Die Zahlen aus Madrid klangen wohl zu gut, um wahr zu sein: Eine jüngst veröffentlichte Umfrage des staatlichen „Instituts für Touristikstudien" (IET) bescheinigt den Balearen als einziger Region Spaniens einen Zuwachs der Ausgaben ausländischer Touristen am Ferienziel. Um 4,6 Prozent habe im ersten Quartal des Jahres die Gesamtsumme gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Noch dramatischer nimmt sich der Anstieg bei den Ausgaben pro Kopf aus: 21,2 Prozent.

Die Sensation wurde in der balearischen Medienlandschaft schnell ad acta gelegt. Niemand konnte sich diesen einsamen Positivwert erklären, niemand traute den Zahlen über den Weg.

Es gibt nur zwei Erklärungen: Entweder ist die Statistik fehlerhaft – einige der befragten Experten halten das für wahrscheinlich –, oder aber die Krise verändert den Balearen-Tourismus gerade grundlegend. Es gibt durchaus Indizien, die für einen Umbruch sprechen. Zum Beispiel hat die Bedeutung jener Touristen, die sich nicht in Hotels einquartieren, schlagartig zugenommen. Nicht in absoluten Zahlen, wohl aber hinsichtlich ihrer Aufenthaltsdauer und des am Ferienort verfügbaren Budgets. Detailliertere Statistiken, die das IET der Mallorca Zeitung zur Verfügung stellte, lassen sogar einen noch kühneren Schluss zu: Ferienheimbesitzer nutzen ihre teuer erstandene Immobilie im Krisenjahr verstärkt, mög- licherweise anstelle der einen oder anderen Fernreise, und sind somit als finanziell potente Besucher am Ferienort länger und nachhaltiger präsent. Und das wirkt sich wiederum vor allem dort aus, wo Ausländer besonders viele Ferienheime besitzen.

Dass auch Spitzenhotels der Inseln über eine müde Saison jammern und andererseits die Vermieter von Ferienhäusern und -wohnungen keine Zuwächse vermelden, sind weitere Indizien für diese Vermutung.

Andere Zahlen scheinen schwer vereinbar mit der Ausgabenstatistik des IET. Der Tourismus auf Mallorca und der Balearen insgesamt hat die wohl deprimierendste Nebensaison außerhalb von Kriegszeiten hinter sich. Schon ein Blick auf die Zahl der Flugankünfte von Urlaubern auf Mallorca lässt Tourismusmanager zur Beruhigungstablette greifen: Um mehr als 30 Prozent ist der britische Markt weggebrochen, um mehr als 20 Prozent der spanische Inlandsmarkt, lediglich die Deutschen halten Mallorca die Treue – mehr oder weniger.

Das IET bestätigt die Bedeutung der Deutschen: Sie kämen zwar in geringeren Zahlen nach Spanien, hätten jedoch sowohl ihre Aufenthaltsdauer als auch ihr Budget für Ausgaben vor Ort erhöht, und zwar zum Teil dramatisch. „Davon profitieren vor allem die Balearen."

Die Aufschlüsselung der IET-Umfrage ergibt, dass die Deutsche überproportional zum Anstieg der Ferienausgaben beigetragen haben. In den ersten drei Monaten des Jahres stiegen ihre Ausgaben gebenüber dem ersten Quartal des Nicht-Krisen-Jahres 2008 um unglaubliche 41,3 Prozent pro Kopf und Aufenthalt, während sich die Aufenthaltsdauer um 31,4 Prozent verlängerte. Vor allem dadurch kann sich der Archipel als einzige Region über Zuwächse bei den Ausgaben ausländischer Besucher freuen. Anderswo in Spanien herrscht Katzenjammer, von einem moderaten 5,2-Prozent-Minus in Katalonien bis hin zu einem Erdrutsch von 31,6 Prozent Minus in der Region Valencia.

So weit die Zahlen und ein erster Erklärungsversuch. Was aber sagen Branchenkenner? Die Reaktion ist rasch zusammengefasst: Kopfschütteln. Am deutlichsten drückt sich Toni Munar aus, lange Jahre Geschäftsführer der mallorquinischen Hoteliers­vereinigung und heute freiberuflicher Touristikberater: „Ich würde hinter diese Zahlen ein Fragezeichen von der Größe der Kathedrale von Palma setzen. Es widerspricht allem, was ich auf den Touristikmessen und bei meinen Kontakten mit Unternehmern erfahren habe." Die globale Tendenz, so Munar, sei gegenläufig: weniger Reisen, weniger Aufenthalte, weniger Ausgaben. Dazu komme, dass den Balearen in Scharen die Touristen weglaufen, weil andere Mittelmeerländer brutale Preisnachlässe bieten.

Allerdings räumt Munar ein, dass die Balearen als Ersatzdestination für jene in Frage kommen, die früher Fernreisen unternommen hätten. Und die These, dass Ferienheimbesitzer – ihrerseits Angehörige der von der Krise nicht minder gebeutelten oberen Mittelschicht – vermehrt Sparurlaub in der eigenen Villa machen, erscheint ihm nicht abwegig. Trotz der kolportierten Zahl von mehr als 40.000 Ferienheimen und -wohnungen in deutschem Besitz auf Mallorca zweifelt er allerdings daran, dass die Villenbesitzer die Ausgabenstatistik alleine stemmen können.

Auch Tui-Pressesprecher ­Michael Blum zeigte sich skeptisch. „Die Gästezahlen für die Balearen entsprechen dem Gesamtmarkt, und der ist nicht positiv." Darüber hinaus habe die Nachfrage nach All-inclusive-Angeboten weiter zugenommen, jede zweite Reise ins Mittelmeer werde heute unter dieser gerade in der Krise beliebten Formel verkauft, „und auf den Balearen gibt es da sehr wenig". Mit anderen Worten: Auch in diesem Segment laufen den Balearen die Urlauber davon.

Allerdings handelt es sich dabei großteils um einkommensschwache Urlauber. Álvaro Middelmann, Präsident des Fomento de Turismo und Bereichsdirektor von Air Berlin für Spanien und Portugal, genießt die Resultate der IET-Umfrage mit Vorsicht, sieht jedoch Anzeichen für eine Umschichtung im Urlaubergefüge der Balearen: Der Anteil der finanziell potenteren Gäste steige durchaus, eventuell könne das tatsächlich ein Ausgabenplus erklären. Mehr hochklassige Hotels stünden zur Verfügung, Palma habe sich als Destination für kaufkräftige ­City-Touristen positioniert, und aus dem Golfbereich kämen positive Nachrichten. Middelmann hält es für plausibel, dass diese Besucher vor allem in der Nebensaison statistisch an Gewicht zugelegt haben.