Im Jahr 1228 zogen dunkle Wolken über Mallorcas Hauptstadt auf, die damals Medina Mayur­qa genannt wurde. Sie zählte zu den bedeutenden Städten des maurischen Spaniens, besaß blühende Gärten, Paläste, Bäder, Moscheen. 1203 war es hier zu einem Machtwechsel zwischen zwei Berber-Dynastien gekommen, hatten die Almohaden die Herrschaft von den Almoraviden übernommen. Seit 1208 war Abu Yahya al-Tinmalli der Wali, der Gouverneur. Doch er sonnte sich in einem Glanz, der zu verblassen begann: Auf dem Festland machte bereits Jaume I., König von Aragón, für die Eroberung Mallorcas mobil.

Was damals hinter den Mauern von Medina Mayurqa geschah und wie die arabische Bevölkerung die Eroberung Mallorcas erlebte, beschreibt das Manu- skript „Kitab Tarih Mayurqa", das im Jahr 2001 in einem Archiv im algerischen Tinduf gefunden wurde. Die seit dem Frühjahr auch in katalanischer und spanischer Übersetzung erhältliche „Arabische Chronik der Eroberung Mallorcas" (so der Untertitel) ist auf der Insel zum Bestseller geworden.

Der Autor, Ibn Amira Al-Mahzumi, wurde 1186 in der Provinz Valencia geboren, war Richter und Poet und verließ al-Andalus nach der Eroberung Valencias durch Jaume I. Danach lebte er in Nordafrika. Die Eroberung Mallorcas erlebte er nicht selbst, die Chronik verfasste er vermutlich zwischen 1239 und 1248 im Auftag eines Exil-­Mallorquiners.

Er schildert Abu Yahya als zunächst umgänglichen Herrscher. Mit der Zeit erwies sich der Wali jedoch als Raffzahn. Während die Christen zum Feldzug rüsteten, rollten in der Medina Mayurqa nach einem misslungenen Soldatenaufstand die Köpfe. Laut Ibn Amira hatte die Revolte ihren Ursprung in der Schlacht von Las Navas de Tolosa in der heutigen Provinz Jaén, bei dem ein christliches Heer die Mauren aus Zentralspanien vertrieb. Viele Almohaden fanden auf Mallorca Zuflucht und hetzten nun den Wali gegen seine Untertanen auf. Auf der Insel lebte damals eine sehr gemischte Bevölkerung: Araber, die mit den Umayyaden, den ersten muslimischen Machthabern, gekommen waren, Almoraviden und schließlich die Almohaden. Hinzu kam eine christliche „Urbevölkerung", deren Wurzeln auf Römer, Byzantiner und Vandalen zurückging. Die Gier des Wali und die Intrigen der Almohaden, so Ibn Amira, führten zu einer Tyrannei, die einen Aufstand provozierten.

Trotz innenpolitischer Probleme verlor der Wali die Bedrohung von außen nicht aus den Augen. Fälschlicherweise ging er jedoch davon aus, dass die Christen erst im Frühjahr 1230 auf Mallorca landen würden. Doch im September des Jahres 1229 traf ein Reiter im Palast ein. Einem arabischen Brauch gehorchend hatte er sich entkleidet, um die Dringlichkeit seiner Nachricht zu unterstreichen: Die Flotte von Jaume I. war vor der Insel aufgekreuzt.

Abu Yahya schickte eine Vorhut nach Sanat Bunsa, dem heutigen Santa Ponça, wo ein Teil der Flotte vor Anker gegangen war. Doch anstatt in Stellung zu gehen, betranken sich die Soldaten des Wali, während die christlichen Truppen die Nacht vom 10. auf den 11. September nutzten, um an Land zu gehen. Verkatert traten die Araber den Invasoren entgegen und waren schnell in die Flucht geschlagen.

Für die erste große Schlacht führt Ibn Almira weder Datum noch Ort an. Nach anderen Quellen fand sie am 12. September in der Sierra de Na Burguesa statt, die früher Sierra Porto Pi genannt wurde und zwischen Santa Ponça und Palma liegt. Anstatt in der sicheren Nähe der Stadt zu bleiben, trat der Wali mit größtenteils unerprobten Soldaten dem Feind entgegen. Als ihn die Nachricht über eine erfolgreiche Aktion einer seiner Offiziere erreichte, trieb er wütend seine Mannen an, getrieben von Gier nach Ruhm und Beute. Dabei vergaß er, einen Hügel zu sichern, und die Moral der Truppen brach zusammen. Im Rückzug lichteten sich die Reihen der Verteidiger: „Wie Vogelstrauße" und im Glauben, die Schlacht sei verloren, suchten sie ihr Heil in der Flucht. Viele wurden erbarmungslos niedergemacht.

Während sich Abu Yahya mit dem Rest seines Heers hinter die Stadtmauern zurückzog, schlugen die Invasoren ihr Feldlager im Norden der Medina Mayurqa auf, dem heutigen La Real, und begannen eine Belagerung mit allen Schikanen: Beschuss mit Steinen, Graben von Tunneln, Unterbrechung der Wasserversorgung. Erneut zeigte sich die Unfähigkeit des Wali. Der kampfwilligen Landbevölkerung schickte er einen Anführer, der als inkompetent und feige bekannt war. Als die Freiwilligen nach einer ersten Schlappe um einen neuen Führer baten, lehnte der Wali ab. Darauf liefen ein Gutteil der Landbevölkerung und einige Adlige zu den Christen über. Sogar einer der Söhne des Wali desertierte.

Unterdessen war Abu Yahya nicht bereit, seine Reichtümer anzutasten, um neue Truppen auszuheben. Möglicherweise wollte er sich bei einem Sieg der Christen freikaufen, oder er rechnete mit Hilfe von außen. Doch die kam nicht. Am 31. Dezember stürmten die Belagerer die Stadt. Die Chroniken berichten von einem Blutbad, dem mindestens 20.000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, zum Opfer fielen. Während die christlichen Berichte das Schicksal des Wali offen lassen, sorgt Ibn Amira für Klarheit: Die Sieger folterten Abu Yahya bis zu seinem Tod und enthaupteten vor seinen Augen einen seiner Söhne, um ihm das Versteck seiner Reichtümer zu entlocken. Jaume I. beteuerte, dass alle Gräueltaten ohne sein Einverständnis geschahen – was ihn jedoch nicht daran hinderte, „unter den Töchtern des Wali diejenigen auszuwählen, die ihm gefielen".

Im letzten Kapitel seiner Chronik berichtet Ibn Amira davon, wie sich Überlebende in drei Festungen verschanzen und sich nach heldenhaftem Kampf ergeben. Doch nicht damit enden die Aufzeichnungen des Ibn Amira, sondern mit dem Lob Allahs und seines Propheten, der die ungläubigen Feinde besiegt habe. Und dies klingt dann nicht mehr wie ein Stück Zeitgeschichte, sondern nach erhobenem Zeigefinger. Die Moral: Wer die Gebote Allahs missachtet, verliert dessen Beistand und wird vernichtet.

„Kitab Tarih Mayurqa – crónica árabe de la conquista de Mallorca", Ibn Amira al-Mahzumi, Edicions UIB, 40 Euro.

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