Es ist ein hehres Ziel, das sich die Balearen-Regierung da auf ihre Fahnen geschrieben hat: den längst überfälligen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf der „Autoinsel“ Mallorca. Doch die Kehrtwende in der Verkehrsplanung bringt zahlreiche Gegner - darunter auch viele Deutsche - auf den Plan und führt auch innerhalb des Regierungsbündnisses immer wieder zu Streit.

Neben einer S-Bahn von Palmas Stadtzentrum nach Can Pastilla und zum Flughafen ist auch die Verlängerung der bestehenden Zugstrecken von Manacor bis nach Artà und von Sa Pobla bis nach Alcúdia geplant. Modern und umweltfreundlich will man sich mit diesen Prestigeprojekten zeigen. Aber der Gegenwind, der Verkehrsminister Gabriel Vicens (PSM, linksnationalistisch) von mehreren Bürgerinitiativen und sogar vom Koali­tionspartner Uniò Mallorquina (UM) entgegenweht, ist stark - so stark, dass sich Vicens in den vergangenen Tagen bemüßigt fühlte, seinen Chef an das Mammutvorhaben zu erinnern. „Ministerpräsident Antich soll in sich gehen. Er hat ein Abkommen für den Eisenbahnausbau von 440 Millionen Euro mit Madrid, das sehr schwierig zu erreichen war. Jetzt braucht es den politischen Willen zur Umsetzung“, sagte er. Die Finanzierung für die geplanten Verlängerungen der Bahnstrecken steht, doch auf dem Weg dorthin haben sich zahlreiche Hindernisse aufgebaut.

Fall 1:

Zug Manacor-Artà Die bestehende Bahn von Palma nach Manacor soll um 33 Kilometer bis nach Artà erweitert werden. Nach den Plänen fährt im Jahr 2011 ein Elektrozug die Ortschaften Sant Llorenç, Son Carrió und Son Servera ab. Der Beginn der Bauarbeiten ist für Anfang 2010 geplant, dann soll die 1977 stillgelegte Bahnstrecke wieder aktiviert und die alten Gleise und Schwellen von einem Betonbett ersetzt werden. Dafür sind etwas mehr 100 Millionen Euro aus dem Madrider Gesamtbudget eingeplant. Doch gleich zwei Bürgerinitiativen machen sich gegen das Projekt stark. Bereits rund 250 Gegner haben sich laut der Vorsitzenden Claudia Gelabert der im April gegründeten Vereinigung „Alternativa al tren“ angeschlossen, etwa ein Viertel sind Deutsche. Viele der Mitglieder sind unmittelbar von den Plänen betroffen, denn fast 700 Grundstücke müssen für den Ausbau der Bahn zum Teil enteignet werden. Auch an Gelaberts Haus soll demnächst der Zug vorbeifahren. „Der Zug wird unrentabel sein, und das Problem des öffentlichen Nahverkehrs auf Mallorca nicht lösen. Wer soll denn damit fahren? Es sind ja nur drei Haltestellen zwischen Manacor und Artà“, sagt die Deutsche. Die Immobilienmaklerin plädiert stattdessen für eine Verbesserung der Busverbindungen.

Bisher ungeklärt ist der Streckenverlauf des Zuges in Manacor. Nach den Plänen des Verkehrsministeriums soll der tren-tram im Stadtzentrum wie eine leise, moderne Trambahn auf der alten Bahnlinie unterwegs sein und somit direkten Anschluss an den Diesel-Zug von Manacor nach Palma bieten. Mit der Inbetriebnahme der alten Strecke, die heute eine mit Palmen bewachsene Promenade durch die Stadt ist, fürchten aber viele Bürger und nicht zuletzt auch die Sprecherin der UM-Fraktion im Stadtrat und Umwelt-Dezernentin im Inselrat, Catalina Julve, eine Teilung der Stadt und Komplikationen für den Autoverkehr. Bei einer Demonstration am 20. April forderten rund 450 Teilnehmer eine Alternativlösung. Die Initiative „Un Passeig sense tren“ macht sich für einen zweiten, außerhalb des Zentrums liegenden Bahnhof und einen Pendelverkehr mit Bussen zwischen den Stationen stark. Mit ihrer Forderung spielen sie den Gegnern von „Alternativa al tren“ in die Hände. „Wenn es keinen Zug gibt, fährt er auch nicht durch Manacor“, verspricht Gelabert. Ein Umsteigen zwischen zwei Bahnhöfen für die Weiterfahrt nach Palma würde bedeuten, dass die Fahrt von Palma nach Artà zweieinhalb Stunden dauert.

