bewirkt viel", sagt er.

Viel zu meckern scheinen die Gäste aber sowieso nicht zu haben. Das umfangreiche Angebot an Aktivitäten lässt auch wenig Zeit, über Kritikpunkte nachzudenken. Ein paar gibt es aber doch. Erfahrene Aida-Gäste wie Traudl und Peter Gutwein sagen: ?Es wird mehr als früher versucht, aus allem Kommerz zu machen." Damit meinen sie, dass etwa der Besuch des Wellness-Bereichs, abgesehen von den Saunen, 15 Euro extra kostet, oder für Yoga-Kurse zusätzlich bezahlt werden muss. Allerdings finden die Gutweins trotzdem noch genügend All-inclusive-Unterhaltung. An diesem Tag machen sie beim Club-Tanz mit, lassen sich von den Bewegungen des Schiffs auf einer ?Sinnesreise" in der Zen-Lounge in eine Meditation wiegen und gehen abends noch in die Bord-Disco ?Anytime" zur 80ies Party.

Dort lässt der DJ gerade künstlichen Nebel über die Tanzfläche blasen. Er legt den Duran-Duran-Hit ?Wild Boys" auf. Viel ist noch nicht los, aber Traudl Gutwein tanzt schon, ihr Mann steht wenige Meter dahinter. ?Wir lassen nix aus", sagt die 48-Jährige und lächelt.