Die Vision des Verkehrsministeriums sieht freilich anders aus. Die Einrichtung von zwei Bahnhöfen kommt für Vicens nicht in Frage. Nach den Plänen soll die bestehende, mit Dieselzügen betriebene Strecke von Palma nach Manacor zu Beginn der kommenden Legislaturperiode, also ab 2011, elektrifiziert und damit schneller werden und somit eine Fahrzeit von 80 bis 90 Minuten inklusive Umsteigen bis nach Artà ermöglichen. Ebenfalls für die kommende Legislaturperiode ist der weitere Ausbau der Strecke bis nach Cala Ratjada vorgesehen. „Dann wird der Zug auch wirtschaftlich sein, für die Strecke Manacor nach Cala Ratjada wird mit jährlich einer Million Fahrgästen gerechnet“, sagt der Staatssekretär für Verkehr, Antoni Verger. Ihn unterstützt auch eine Bürgerinitiative in der Gegend, die bereits seit elf Jahren für die Inbetriebnahme der alten Zugstrecke dort kämpft. Bei einem Marsch auf den alten Schwellen setzten die Befürworter im vergangenen Jahr immerhin rund 3.000 Bürger in Bewegung. „Es gibt hier viele Leute ohne Führerschein, Einwanderer, Kinder und Jugendliche, Senioren oder Behinderte. Laut einer Studie sind es fast 40 Prozent. Für die ist ein Zug die optimale Lösung und ökologisch am vernünftigsten noch dazu“, sagt der Sprecher der Gruppe, Joan Matamalas. Der Mallorquiner ist sehbehindert, Auto fahren für ihn keine Lösung. Er schlägt vor, dass mit Bussen weitere Dörfer der Gegend an die Zughaltestellen angeschlossen werden sollen.

Fall 2:

Zug Sa Pobla-Alcúdia Bei der geplanten Verlängerung der bestehenden Zugstrecke von Palma nach Sa Pobla bis nach Alcúdia entzündet sich der Streit nicht an der Einrichtung der Verbindung an sich, sondern am Streckenverlauf. Die Stadt Alcúdia wünscht sich einen Zug bis zum Touristengebiet in der Nähe des Strandes von Port d‘Alcúdia, der am geschützten Feuchtgebiet s‘Albufera vorbei führt. Diese sogenannte Südstrecke lehnt Minister Vicens aber als undurchführbar ab, weil eine Straße gekreuzt werden müsste, die Gegend hügeliger sei und zu starke Eingriffe in die Umwelt notwendig seien. Er will eine Bahnlinie parallel zur Schnellstraße. Pikanterweise hat das von dem UM-Politiker Àngel Grimalt geleitete Umweltministerium einer von der Stadt leicht veränderten Südtrasse aber grünes Licht erteilt. Die Strecke berühre das Naturschutzgebiet nicht. Die von Vicens erwogene Südstrecke sei eine Art Falle gewesen, um ein ablehnendes Umweltgutachten zu provozieren, warf man dem Koalitionskollegen vor. Auch die Höhenunterschiede gebe es dort nicht.

Der Bürgerprotest gegen die Pläne aus dem Verkehrsministerium kam am 18. April in einer tractorada zum Ausdruck, einer Protestfahrt mit Traktoren. Die Bürgerinitiative „Per Son Fe no pot esser“ hatte dafür rund 200 Bürger mobilisiert, unter ihnen zahlreiche Betroffene. Denn für die Verwirklichung der Nordstrecke sind voraussichtlich mehr als 100 Enteignungen von Grundstücken notwendig, bei einer Südstrecke wären es nur 10 bis 15. Für den Fall, dass das Ministerium auf seinem Streckenplan beharrt, kündigte die Initiative weitere Aktionen an. Laut Sprecher Tomeu Bennàssar sind bereits 3.400 Unterschriften gesammelt. Wenn Minister Vicens im Sommer wie geplant das ausgearbeitete Projekt vorstellt, kann er sich bereits wie im Fall Manacor-Artà auf zahlreiche Einsprüche von Bürgern gefasst machen. Einen Termin für den Beginn der Bauarbeiten gibt es noch nicht.

Fall 3:

S-Bahn zum Flughafen Anders als bei den geplanten Zugstrecken steht die Finanzierung der S-Bahn von Palmas Zentrum über den Innenstadtring, die Stadtautobahn, Portitxol, Molinar zum Flughafen und über Coll d‘en Rabassa nach Can Pastilla noch nicht. Die Balearen- Regierung fordert von der Zentralregierung die vollständige Übernahme der Kosten für die moderne Trambahn. Unklar ist daher auch noch, wann mit den Bauarbeiten für das 207 Millionen Euro teure Projekt begonnen werden kann. Verkehrsminister Vicens strebt einen Start noch vor dem Ende der Legislaturperiode an. Auch dieses Vorhaben wird heftig kritisiert. Geschäftsleute im Zentrum Palmas befürchten, dass die Streckenführung über die Avenidas Verkehrsprobleme und Einbußen im Einzelhandel nach sich zieht.

Zukunftsmusik:

Im Verkehrskonzept der Balearen sind weitere Zug- und S-Bahn­strecken auf Mallorca vorgesehen. So sollen etwa Llucmajor, Campos, Ses Salines, Santanyí und Felanitx mit einem Zug an Palma angeschlossen werden. Wie schnell und ob diese Vorhaben angegangen werden, hängt von der Finanzierung ab, und nicht zuletzt auch davon, ob ein breiterer gesellschaftlicher Konsens zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs erreicht wird.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

- Interview mit Antoni Verger, Staatssekretär für Verkehr